Nato Österreich
Das traditionelle "Familienfoto" der Außenministerinnen und Außenminister der Nato-Vertragsstaaten und Schwedens nach ihrem zweitägigen Treffen am vergangenen Mittwoch.
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Die Kooperation zwischen den USA und Europa sei auf einem neuen Höhepunkt. "Unvergleichbar" seien die Beziehungen, formulierte es zuletzt gar die in Wien akkreditierte US-Botschafterin Victoria Reggie Kennedy. Vergangene Woche fanden Beratungen der Nato-Außenminister und -ministerinnen in Brüssel statt. US-Außenminister Antony Blinken betonte bei dem Anlass, dass es keine Ermüdungserscheinungen in der Unterstützung der Ukraine gegen den russischen Angriffskrieg gebe. Der Logistikchef der Nato, Alexander Sollfrank, warnte zudem alle Mitgliedsländer des Bündnisses, ihre Vorbereitungen für einen Konflikt mit Russland zu beschleunigen.

Video: Blinken bei Nato-Treffen: „Wir müssen die Ukraine weiter unterstützen“
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In Österreich halten Politik und Bevölkerung am neutralen Status fest. Unter allen sich derzeit in der Unterstützungsphase befindlichen Volksbegehren finden sich gleich vier Initiativen, die sich für eine Beibehaltung oder gar Stärkung des neutralen Status durch ein weiteres Verfassungsgesetz einsetzen. Ein geplantes Volksbegehren hingegen spricht sich für einen Nato-Beitritt aus. Initiiert hat es der Linzer Unternehmensberater Gunther Fehlinger, der aktuell auf der Suche nach Unterschriften für eine Unterstützungserklärung durch mehrere Bundesländer tourt. Was spricht für, was gegen einen Nato-Beitritt?

Argumente für einen Nato-Beitritt

Jahrzehntelang fehlende Investitionen haben die Fähigkeiten des österreichischen Bundesheeres massiv erodieren lassen. Der Schutz der Bevölkerung kann nur sehr eingeschränkt gewährleistet werden, wie Berichte regelmäßig aufgezeigt haben. Der Rückstand soll allmählich aufgeholt werden. Doch selbst militärisch deutlich besser gerüstete Ländersind angesichts der neuen geopolitischen Lage zur Erkenntnis gelangt, dass ihnen die Einbettung in ein breites Verteidigungsbündnis, das effizienter arbeiten kann, mehr Sicherheit bietet, als militärischer Einzelgänger zu bleiben. Deshalb diskutiert die neutrale Schweiz eine Änderung ihres Status, und deshalb haben Schweden und Finnland beschlossen, ihre Bündnisfreiheit aufzugeben.

Innerhalb der EU sind neben Österreich einzig Irland, Zypern und Malta nicht Mitglied. Schweden wartet auf die Ratifizierung im türkischen Parlament. Eine EU-Armee existiert zudem bisher nur in der Vorstellung jener, die sich eine solche als mögliche Nato-Initiative wünschen. Wie sehr im Ernstfall die EU-Beistandspflicht für Österreich zum Tragen kommen würde, wird selbst von Neutralitätsfreunden angezweifelt. Der EU-Vertrag verpflichtet die Länder nämlich nur zu jenen Mitteln, die sie "für erforderlich" erachten. Der Beistand muss also nicht militärisch erfolgen. Hinzu kommt das sogenannte Nato-First-Prinzip: Im Zweifel ist den europäischen Nato-Staaten die Verteidigung der Bündnispartner wichtiger als das Schicksal eines neutralen Staates.

Die europäische Beistandspflicht ist zudem auch deshalb viel weniger wert als jene der Nato, weil das seit 1949 eingespielte transatlantische Bündnis wesentlich geübter ist, seine Kräfte rasch zusammenzuführen, als die EU. Umgekehrt bliebe die Autonomie des Bundesheers auch bei einem Beitritt zur Nato gegeben. Denn laut Nato-Vertrag kann kein Mitglied gezwungen werden, sich an militärischen Operationen oder Kriegen zu beteiligen. Artikel fünf des Nordatlantikvertrages schreibt vor, "Maßnahmen" zu treffen, die ein Land "für erforderlich erachtet".

Seit Moskaus Überfall auf die Ukraine gilt ein Angriff Russlands auf europäischem Boden als wahrscheinlicher. Der Krieg in der Ukraine hat allerdings gezeigt, dass die gesamte EU nicht kriegs- und wehrfähig ist. Selbst in großen Staaten wie Deutschland musste man im Verteidigungsministerium einräumen, dass die Bundeswehr "mehr oder weniger blank dasteht" und Munition nur für ein paar Tage reichen würde. Russland hingegen kann pro Tag so viele Granaten abfeuern wie im EU-Raum pro Monat produziert werden. Dass in der EU dennoch niemand in Panik verfällt, liegt daran, dass Europa fast zur Gänze Nato-Gebiet ist. Dass Allianzfreiheit keinen Despoten beeindruckt, haben jedenfalls schon vor dem Krieg in der Ukraine andere Beispiele aus der Geschichte gezeigt.

Argumente gegen einen Nato-Beitritt

Unter allen Argumenten, die gegen einen Nato-Beitritt sprechen, ist eines wohl besonders stark: neun Milliarden Euro. Das wäre nach aktuellem Stand nämlich der Betrag, den Österreich als Mitglied der Allianz jedes Jahr für seine Verteidigung ausgeben müsste. Das aktuelle Nato-Ziel liegt für alle Mitglieder bei zwei Prozent des BIP – Tendenz steigend. Seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine will das Militärbündnis die Ausgaben nämlich weiter hochschrauben. Das Zwei-Prozent-Ziel sollte künftig "das Minimum" sein, das für Verteidigung ausgegeben werden müsse, sagte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg im Sommer. Bis vor vier Jahren lag Österreichs Verteidigungsbudget immer unter drei Milliarden – und damit weit unter einem Prozent des BIP. Bis 2028 soll es auf 1,5 Prozent angehoben werden – immer noch rund zwei Milliarden jährlich vom Nato-Ziel entfernt. Wer aber deutlich mehr Geld in diesen Budgetbereich stecken will, wird anderswo einsparen müssen. Heißt: Kontroversielle Verteilungsdebatten wären vorprogrammiert.

Ein damit verknüpftes, populäres Argument gegen einen Nato-Beitritt lautet: Wir sind ja ohnehin geschützt. Denn Österreich ist aufgrund seiner geografischen Lage privilegiert, weil – mit Ausnahme der neutralen Schweiz – umgeben von Nato- und EU-Mitgliedsländern. Das würde es Russland verunmöglichen, die kleine Alpenrepublik auf konventionellem Weg anzugreifen, ohne dabei schon zuvor Nato- beziehungsweise EU-Territorium zu berühren. In den EU-Verträgen ist außerdem eine militärische Beistandspflicht vorgesehen. Allerdings: Wie hilfreich die im Falle eines Angriffs tatsächlich wäre, ist umstritten.

Ähnlich umstritten ist das Argument, Österreich könnte als Nato-Mitglied in globale Konflikte hineingezogen werden. Denn die Beistandspflicht in der Nato ist nicht gleichbedeutend mit einer automatischen direkten Kriegsteilnahme. Die Art des Beitrags ist darin nicht festgehalten, sie kann von Land zu Land variieren. Auch wenn politischer Druck natürlich Realität ist, wie etwa der Irakkrieg zeigte.

Gegen einen Nato-Beitritt spricht jedenfalls das Stimmungsbild in der Bevölkerung. An den Ergebnissen der Umfragen hat sich über die Jahrzehnte nämlich wenig geändert – selbst nach Russlands Überfall auf die Ukraine: Eine satte Mehrheit von rund 70 Prozent spricht sich regelmäßig für die Beibehaltung der Neutralität aus.

Österreich könne als einer der letzten "Neutralen" eine internationale Vermittlerrolle erfüllen, argumentiert die Bundesregierung gerne. Hatte etwa die Außenpolitik der 1970er unter Kanzler Bruno Kreisky noch gewissen Einfluss auf internationale Beziehungen – etwa in Nahost –, wird Österreich heute allerdings kaum als relevanter Akteur auf dem diplomatischen Parkett wahrgenommen. (Anna Giulia Fink, Martin Tschiderer, 4.12.2023)