Weil eine minderjährige Austauschschülerin mit einer versteckten Kamera im Badezimmer gefilmt worden war, muss sich Amazon vor Gericht verantworten. Die Brasilianerin, die im US-Bundesstaat West Virginia gewohnt hatte, zieht gegen den Handelsriesen zu Felde, weil dieser das für die Tat genutzte Gerät verkauft hatte.

Amazon hatte versucht, die Klage abweisen zu lassen, und dies damit begründet, dass man nicht verantwortlich dafür sei oder annehmen könne, dass das Gerät so eingesetzt wurde. Zudem erklärte man, dass niemand physisch zu Schaden gekommen sei. Doch das Abweisebegehren wurde in weiten Teilen abgewiesen, berichtet Ars Technica.

Screenshot einer Produktlistung für eine Kleiderhakenkamera, die mit deren Unauffälligkeit wirbt
Ein Screenshot von der Produktlistung der fraglichen Kleiderhakenkamera. Er stammt aus den Gerichtsunterlagen.
M.S. v. Amazon.com, Inc., 2023 WL 8283642 (Unterlagen)

Beschreibung warb mit Unauffälligkeit

Im Zentrum der Klage steht die Beschreibung des Produkts. Darin wird kein Hehl daraus gemacht, um was für Produkt es sich handelt. "Es zieht keine Aufmerksamkeit auf sich. Ein sehr gewöhnlicher Haken", steht auf einer Bebilderung, auf der mehrere unscheinbar wirkende schwarze Kleiderhaken abgebildet sind. Darüber ein Hinweisfeld: "auf Video aufnehmen". Das konkrete Angebot scheint aus dem Online-Katalog von Amazon US entfernt worden zu sein, sehr ähnliche Geräte und Beschreibungen finden sich dort – und auch bei Amazon Deutschland – aber immer noch.

Nicht nur habe Amazon die Produktbeschreibung genehmigt, auch soll die Kamera seitens Amazons mehrfach geprüft worden sein, um sicherzustellen, dass ein Produkt nicht "zur Verletzung der Privatsphäre", für "verdeckte Aufnahmen von anderen für sexuelle Zwecke" oder "zur Erstellung von Abbildungen von Kindesmissbrauch" verwendet werde.

Andere Kleiderhakenkameras mit ähnlichen Beschreibungen und Bildern sind nach wie vor im Angebot von Amazon zu finden.
Screenshot/Amazon

Richter: Verwendung war absehbar

Bezirksrichter Robert Chambers schrieb in der Begründung für die Abweisung von Amazons Einwänden, dass man eine Produktbeschreibung genehmigt habe, die nahelegt, dass Käufer sie verwenden, um "private Momente im Badezimmer" aufzuzeichnen. "Amazon kann sich daher nicht überrascht zeigen, wenn Käufer auch genau das tun." Weil man sich im Klaren darüber hätte sein müssen, dass so eine Kamera für heimliche Aufnahmen genutzt wird, sieht er einen ausreichenden Zusammenhang zu den Aufnahmen, die illegal von der Schülerin angefertigt wurden. Ihr Gastgeber muss sich in einem gesonderten Verfahren verantworten.

Auch dass es ja nicht zu physischen Folgen gekommen sei, ließ er so nicht stehen. Denn die Klägerin reklamierte im Zusammenhang mit den Vorfällen verschiedene körperliche Symptome als Folge. Darunter etwa Schlaflosigkeit, chronischer Tremor, Essstörungen und Paranoia. Sollte der Nachweis gelingen, seien diese Folgen als "schwer" anzusehen, da emotionales Trauma, das einem Kind in diesem "zarten Alter" angetan werde, dauerhafte Folgen haben könne, von denen es sich nie mehr erholt.

Lee Javins, der Anwalt des Opfers, hofft, dass die Geschworenen im anstehenden Verfahren feststellen, dass Amazon "schamlose, bewusste, fahrlässige und unverschämte Gleichgültigkeit gegenüber der Gesundheit, Sicherheit und dem Wohlbefinden von Kindern" gezeigt habe. Amazon wird weiters beschuldigt, die Verkäufe der Kamera mit seinen Algorithmen angetrieben zu haben.

Aus der Bedienungsanleitung für eine Kleiderhaken-Kamera.
Wer nicht genau hinsieht, dem fällt die integrierte Kamera nicht auf.
Screenshot

Fall könnte drastische Folgen für Spycam-Hersteller haben

Eric Goldman, Experte für Rechtssachen im Tech-Bereich, ergänzt weitere Details. Drei verschiedene Teams bei Amazon sollen sich der Kamera angenommen haben. Das Team für Produktsicherheit soll dabei die Kontrolle hinsichtlich missbräuchlicher Verwendung vorgenommen und Verantwortliche im Konzern auch die Produktbeschreibung in der beklagten Form genehmigt haben.

Seiner Ansicht nach könnte der Fall gewaltige Implikationen für die Hersteller sogenannter Spycams und auch für Amazon selbst haben. Es gebe zwar gute Gründe, um eine Überwachungskamera in der eigenen Wohnung zu betreiben, es sei aber nicht ganz so klar, welche "angemessene Verwendung" es für eine versteckte Kleiderhakenkamera gibt. Die Schlussfolgerungen des Gerichts könnten darauf hinauslaufen, dass alle Kameras dieser Art nicht legal in den USA verkauft werden dürften, selbst wenn Käufer damit einen legalen Einsatzzweck verfolgen. Er sei nun gespannt darauf, zu welchen Schlussfolgerungen Amazons Produktsicherheitsteam bei der Inspektion der Kamera im Detail gekommen sei. (gpi, 5.12.2023)