Vor 30 Jahren, im Dezember 1993, erschüttern Briefbombenattentate Österreich. Es ist der Auftakt einer Terrorwelle, die das Land bis 1997 in Atem hält, bis der Rechtsterrorist Franz Fuchs schließlich verhaftet wird. Ziel seines Terrors sind Menschen, die sich für Geflüchtete einsetzen oder nicht seinem Bild eines "typischen Österreichers" entsprechen. Sie alle sind klassische Feindbilder von Rechtsextremen. Fuchs kämpft gegen das, was heute "Großer Austausch" genannt wird, er nennt das "Umvolkung" und spricht vom Ziel eines "rassenreinen" Österreichs. Dazu kommt Frauenhass.

Franz Fuchs
Der Rechtsterrorist Franz Fuchs (Mitte) verschickte in den 1990er-Jahren Briefbomben und ermordete vier Männer. Er gilt Neonazis als Vorbild.
Foto: APA

Bomben in einer aufgeladenen Zeit

Die Bomben platzen in eine politisch enorm aufgeladene Zeit, am rechten Rand des politischen Spektrums steigt in jenen Jahren ein neuer Star raketenhaft auf: Jörg Haider schafft es seit seinem innerparteilichen Putsch von 1986, die FPÖ in den Umfragen über die 20-Prozent-Marke zu pushen. Dabei setzt Haider hauptsächlich auf das sogenannte Ausländerthema. Unterstützt von der "Kronen Zeitung" gibt er den Takt einer aufgeheizten und immer intensiver geführten Migrationsdebatte an. Wenige Monate vor Beginn des Briefbombenterrors startet Haider ein Anti-Ausländer-Volksbegehren, immer wieder werden Unterkünfte von Geflüchteten Ziel von Anschlägen.

Zwei Opfer der Attentate
Die Opfer der ersten Briefbombenserie. Der damalige Wiener Bürgermeister Helmut Zilk (SPÖ) und die Sekretärin Astrid Bileck.
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In diesem Klima explodiert am 3. Dezember 1993 eine Briefbombe in den Händen von Pfarrer August Janisch. In der Minderheitenredaktion im Wiener ORF-Zentrum wird Redakteurin Silvana Meixner durch eine Briefbombe verletzt. Zwei Tage später, am 5. Dezember, zerfetzt eine Briefbombe die linke Hand des damaligen Wiener Bürgermeisters Helmut Zilk. Andere Bomben werden frühzeitig entdeckt, jene etwa, die an Frauenministerin Johanna Dohnal oder Politikerinnen der Grünen adressiert sind. Bis Dezember 1995 werden in fünf Serien noch weitere 23 explosive Postsendungen verschickt; und fünfzehn Personen durch die Briefbomben verletzt.

Nazis verschicken schon 1935 Briefbomben 

Es ist nicht die erste Terrorwelle mit Briefbomben. Schon die Nationalsozialisten in der Ersten Republik setzten explosive Post ein. Sie versuchten mit zahlreichen Terrorakten die Regierung des Ständestaats in die Knie zu zwingen und so Österreich für den Nationalsozialismus sturmreif zu schießen. Beflügelt durch die Machtübernahme Adolf Hitlers in Deutschland, ließen sie Züge entgleisen, sprengten Brücken, legten Bomben und führten Attentate gegen politische Gegner durch. Höhepunkt war der Putschversuch im Juli 1934, bei dem der damals autoritär regierende Bundeskanzler Engelbert Dollfuß getötet wurde.

Obwohl ihr Putsch scheiterte, machten die Nazis weiter. Im September 1935 verschickte eine NSDAP-Zelle in Salzburg zehn Briefbomben, die jedoch von einem Postbeamten frühzeitig entdeckt und so abgefangen werden konnten. Ein Polizist wird beim Öffnen eines Briefes verletzt. Adressiert waren die Briefe an Persönlichkeiten des Ständestaates in Salzburg, darunter ein Chefredakteur, ein Polizeirat und der Erzbischof Sigismund Waitz. Nachdem die Terroranschläge missglückt waren, flohen die beiden Männer, die für die Bomben verantwortlich waren, nach Deutschland. Schon einige Wochen zuvor hatte ein Nationalsozialist eine Paketbombe verschickt, die jedoch nicht explodierte.

Blamage und interne Querelen

Diese erste Briefbombenwelle 1993 wird zwar nach den ersten Anschlägen von Franz Fuchs kurz thematisiert, spielt aber in weiterer Folge keine Rolle. Während der Fahndung nach den Tätern kommt es zu zahlreichen Hausdurchsuchungen, Verhaftungen und einem Gerichtsverfahren. Die Angeklagten werden zwar nach dem NS-Verbotsgesetz verurteilt, eine Mittäterschaft am Briefbombenterror lässt sich aber nicht nachweisen.

Die Chronologie des Terrors. 1995 werden auch Personen in Deutschland angegriffen.
Grafik: STANDARD

Eine Blamage für die Polizei und Staatsanwaltschaft. "Es kam zu Fehlern, Pannen, internen Querelen und Rückschlägen." "Trittbrettfahrer" und Verschwörungstheoretiker erschwerten die Fahndung. "Die Polizei stand dieser neuen Dimension des Terrors unvorbereitet gegenüber", fasste es die vom Innenministerium herausgegebene Zeitschrift "Öffentliche Sicherheit" zusammen. Danach wird von einem Großteil der Medien und Ermittler der Attentäter als "Eigenbrötler" beschrieben und der rechtsextreme und rassistische Hintergrund der Terrorwelle ausgeblendet.

Opfer wurden zu Tätern gemacht

In der Nacht auf den 5. Februar 1995 erreicht der Terror seinen Höhepunkt: Mit einer Rohrbombe tötet Fuchs im burgenländischen Oberwart die vier Roma Josef Simon, Peter Sarközi, Karl Horvath und Erwin Horvath – als sie eine Tafel mit der Aufschrift "Roma zurück nach Indien" entfernen wollten.

Die Polizei ermittelt allerdings erst eineinhalb Tage später in Richtung Terroranschlag. Bis dahin wird auch eine Fehde unter Roma oder ein misslungener Sprengversuch in Betracht gezogen. Die Opfer werden zu Tätern gemacht, von der Polizei und der FPÖ.

Polizei sprach von einer "Fehde"

Am Vormittag nach dem Anschlag melden der ORF-Teletext und die Nachrichtenagentur APA, die vier Männer seien "beim Versuch eine romafeindliche Tafel zu sprengen (…), tödlich verunglückt". Diese Erklärung beruht auf Aussagen der örtlich zuständigen Sicherheitsdirektion für das Burgenland. Zuvor vermuten Oberwarter Gendarmen, die Roma seien mit einer "Pumpgun" erschossen worden. Diese Theorie wird allerdings verworfen, nachdem Beamte der Sicherheitsdirektion den Tatort besichtigt hatten. Fragen von Journalisten beantworten die Gendarmen danach mit der Vermutung, dass es sich mit "ziemlicher Sicherheit" um eine "Zigeunerfehde" handle, schließlich sei "die Kundschaft aus der Siedlung" ja bekannt.

Gegen Mittag werden die vier Häuser der Männer und ihrer Familien durchsucht. Doch den Ermittlern reicht diese Durchsuchung nicht. Sie wollen alle 13 "Wohnobjekte" der Romasiedlung samt dazugehörigen Nebenräumen und Pkws durchsuchen, was der Untersuchungsrichter ebenfalls genehmigt. Diese Durchsuchungen finden am Nachmittag statt, während in Medien bereits über einen Terroranschlag spekuliert wird.

Erwin Horvath, Karl Horvath, Josef Simon und Peter Sarkoezi
Erwin Horvath, Karl Horvath, Josef Simon und Peter Sarközi, die in der Nacht von 4. auf 5. Februar 1995 bei einem Rohrbombenattentat in der Romasiedlung in Oberwart getötet wurden.
Foto: APA

Erst nach 22 Uhr gehen die Ermittler von einem "geplanten Sprengstoffattentat" aus. Die Öffentlichkeit wird darüber nicht informiert. Es gibt keine Großfahndung, keine Straßenkontrollen im Großraum Oberwart und auch keine Warnung an die Bevölkerung. Dies erfolgt erst zwölf Stunden später, nachdem am nächsten Vormittag im 15 Kilometer entfernten Stinatz die nächste von Fuchs' Bomben explodiert und den Müllmann Erich Preiszler verletzt. Es vergehen exakt 37 Stunden und 25 Minuten, bis aus den ermordeten Männern auch offiziell Opfer eines Terroranschlages werden.

FPÖ-Chef Haider verunglimpfte Opfer 

Die Morde von Oberwart führen zu einer heftigen Diskussion über die Politik Haiders. Der FPÖ-Chef selbst versucht abzulenken, dafür setzt er auf Schuldumkehr. Er macht das angeblich "kriminelle Vorleben" der Opfer von Oberwart zu einem Dauerthema. Im August 1995 sagt der damalige Parteichef in einem STANDARD-Interview: "Warum schreiben Sie dann nicht, wie die Hintergründe der Familien der Opfer sind? Wie ist das mit dem Rauschgifthandel oder mit den Vorstrafen von Familienmitgliedern?" Unhaltbare Aussagen, für die er sich ein knappes Jahr später entschuldigt.

Zusätzlich versucht die FPÖ den Journalisten Wolfgang Purtscheller in die Nähe des rechtsextremen Attentats von Oberwart zu rücken. Purtscheller ist eines der Feindbilder der Freiheitlichen, da er regelmäßig über die rechtsextreme Szene und damit auch über die FPÖ berichtet. Die Arbeit Purtschellers wird von Simon Wiesenthal gewürdigt, seine Artikel erscheinen im STANDARD ebenso wie im "Falter" oder im „Profil". Sein Buch "Aufbruch der Völkischen" und der von ihm herausgegebene Sammelband "Die Ordnung, die sie meinen. Neue Rechte in Österreich" gelten auch noch heute als Standardwerke.

Unwahrheiten und Desinformation

Mit allerlei Unwahrheiten, Desinformation, Unterstellungen und wilden Spekulationen versuchen die Freiheitlichen, Purtscheller in die Nähe des rechtsextremen Attentats zu bringen. Dafür dient eine Bekanntschaft mit einem Mann aus der linksradikalen Szene, der im April 1995, gemeinsam mit einer weiteren Person, bei einem gescheiterten Anschlag auf einen Strommasten in Ebergassing ums Leben kommt.

Als Zeuge für diese Erzählung dient auch ein bekannter Neonazi, der gegenüber der Polizei aussagt, er glaube, der Anschlag hätte "rechten Kreise in die Schuhe geschoben werden sollen". Eine irrige Erzählung, schließlich hatte die rechtsextreme Szene in den vergangenen Jahren immer wieder ihr Gewaltpotenzial, darunter Bombenanschläge auf jüdische Persönlichkeiten, unter Beweis gestellt. Vermutet wird, dass der Anschlag eine Art Protest gegen den Import und den Transport von Atomstrom war.

Wolfgang Purtscheller
Der Journalist Wolfgang Purtscheller sollte mit Desinformation und Erfindungen zu einem Attentäter gemacht werden.
Foto: Reuters/Alex Halada

Diese Kampagne gegen Purtscheller wird nicht nur von rechtsextremen Medien aufgegriffen, sondern auch von der Tageszeitung "Kurier", die sich mit ihrem – faktenfreien – Artikel eine scharfe Rüge vom Presserat einhandelt.

Und die Kampagne wirkt nach: Zuletzt macht die FPÖ im Jahr 2020 Purtscheller in einer Aussendung zum "dritten Attentäter" von Ebergassing. Ohne Beweise oder Belege, dafür mit der Gewissheit, dass sich der 2016 verstorbene Purtscheller gegen diesen Rufmord nicht mehr wehren kann.

Erfolg von Inspektor Zufall

Franz Fuchs geht am 1. Oktober 1997 "Inspektor Zufall" in die Falle. An diesem Tag tritt die Rasterfahndung in Kraft. Fuchs wird in seinem Heimatort Gralla südlich von Graz am Steuer seines Autos von der Gendarmerie kontrolliert, nachdem sich zwei Frauen von ihm verfolgt gefühlt hatten. Er wähnt sich überführt und zündet eine Bombe, die ihm beide Hände zerfetzt. Seine Anschlagsserie fordert vier Todesopfer, 15 Menschen werden zum Teil schwer verletzt. Dutzende entgehen nur knapp dem Tod.

Blick auf beschriebene A4-Seiten
Bekennerschreiben der Bajuwarischen Befreiungsarmee (BBA).
Foto: APA

Jahrelang hat es den Anschein, als stecke eine Gruppe hinter den Anschlägen. In Bekennerbriefen gibt sich eine Bajuwarische Befreiungsarmee (BBA) als Schaltzentrale für den Bombenterror aus. Fuchs behauptet bis zuletzt, er sei nur ein kleines Mitglied einer großen Organisation gewesen. Unsinn, sagen die Ermittler später. Trotzdem bleiben Zweifel. Franz Fuchs starb im Jahr 2000. (Markus Sulzbacher, 15.12.2023)