Sly Stone hat seine Biografie geschrieben. Sie heißt
Sly Stone hat seine Biografie geschrieben. Sie heißt "Thank You (Falettinme Be Mice Elf Agin)". Wer hätte gedacht, dass er über so viele Erinnerungen verfügt?
imago/ZUMA Press

Die letzten 40 Jahre verbrachte der Mann im Status "Was, der lebt noch?". Sly Stone ist eines der größten Rätsel der Popgeschichte. Denn bis auf wenige erratische Auftritte wie bei den Grammys 2006 oder seiner Aufnahme in die Rock 'n' Roll Hall of Fame in den 1990ern war der Musiker weg von der Bildfläche. Verloren gegangen in einem Nebel aus Drogen und Problemen mit Steuerbehörden und der Polizei.

Oft hörte man jahrelang nichts von ihm – außer die alten Songs. Denn der als Kopf der Band Sly and the Family Stone weltberühmte Musiker verzeichnete in seinen aktiven Jahren eine Reihe von Hits und epochalen Alben, die, anders als ihr Schöpfer, nie verschwunden sind: Werke wie Stand! (1969), There’s a Riot Going On (1971) oder Fresh (1974), Songs wie Family Affair, Everyday People oder das seiner nun auf Englisch erschienenen Biografie den Titel leihende Thank You (Falettinme Be Mice Elf Agin).

Sly & The Family Stone "Everyday People & Dance To The Music" on The Ed Sullivan Show
The Ed Sullivan Show

Mit einer Biografie haben wenige gerechnet, denn dass der heute 80-Jährige über ausreichend Erinnerungen verfügen könnte, das war nicht absehbar. Substanzen wie Crack, Angel Dust und Kokain standen jahrzehntelang auf dem Menüplan des 1943 als Sylvester Stewart geborenen Musikers.

Und hätten sein Körper und die diesen betreuenden Ärzte ihm nicht klargemacht, dass die Frage "Entzug oder Tod?" lautet, er hätte fröhlich weiter Drogen genommen. "I would say that drugs didn’t affect me too much, but I didn’t have to be around me" – so beginnt Stones Buch, das er mit Ben Greenman verfasst hat.

Von Prince bis Miles Davis

Ermöglicht hat es der Musiker Ahmir Thompson. Der ist als Questlove Drummer der Hip-Hop-Band The Roots und einer der wesentlichen Chronisten afroamerikanischer Popkultur. Für Sly Stones Biografie hat er eigens einen Verlag gegründet, zurzeit dreht er außerdem eine Filmdoku über den Mann – eine persönliche und traumatische Erinnerung an die Musik des Sly Stone beschreibt Questlove im Vorwort des Buchs.

Mit Sly and the Family Stone wurde Stewart im San Francisco der späten 1960er- und frühen 1970er-Jahre ein Superstar. Die Hippiekultur stand in voller Blüte, die Mischung der Band aus Soul, Funk und Rock traf den Zeitgeist punktgenau. Die Gruppe beeinflusste unzählige Acts, darunter Kapazunder wie Prince, Miles Davis, Michael Jackson oder Rick James.

Auf allen vieren, aber am Leben: Sly Stone blickt zurück.
AP

Und über unzählige Samples (von Janet Jackson, D’Angelo oder den Beastie Boys) blieb Stone selbst dann noch ein wenig präsent, als er längst weg vom Fenster war. Er begrüßte die Sampling-Kultur des Hip-Hop ausdrücklich: Selbst wenn ihm dabei viel Geld entgangen ist, betrachtete er sie als legitime Methode, etwas aufregendes Neues zu kreieren, und als einen evolutionären Prozess.

Die Erzählweise des Musikers ist trocken und lapidar, dabei durchaus detailreich und informativ. Dass ihn sein im Kinofilm Woodstock dokumentierter Auftritt beim gleichnamigen Festival 1969 zum Superstar gemacht hat, nahm er achselzuckend zur Kenntnis. "I didn’t see it, but someone told me I was the star." Sly Stone ("Sly ist schlüpfrig, Stone solide") kam als Radio-DJ zur Musik. Er war in den frühen 1970ern einer der Ersten, die mit Drumcomputern gearbeitet hatten, gekleidet war er stets wie ein Ufo-Kapitän aus dem Paralleluniversum Freakistan. Er fuhr Rolls-Royce, war ein stets gut bewaffneter Hippie – "I’m from Texas" – und gab in guten Jahren bis zu 200.000 Dollar für Kleidung aus. Neigungsgruppe bunt bis glitzerig.

Treuer Freundeskreis

Seine Biografie zeigt einen Mann, der nie aufgehört hat, kreativ zu sein, da mochte ihm die Steuerbehörde alles unter dem Allerwertesten wegpfänden, Musik hat er immer gemacht, nur veröffentlicht wurde sie nicht mehr. Aus diversen Gründen.

Family Affair - Sly & Family Stone (UK#15 USA#01) 1972
Family Affair - Sly & Family Stone (UK#15 USA#01) 1972
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Doch irgendwie ging sich das Leben in der Abhängigkeit und innerhalb eines treuen Freundeskreises aus, das reichte ihm. Zur Not sprangen Förderer ein, etwa Michael Jacksons Nachlassverwaltung, die sich die US-Rechte für Stones Katalog gesichert hatte und damit dessen Urheber finanziell versorgte. Doch die lapidare Erzählweise verbirgt nicht, dass es in den Jahren abseits der öffentlichen Wahrnehmung schon ziemliche Durststrecken gegeben hat.

Es waren jene Zeiten, die viele denken ließen, er sei längst abgetreten. Es waren bescheidene, oft nomadenhafte Phasen in einer Patchwork-artigen Familiensituation, über die Stewart ohne Bitternis erzählt. Und selbst wenn Enttäuschung spürbar ist, sucht er die Schuld dafür nicht bei anderen.

Diese Zeit kommt zwangsweise ohne große Offenbarungen aus, man weiß, wofür Junkies leben. Am Ende rettete sich der Mann mithilfe treuer Freundinnen und Freunde selbst. In einem Umfeld, in dem die großfamiliäre Hippie-Idee immer noch nachwirkt. (Karl Fluch, 14.12.2023)