Wien-Museum
Kapazunder in der großen Halle: von den Originalfiguren des Donnerbrunnens über ein Modell des Stephansdoms bis zum Praterwal.
Lisa Rastl / Wien Museum

Um zu den großen Highlights zu gelangen, muss man sich etwas gedulden. Die neue Dauerausstellung des Wien-Museums beginnt gleich nach der Eingangshalle chronologisch mit den ersten Siedlungen auf dem heutigen Stadtgebiet von vor rund 8000 Jahren. Ein digitales Modell der Stadt Wien macht das rasante Wachstum im Zeitraffer deutlich: von Vindobona über die osmanischen Belagerungen, den Ausbau der Vorstädte, den Bau der Ringstraße, die Donauregulierung, die Errichtung des Bahnnetzes bis hin zur Errichtung der Gemeindebauten sowie zur modernen Erweiterung des urbanen Gebiets.

Das Wien Museum am Karlsplatz wird am Mittwochabend nach dem Umbau feierlich eröffnet. Am Vormittag hat dort bereits ein Pressegespräch mit dem Direktor Matti Bunzl und Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler stattgefunden
APA

Ein sehr komprimierter Überblick des Zeithorizonts dieser umfassenden Präsentation, die den treffenden Titel Wien. Meine Geschichte trägt und in vielerlei Hinsicht für alle gemacht ist. Ihre komplette Neuaufstellung gilt als Herzstück des drei Jahre lang umgebauten und sanierten Stadtmuseums durch das Architektenteam Certov, Winkler + Ruck, das dieser Tage seine Wiedereröffnung feiert. Am Mittwoch ab 20 Uhr können erste Besucher und Besucherinnen ins Haus, ab Donnerstag ist das Wien-Museum dann regulär geöffnet. Wobei es für den Andrang der ersten vier Wochen Timeslots geben wird, wie Direktor Matti Bunzl ankündigt.

Durch die moderne Erweiterung des denkmalgeschützten Gebäudes, das in den 1950er-Jahren nach den Entwürfen von Oswald Haerdtl errichtet wurde, konnte die Museumsfläche von 6900 auf 12.000 Quadratmeter verdoppelt werden. Dabei verteilen sich die etwa 1700 präsentierten Objekte der Dauerausstellung (auf 3300 Quadratmetern) – von denen jedes einzelne restauriert wurde – auf drei Etagen. Über der frei zugänglichen Terrasse sowie dem Lokal Trude & Töchter thront das neue "Schwebegeschoß", wo auf über 1000 Quadratmetern Sonderausstellungen stattfinden werden.

Wien-Museum
Ein digitales Modell der Stadt Wien macht das rasante Wachstum der Stadt im Zeitraffer deutlich.
Lisa Rastl, Wien Museum

Ein Novum für die Stadt

Es herrscht nun nämlich endlich genügend Platz, um die historischen und zeitgenössischen Werke aus der Sammlung des Wien-Museums durch diverse Spezialthemen zu ergänzen. Ab Februar 2024 wird man sich dort dem Architekten der benachbarten Karlskirche, Johann Bernhard Fischer von Erlach, widmen und anschließend die Präsentation Secessionen. Klimt, Stuck, Liebermann zeigen, die bereits in der Alten Nationalgalerie in Berlin große Erfolge feierte.

Im Vergleich zur Dauerpräsentation muss das Publikum hier wie gewohnt Eintritt zahlen. Das restliche Museum ist komplett kostenlos zu besichtigen – ein Novum für Österreich. Der dadurch gestiegene Budgetbedarf für die kommenden fünf Jahre wird noch im Detail erarbeitet, wie es hieß. Für 2024 stehen 27,5 Millionen Euro zur Verfügung, wobei ein Teil davon aus eigenen Rücklagen gestemmt wird.

Der freie Eintritt ist nicht nur ein demokratischer Schritt, um das Haus für alle Menschen zugänglich zu machen, sondern auch ein pragmatischer. Er ermöglicht es dem Publikum, die Dauerausstellung mehrmals zu besuchen. Ein Pluspunkt, denn die Präsentation bedarf der Ausdauer: Wenn man sie zügig besichtigt und dennoch ausreichend Zeit haben möchte, um auf Details einzugehen, sollte man zwei bis drei Stunden einrechnen. Jedes Stockwerk ist in zeitliche oder thematische Kapitel unterteilt, deren Präsentationen jeweils in einem anderen architektonischen Stil gestaltet wurden.

Wien-Museum
Drei Jahre lang wurde das Stadtmuseum durch das Architektenteam Certov, Winkler + Ruck umgebaut und saniert.
APA/ROLAND SCHLAGER

So wirken die ersten Räume im Erdgeschoß, die frühe geologische Fundstücke sowie Ausgrabungen wie Schmuck und Waffen von 2000 vor Christus zeigen, etwas gedrückt und verwinkelt. Es benötigt ein paar Augenblicke, um mit der Dichte an Objekten in der Schau zurechtzukommen. Zwar gewöhnt man sich an sie – sie setzt sich aber im gesamten Haus fort. Zahlreiche Heiligenskulpturen aus Kalksandstein, die einst am Nordturm des Stephansdoms platziert waren, weisen den Weg durch das Mittelalter und die Renaissance. Folgt man ihnen sowie einer Armee an Ritterrüstungen, bietet sich durch Öffnungen in der Decke der Blick in die große Halle im ersten Geschoß.

Wiener Originale

Dort warten die großen Kaliber des Wien-Museums, die den chronologischen Ablauf kurzzeitig durchbrechen: So schweben eine k.u.k.-Pferdekutsche, der ikonische Südbahnhof-Schriftzug sowie der zehn Meter lange Wal namens Poldi, der aus dem Gasthaus zum Walfisch aus dem Wurstelprater stammt und als einziges Objekt noch vor der Fertigstellung ins Haus transportiert wurde, meterhoch in der Luft. Darunter tummeln sich die Originalfiguren des Donnerbrunnens, die zu den wertvollsten Objekten der insgesamt über eine Million Artefakte umfassenden Sammlung zählen.

1739 entwarf der Bildhauer Georg Raphael Donner den zentralen Brunnen auf dem Mehlmarkt, dem heutigen Neuen Markt. Etwa 100 Jahre später mussten alle Figuren wegen ihrer empfindlichen Blei-Zinn-Legierung durch Bronzekopien ersetzt werden. Warum man aber die Flussskulpturen in der Ausstellung nicht zum gesamten Brunnen-Ensemble arrangiert vorfindet, sondern auf einzelnen Sockeln verteilt, bleibt fraglich.

Ab da erstreckt sich die Schau von Barock und Aufklärung über Biedermeier hin zur Zeit des Baus der Ringstraße – in einem der gelungensten Säle. In dem altrosa getünchten Ambiente vereinen sich zahlreiche Exponate einer Zeit, in der Wien gedieh und boomte. Nicht nur Gemälde von Tina Blau oder Hans Makart berichten davon, sondern auch Alltagsobjekte wie Kleider, Fächer oder ein erstes Wasserklosett. Auch die Geschichten der "einfachen" Bevölkerung und Arbeiterschicht werden wie in anderen Bereichen der Schau beleuchtet. Ein wichtiges Anliegen der Kuratorinnen Elke Doppler und Michaela Kronberger: Sie wollten keine Geschichte der Objekte, sondern jene der Menschen dahinter erzählen.

Wien-Museum
Wien um 1900: Eine dichte Galerie zeigt Gemälde von Klimt, Schiele und Co.
Lisa Rastl, Wien Museum

Vorbildliche Zugänglichkeit

Auffallend sind die spielerischen, partizipativen und inklusiven Zugänge, die sich durch die gesamte Dauerausstellung ziehen. So gibt es immer ausreichend Informationen, die durch ergänzende und aufklappbare Stationen vertieft werden können. Ein Online-Guide ist auf der Webseite frei verfügbar. Einzelne Bereiche sind bewusst für Kinder und Schulklassen gestaltet. Anhand bestimmter Personen – beispielsweise Maria Theresia – werden zeitliche Phänomene aufgegriffen und anhand von Diagrammen oder Zeitstrahlen eingeordnet. Wie viele Herrscherinnen gab es im Europa des 18. Jahrhunderts?

Nach dem labyrinthartigen Kapitel Wien um 1900, wo zahlreiche Gemälde von Gustav Klimt (Emilie Flöge sowie Pallas Athene) oder Egon Schiele (Junge Mutter) hängen, folgt leider ein zu abrupter Übergang hin zum Ersten Weltkrieg und der Zeit des Roten Wien. Plakate, Objekte, Videos, Wandtafeln, Skulpturen: Hier wollte man zu viel auf zu wenig Raum. Dieses Tempo zieht sich weiter, wobei das Kapitel zum Zweiten Weltkrieg ausführlich und reflektiert gestaltet wurde. Eine freigelegte Fassadenbeschriftung erinnert an das Schicksal des jüdischen Juweliers Hans Grünsfeld, der in das KZ Dachau deportiert und dessen Geschäft in der Wiener Favoritenstraße "arisiert" wurde.

Wien-Museum
Anders als bei der alten Dauerausstellung gelangt man nun bis in die Gegenwart und lässt Menschen aus Wien zu Wort kommen.
Lisa Rastl, Wien Museum

Kritik wird ausgeleuchtet

Generell werden aus heutiger Sicht problematische Aspekte direkt benannt und in Kontext gesetzt. Das rekonstruierte Wohnzimmer von Adolf Loos kommt beispielsweise nicht ohne Kapitel zu seiner Vergangenheit als Sexualstraftäter aus. Und anhand eines Prunksessels von Otto Wagner (samt versteckter Botschaft) für den umstrittenen Wiener Bürgermeister Karl Lueger wird ohne Umschweife dessen Bezug zum Antisemitismus behandelt – und direkt auf heutige politische Diskussionen verwiesen. An ausgewählten Stellen blickt man pointiert aus der Vergangenheit in die Gegenwart.

Anders als die ehemalige Dauerschau endet die Neuaufstellung im Heute und mit Themen wie Migration, Umwelt und Soziales. Zahlreiche Menschen, die in Wien leben, kommen zu Wort, alltägliche Objekte wie Protestschilder oder ein Foodora-Rucksack stehen für gesellschaftliche Aspekte. So findet sich das Publikum in einem Dschungel aus heutigen Fragestellungen wieder, denen sich Wien als Stadt aktuell und auch in Zukunft widmen muss: Wie leben wir? Wie gehen wir miteinander um? Wer sind wir? (Katharina Rustler, 6.12.2023)