Mein letzter Beitrag zum Internationalen Kindertag am 1. Juni widmete sich der Frage, warum die Klimakrise im Grunde eine Kinder(rechts)krise ist. Im Fokus lag dabei die Tatsache, dass Kinder auf Basis der Verfassung besondere, konkrete und stark ausgestaltete Rechte haben. Diese beinhalten die Einzelrechte auf Schutz und Fürsorge, bestmögliche Entwicklung und Entfaltung sowie auf Wahrung der Interessen von Kindern, insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Generationengerechtigkeit – kurzum ein Recht auf Wahrung des sogenannten Kindeswohls (vgl. Artikel 1 BVG Kinderrechte). Dieser Anspruch auf staatlichen Schutz wird vor allem dann verletzt, wenn der Staat es versäumt, Kinder bestmöglich vor gegenwärtigen oder bereits absehbaren Gefahren zu bewahren.

Die Klimakrise und ihre Folgen stellen eine solche Gefahr dar, die sich bereits in der Gegenwart manifestiert und die mit fortschreitender Zeit immer gravierendere Ausmaße annehmen wird. Die vonseiten des Staates bislang ergriffenen Maßnahmen zur Bewältigung der Klimakrise lassen zwar in den letzten Jahren eine gewisse Bewegung in die richtige Richtung erkennen, sind jedoch – folgt man den wissenschaftlichen Fakten – als eindeutig unzureichend einzustufen. Die damit einhergehenden Folgen belasten besonders Kinder sowohl in physischer als auch psychischer Hinsicht enorm. Wird daher der die Klimakrise befeuernde exzessive Treibhausgasausstoß durch bestehende Gesetze gefördert oder lediglich zum Schein begrenzt, verletzt der Staat Kinder dadurch in ihrem Recht auf Wahrung des Kindeswohls.

Kind hält Plakat in den blauen Himmel mit der Aufschrift
Die Folgen der Klimakrise belasten besonders Kinder sowohl in physischer als auch psychischer Hinsicht enorm.
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Vom Gesetzgeber vergessen

Wie bei jeder (potenziellen) Rechtsverletzung drängt sich auch in diesem Zusammenhang die Frage auf, welche rechtlichen Schritte dagegen unternommen werden können. Im Fall von Kindern lautet die bedauerliche Antwort aktuell in den meisten Fällen: recht wenig.

Der direkte Weg zum Verfassungsgerichtshof (mittels Individualantrag) ist Kindern derzeit scheinbar versperrt, da der Gerichtshof die Zulässigkeitshürden so hoch ansetzt, dass es gerade für Kinder schier unmöglich ist, sie erfolgreich zu überwinden. Das liegt vor allem daran, dass klimaschädliche Gesetze Kinder so gut wie nie als Normadressat:innen oder gar Parteien ausweisen, auch wenn sie von klimaschädlichen Normen besonders betroffen sind. Kinder werden bisher vom Gesetzgeber in Umwelt- und Klimaschutzangelegenheiten schlichtweg nicht als besonders schützenswerte Personengruppe mitgedacht. In vergleichbarer Weise hat auch der Verfassungsgerichtshof in seiner bisherigen Rechtsprechung nicht erkennen lassen, dass Fälle, in denen die Rechte von Kindern durch umwelt- oder klimakrisenbedingte Gefahren bedroht werden, hinsichtlich der Zulässigkeitsvoraussetzungen in irgendeiner Weise speziell zu behandeln wären. Dies alles ungeachtet der besonderen Schutzrechte, die Kindern durch die Verfassung garantiert werden.

Hält der Verfassungsgerichtshof an dieser undifferenzierten und konservativen Auslegung der formellen Voraussetzungen für Individualanträge fest, wird es Kindern wohl auch in Zukunft unmöglich sein, Bedenken hinsichtlich etwaiger Verletzungen ihrer Verfassungsrechte erfolgreich geltend zu machen. Da Kinderinteressen bei der Behandlung von Umwelt- und Klimaschutzangelegenheiten auch vom einfachen Gesetzgeber nur allzu gerne "vergessen" werden, sind auch sonst keine Verfahren denkbar, in denen sie Rechtsverletzungen durch nicht ausreichend gewährten (Klima-)Schutz geltend machen könnten. Kinder stehen somit vor dem Dilemma, zwar ausdrücklich Träger:innen starker Verfassungsrechte zu sein, diese aber nicht durchsetzen zu können. Es fehlt schlichtweg am nötigen Rechtsschutz.

Das Rechtsschutzdefizit vor dem Hintergrund der UN-Kinderrechtskonvention

Richtet man den Blick über den österreichischen Tellerrand hinaus, wird deutlich, dass dieses grundlegende Problem in unterschiedlichen internationalen Foren bereits seit Längerem ausgiebig diskutiert wird. Zuletzt stellte das UN-Kinderrechtskomitee in seinem "General Comment No. 26" zur UN-Kinderrechtskonvention (KRK) klar, dass Kinder von politischen Entscheidungen im Umwelt- und Klimabereich in ganz besonderem Maße betroffen sind. Die vielfältigen Auswirkungen auf ihre Entwicklung und ihr Wohlergehen sind für das Komitee offenkundig. Kinderinteressen sollen daher bei der Schaffung und Umsetzung von umweltbezogenen Rechtsnormen als primäre Überlegungen in den Gesetzgebungsprozess einfließen.

Festgehalten wird außerdem, dass die Vertragsstaaten der KRK die Verantwortung für die Bewältigung und Abwehr vorhersehbarer umweltbezogener Bedrohungen von Kindern zu tragen haben, die sich durch ihre Handlungen und Unterlassungen ergeben, selbst wenn diese Folgen erst in entfernter Zukunft vollständig offenbar werden. Da Kinder um ein Vielfaches vulnerabler sind als Erwachsene, leiden sie tendenziell auch stärker unter Umweltbelastungen. Daher sollten nach Ansicht des Komitees vor allem präventive Regelungen geschaffen werden, welche die Auswirkungen politischer (Umwelt-)Entscheidungen auf Kinder berücksichtigen und so weit wie möglich vermeiden. Ebenso deutlich zeigt der General Comment No. 26 auf, dass Kindern hinsichtlich der Rechtsdurchsetzung in Umweltangelegenheiten erhebliche Hürden entgegenstehen.

Diese Hürden sollten nach Ansicht des Kinderrechtskomitees von den Vertragsstaaten möglichst rasch und umfassend abgebaut und das Rechtsschutzsystem so gestaltet werden, dass ein kindgerechter Zugang zu Rechtsschutzinstrumenten gewährleistet ist. Der Schlüssel hierbei ist sowohl in der Einräumung einer Parteistellung in den entsprechenden Verfahren als auch in der möglichst niederschwelligen Ausgestaltung der Verfahrensführung selbst zu sehen.

Handlungsbedarf

Misst man das österreichische Rechtssystem an diesen Standards, wird schnell klar, dass in nahezu sämtlichen, vom UN-Kinderrechtskomitee angesprochenen Bereichen dringender Handlungsbedarf besteht. Nach derzeitigem Stand spielen die Interessen und der Schutz von Kindern in Umwelt- und Klimaschutzangelegenheiten meist keine, wenn überhaupt dann allerdings eine sehr untergeordnete Rolle. Ebenso fehlt es über weite Teile des Umwelt- und Klimaschutzrechts hinweg an geeigneten Möglichkeiten für Kinder, sich auf rechtlichem Wege Gehör zu verschaffen und die Wahrung ihrer Rechte effektiv einzufordern. Bedenklich ist dies insbesondere deshalb, weil das österreichische Bundesverfassungsgesetz über die Rechte von Kindern (BVG Kinderrechte) in Umsetzung der UN-Kinderrechtskonvention erlassen wurde und die Ausführungen des Kinderrechtskomitees daher zumindest als Anhaltspunkte im Zusammenhang mit der Auslegung des Gesetzes und der darin enthaltenen Rechte Beachtung finden sollten. Eine entsprechende Dynamik in diese Richtung ist bisher jedoch bedauerlicherweise nicht erkennbar.

Generationenklage 2.0 in Österreich

Wie schwierig es für Kinder in Österreich ist, ihr Recht auf Schutz und Wahrung des Kindeswohls durchzusetzen, zeigt sich aktuell anhand jener österreichischen Klimaklage, die von mehreren Kindern und Jugendlichen am 20. November 2023 – dem Tag der Kinderrechte – in Form eines Individualantrages gemäß Artikel 140 B-VG zum wiederholten Male beim Verfassungsgerichtshof eingebracht wurde. Dieser Antrag zielt erneut auf die Anfechtung des noch gültigen, jedoch völlig wirkungslosen Klimaschutzgesetzes ab. Da ihr erster Antrag im Sommer 2023 vom Verfassungsgerichtshof aus formalen Gründen als "zu eng gefasst" zurückgewiesen wurde, beantragen die Antragsteller:innen nun eine stufenweise Streichung verschiedener Teile des Gesetzes bis hin zu dessen vollständiger Aufhebung.

Ein erhoffter Erfolg wäre es für die Antragsteller:innen bereits, wenn der Gerichtshof ihren Antrag zumindest inhaltlich prüfen und sich mit den geltend gemachten Rechtsverletzungen auseinandersetzen würde. Selbst wenn den Kindern inhaltlich nicht gefolgt werden würde, wäre dies zumindest ein Signal dafür, dass ihre besonders ausgestalteten Verfassungsrechte ihnen tatsächlich Schutz bieten und sie diese im Ernstfall auch erfolgreich einfordern und geltend machen können. Zumindest im Wege von Individualanträgen stünde Kindern dann ein effektives – wenn auch schwer nutzbares – Rechtsschutzinstrument zur Wahrung ihrer Rechte zur Verfügung. Eine erneute Unzulässigkeitsentscheidung würde hingegen die prekäre Situation, in der sich die Kinderrechte hinsichtlich ihrer Durchsetzbarkeit momentan befinden, zusätzlich unterstreichen. Im Nachhall des internationalen Tags der Kinderrechte wäre es in jedem Fall wünschenswert, wenn sich der Verfassungsgerichtshof in seiner Rechtsprechung zumindest geringfügig "bewegen" würde; es geht schließlich um nichts weniger als um das Wohlergehen aller Kinder. (Florian Graber, 11.12.2023)