Das Ende des Kreuzwegs wird absehbar. "Die Wiedereröffnung ist für den 8. Dezember 2024 geplant", bestätigte Frédérique Meyer vom zuständigen Gremium Rebâtir Notre-Dame de Paris gegenüber dem STANDARD auf Anfrage. Die berühmteste Kathedrale der Welt war am 15. April 2019 wegen eines Kurzschlusses oder einer weggeworfenen Zigarette – die Ermittlungen laufen weiterhin – fast vollständig ausgebrannt. Teilweise neu errichtet, von Grund auf renoviert, soll sie ihre Pforten nach fünfeinhalb Jahren wieder öffnen.

Bauarbeiten bei der Notre-Dame-Kathedrale in Paris.
In einem Jahr soll Notre-Dame neu eröffnet werden.
AP/Michel Euler

Präsident Emmanuel Macron hatte kurz nach dem Flammeninferno erklärt, er wünsche eine Wiedereröffnung binnen fünf Jahren. Damit wäre das meistbesuchte Monument von Paris (zwölf Millionen Gäste im Jahr 2018) schon zu den Olympischen Sommerspielen im nächsten Juli zumindest teilweise bereit gewesen. Jetzt traf Macron aber die sicher kluge Entscheidung, die Wiedereröffnung nicht gestaffelt vorzunehmen, sondern gebündelt an einem Tag – dem 8. Dezember 2024.

Chefkoordinator gestorben

Auch diese Vorgabe zwingt namentlich die Planer zu einer Parforceleistung. Nach dem im August erfolgten Unfalltod des Chefkoordinators Jean-Louis Georgelin, eines Generals a.D., muss nun sein bisheriger Stellvertreter Philippe Jost dafür sorgen, dass der Zeitplan weiterhin eingehalten wird. Nach dem Brand hatte Macron selbst Zeit verloren, weil er zuerst eine "zeitgenössische" Rekonstruktion anregte.

Ungebetene Eingaben für ein Schwimmbad oder ein Biotop auf dem Dach des knapp 900 Jahre alten Gotteshauses bewirkten dann aber das Gegenteil: Die öffentliche Meinung und die meisten Architekten plädierten für eine "bewahrende" Renovation. Auch der verantwortliche Pater Gilles Drouin musste zurückrudern, nachdem er die nach oben strebende Innenbeleuchtung der gotischen Basilika hatte ändern wollen. Zur besseren Lektüre der Gebetsbücher wollte er auch die Holzbänke mit LED-Lämpchen versehen.

Mittelalterliche Technik

Seitdem Macron einen Wiederaufbau "à l'identique", also ein Erscheinungsbild genau wie vor dem Brand, dekretiert hat, laufen die pharaonischen Renovierungsarbeiten mit tausend Beschäftigten – die Hälfte auf der Baustelle selbst – auf Hochtouren. Die teils abgebrannten Seitenmauern wurden wie im Mittelalter durch Kalkstein aus der Oise-Gegend nördlich von Paris ersetzt. Die Maurer entdeckten dabei, dass die mittelalterlichen Quader durch Eisenzwingen zusammengehalten wurden – und übernahmen die Technik aus Respekt für die früheren, weniger gut ausgerüsteten Kathedralenbauer.

Der auf dem erneuerten Mauerwerk aufgesetzte Dachstuhl und der Spitzturm – der bei dem Brand in schrecklicher Zeitlupe in das Flammenmeer gekippt war – erforderten 2000 Eichenstämme. Sie stammen aus diversen Wäldern im Loire-Tal, der Normandie und den Ardennen. Der fein ziselierte, 96 Meter hohe Dachaufsetzer wurde in Lothringen gezimmert. Er wurde kürzlich auf dem hölzernen Tragwerk installiert, ist allerdings noch unsichtbar verschalt. Ganz oben prangt der Blitzableiter in Form eines meterlangen Hahns, der den Brand und den Sturz in die Glut fast unversehrt überlebt hatte.

Internationale Zusammenarbeit

Weitere Renovierungsarbeiten laufen dazu in ganz Frankreich. In Montpellier und dem Burgund reinigen Spezialisten die fast 8000 Pfeifen der fast 300 Jahre alten Notre-Dame-Orgel vom Ruß. Ateliers in der Kathedralenstadt Chartres, aber auch in Deutschland und Italien säubern die 3000 Quadratmeter umfassenden Glasfenster.

Eine Jury unter Leitung der Pariser Bürgermeisterin Anne Hidalgo hat die Umgebung von Notre-Dame auf der Île de la Cité (Stadtinsel) neu gestaltet. Das Parkhaus unter dem Vorplatz der Kirche, von der aus alle Distanzen im Land gemessen werden, wird aufgelöst. Eine von der Seine her erreichbare Fußgängerpassage tritt an seine Stelle. Auf drei Seiten wird Notre-Dame von Bäumen umgeben, die den begrünten Vorplatz der Kirche als "Lichtung" erscheinen lassen, wie die Urbanisten sagten.

Ein Problem bleibt

Bleibt ein Stolperstein – auf dem Kirchendach. Den Anwohnern ist nach dem Brand tagelang ein gelblicher Nebel aus Eisenpartikeln in Erinnerung geblieben. Er führte zur vorübergehenden Schließung naher Schulen, deren Pausenplätze von einer millimeterdicken Rußschicht belegt waren.

Jetzt kehrt die Debatte über die 500 Tonnen Blei auf dem Dach der Kathedrale zurück. Die grüne Senatorin Anne Souyris hatte vergangene Woche einen Baustopp verlangt, um die Schadstoffbelastung durch die renovierte Kathedrale messen zu können. "Da bis heute noch keine seriöse Studie erstellt wurde, verlange ich eine umgehende Unterbrechung der Bauarbeiten", sagte sie. Sollte das Parlament oder ein Gericht einen Baustopp verfügen, sähe es schlecht aus für Macrons Versprechen, das Pariser Wahrzeichen noch 2024 der Öffentlichkeit zurückzugeben. (Stefan Brändle aus Paris, 6.12.2023)