Taylor Swift lässt die Muskeln spielen. 2023 war ihr Jahr, 2024 wird es wohl ebenfalls, aber was kommt dann?
Taylor Swift lässt die Muskeln spielen. 2023 war ihr Jahr, 2024 wird es wohl ebenfalls, aber was kommt dann?
Chris Pizzello/Invision/AP

Während viele Menschen dieses Jahr unter der Rekordinflation litten, jubilierte Taylor Swift ob der Inflation ihrer Rekorde. Kaum eine Woche verging, in der sie keinen neuen aufgestellt oder einen alten gebrochen hat, dabei war es nicht selten ein eigener, den sie übertrumpfen konnte.

Taylor Swift war heuer der am meisten gestreamte Act auf den Online-Plattformen Apple Music und Spotify. Ihr Konzertfilm Taylor Swift: The Eras Tour lief im Oktober in den Kinos an und wurde zum Blockbuster. Bei Herstellungskosten von kolportierten zehn bis 20 Millionen Dollar hat er nach wenigen Wochen 250 Millionen eingespielt. Mittlerweile ist er bei den Streamern gelandet, um 16 Euro kann man sich den Dreistünder auf Amazon Prime ausleihen. Nicht gerade ein Schnäppchen – andererseits zahlten manche für ihre Konzertkarten tausende Dollars.

Die 66 Auftritte in Nord- und Südamerika der Eras Tour sollen Swift über 1,1 Milliarden Dollar beschert haben. Noch ein Rekord. Und das ist nur ein Viertel der Einnahmen, die ihr für Ende 2024 in Aussicht gestellt werden. Da soll die Eras Tour den Rest der Welt erreicht haben. Über vier Milliarden Dollar wird sie Ende kommenden Jahres allein aus der Tournee lukriert haben. Fehlt nur noch ein Lottosechser zum Glück.

Rekorde und Tratsch

Als Anerkennung ihres Status wählte sie das Time Magazine Anfang Dezember zur "Person of the Year". Das ist nicht immer eine Auszeichnung, da wurde schon Despoten genannt, doch in ihrem Fall wäre es vermessen, es nicht als solche zu deuten. Niemand im Pop besitzt zurzeit mehr Strahlkraft. Die 34-jährige US-Amerikanerin ist der größte Popstar der Welt. Und das nicht erst seit heuer. Schon die Jahre davor wirkten wie die Chronik einer angekündigten Weltherrschaft, begleitet von medialer Präsenz, befeuert von, schon wieder, Rekorden und Gossip.

Time Magazine ist sich sicher: Swift ist die
Das "Time Magazine" ist sich sicher: Swift ist die "Person of the Year".
via REUTERS/INEZ AND VINOODH FOR

Tritt sie in einer Stadt auf, brummt dort die Wirtschaft – zumindest kurzweilig. Ja, sogar die Erde brummt mit: Die Swifties, so heißen ihre Fans, haben bei Konzerten in Seattle im Sommer ein Erdbeben der Stärke 2,3 ausgelöst. Das ist nicht einmal den Einstürzenden Neubauten gelungen, aber die heißen ja auch nur so arg.

Doch jedem Zuspruch folgt die Ablehnung wie ein Schatten. Das war schon immer so. Elvis Presley wurde ebenso angefeindet wie die Beatles, die Rolling Stones, Michael Jackson oder Prince und natürlich Madonna. Wobei Swift im Unterschied zu den Genannten für keine besondere Zäsur im Pop steht. Ihre Musik ist konsenstaugliche Popmusik mit Wurzeln im konservativen Country. Ihre Produzenten wie Jack Antonoff sind kühl kalkulierende Mainstream-Vollstrecker.

Weiße Privilegierte

Selbst privat lief es bei Swift heuer wie nach einem Drehbuch aus der Schmonzetten-Liga. Ihr akuter Herzbube Travis Kelce ist ein Football-Star in Kansas. Mehr Klischee geht kaum. Schließlich ist Swift so etwas wie das "All American Girl" – wobei das stets nur das weiße Amerika meint. Aus dieser Gruppe setzt sich ihre Fanbase überwiegend zusammen. Für viele Afroamerikanerinnen oder Latinas ist sie die prototypische "privilegierte Weiße".

Eine Diagnose, die ihr Elternhaus nicht entschärft: Ihr Vater war Vermögensberater, die Mutter leitende Angestellte, mittlerweile sind beide im Familienunternehmen Taylor Swift engagiert. Zwar hat Swift Fans quer und queer durchs menschliche Angebot, doch die Mehrheit ist weiß, weiblich, besser gebildet oder gerade am Weg dazu. Und für die singt Swift, deren Probleme sind ihre, zumindest einen Song lang.

1,1 Milliarden Dollar soll ihr der erste Ableger ihrer
1,1 Milliarden Dollar soll ihr der erste Ableger ihrer "Eras Tour" heuer eingebracht haben. Fehlt nur noch ein Lottosechser zum Glück.
AFP/MICHAEL TRAN

Der größte Widerstand gegen Swift ist geschmäcklerischer Natur. Und so viel ist sicher: Man kann über Geschmack endlos streiten, es bringt nur nichts. Ihre Lieder seien Stangenware, ihre Texte floskelhaft, ihre Melodien abgegriffen, lautet die Kritik. Fans vergleichen sie hingegen mit Größen wie Bob Dylan, Joni Mitchell oder Paul McCartney, der ein ausgewiesener Swifty ist. Doch selbst dieses Aufwiegen von bedeutungsschweren Namen bringt nicht viel.

Beleg und Antithese

Faktum ist, Swift bietet mit ihrer Musik vielen Menschen eine Identifikationsfläche. Sie spendet Trost, Freude, Gemeinsamkeit. Das ist nicht nichts, das ist toll. Musik besitzt eine lebensverändernde Kraft. Das kann ein Hinweis auf große Kunst ebenso sein wie auf massenhafte Geschmacksverirrung, weggehen tut sie so oder so nicht.

Ihre Songs mögen egozentrische Kleinode sein, die eine sich über ihre Netz-Accounts definierende Generation von Ich-Maschinen berührt. Gleichzeitig lebt Swift ein soziales Leben vor. Die Liste ihrer philanthropischen Zuwendungen und Engagements ist so lange, um damit ein durchschnittliches Eigenheim zu tapezieren. Und man muss Swift ja nicht hören, wenn man das Gefühl hat, anderswo besser bedient zu werden.

Taylor Swift und Donna Kelce (rechts hinten). Gemeinsam schauen sie sich ein Footballspiel von Travis Kelce an, der ist Swifts akuter Herzbube und der Sohn von Donna.
Taylor Swift und Donna Kelce (rechts hinten). Gemeinsam schauen sie sich ein Footballspiel von Travis Kelce an. Der ist Swifts akuter Herzbube und Donnas Bubi.
GETTY IMAGES NORTH AMERICA/JAMIE

Doch selbst abseits ihrer Kunst ist Swift als Phänomen interessant. Sie ist eine ökonomische Supermacht im Pop, sie dominiert die sogenannten sozialen Medien, denen der Vorwurf gemacht wird, der Tod für klassische Popformate zu sein, weil dort nur noch infizierende Schnipsel verfangen, keine ganzen Songs.

Swift ist dafür Beleg wie Antithese. Sie veröffentlicht wertkonservativ Alben, verfestigt das Format bei ihren Fans. In ihre Lieder streut sie Codes und Hinweise, die Swifties wie bei einer akustischen Schnitzeljagd suchen, um sie zu deuten. Was früher Fanclubs erfüllt haben, multipliziert heute das Netz zum globalen Phänomen. Niemand vereint in sich die traditionelle Welt des Musikgeschäfts und die Vermarktungsstrategien des Netzes wie Swift. Selbst wenn ihre Musik keine revolutionäre Qualität besitzen, ihr damit erworbener kultureller Status tut es.

Wann kippt die Euphorie?

Sie lebt vor, wie man die oft parasitäre Logik der Unterhaltungsindustrie umgeht oder aushebelt. Jemand wie sie hätte womöglich die Macht, die schändlichen Bezahlmodelle von Spotify und Co zu verändern, ohne befürchten zu müssen, darunter zu leiden. Deshalb ist der Blick in Swifts Zukunft spannender als die Chronik vergangener Rekorde. Wie wird sie ihren Einfluss nützen? Wie lange geht es noch nach oben? Wann wird’s langweilig? Wann wird die Euphorie ihrer Fans zur Routine und ins Desinteresse kippen?

Die Marktlogik kennt ein Innehalten nicht, der Weg zurück ist nicht vorgesehen, denn der führt nach unten. Doch Swifts Wirkmacht ist so immens, dass sie selbst diese Situation neu definieren könnte. Egal, wofür sie sich entscheidet, wenn dieser Moment kommt, dann sollte sie eines auf keinen Fall tun: ein Weihnachtsalbum aufnehmen. Dann wäre sie wirklich am Ende. (Karl Fluch, 23.12.2023)