Frau vor Rednerpult
Als Frau allein auf weiter Flur zu sein: Das Phänomen kennen auch viele Bürgermeisterinnen.
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Reka Fekete (ÖVP) bewegt sich anmutig, gibt sich zurückhaltend und hat dabei eine herzliche Präsenz, wie man sie sich bei der Ministerpräsidentin eines skandinavischen Landes vorstellt, nicht bei der Bürgermeisterin von Au am Leithaberge, einer 1000-Seelen-Gemeinde in Niederösterreich. Sie steht im Aufenthaltsraum der Kinderkrippe, die sie innerhalb von drei Monaten aus dem Boden gestampft hat.

Das ist so eine Sache mit dem Beruf und der Vereinbarkeit, auch für die 35-jährige Bürgermeisterin: Jede freie Stunde bist du im Termin, im Gemeindeamt. Kein Wunder, dass tendenziell weniger Frauen den Job machen wollen, der weibliche Anteil liegt in Österreich bei 10,4 Prozent.

Familiäres Organisationssystem

Fekete habe das große Glück gehabt, einen emanzipierten Mann zu haben, der von Anfang an ins familiäre Organisationssystem eingebunden war. Immer habe sie gearbeitet, neben dem Studium in Wien, immer hundert Baustellen gleichzeitig, und der Mann, der nehme sich wahnsinnig zurück. "Er hat einen Termin, ich habe einen Termin. Ist das Kind krank, sagt er den Termin ab."

Im Jänner 2020 bringt Reka Fekete ihr drittes Kind zur Welt. Im März ist konstituierende Sitzung, sie geht mit einem Neugeborenen in den Sitzungssaal, wird als geschäftsführende Gemeinderätin angelobt. Bald wird klar, mit dem amtierenden Bürgermeister geht es nicht weiter, zu viel habe der blockiert. Da habe sich der Gemeinderat gefragt: "Ja, wer soll denn danach Bürgermeister werden?" Reka Fekete stellt die Gegenfrage: "Wer will denn das nicht?"

Alle müssen zum Wirt

Die Arme von Angelika Langmaier (Grüne) suchen in Wellenbewegungen den Weg zur Decke. Rote Lichter fahren über die Menge, formen einen Nebelkelch über ihren Haarsträhnen. Schon einmal, kurz vor der Wahl, sei sie auf einem IAMX-Konzert gewesen, in ihrer alten Wahlheimat Wien. Jetzt schließt sie den Kreis in Brünn. Jetzt, wo wieder Stille ist. So watch as I start to smile. After every party I die.

Später an der Bar fängt sie an zu erzählen. Stell dir vor, es ist Gemeinderatssitzung, und danach gehen alle zum Wirt. Das bedeutet Lobbyarbeit, das bedeutet Kontakte knüpfen, da muss Angelika Langmaier mitgehen, auch wenn sie oft die einzige Frau ist, das ist Beziehungsarbeit, das sei ihr sehr, sehr wichtig. Bei einer der Sitzungen im Mai habe der Altbürgermeister seinen Rücktritt verkündet, die nächste Wahl wurde überraschend vorgezogen. "Danach beim Wirten war i a bisschen damisch, wir waren alle ein bisschen damisch."

Angelika Langmaier, St. Martin im Innkreis
Andrea Gadringer

Grüne Frau im Innviertel

Im Wahlmagazin der Grünen St. Martin im Innkreis steht über das Amt der Bürgermeisterin: "Wer würde sich freiwillig einer Situation aussetzen, die auf den ersten Blick derart unattraktiv scheint?"

Angelika Langmaier, Jahrgang 1987, hat eine Antwort: "Es war für mich immer kloa, dass wir als Team bei der nächsten regulären Wahl gerne eine Bürgermeisterkandidatin hätten. Und ich hab innerlich g’spürt, dass ich das gern machen würd." Im nun vorgezogenen Wahlkampf habe sie einen zum Talk eingeladen, der mitten im Job steckt: Rudi Hemetsberger, erster Bürgermeister der Grünen in Oberösterreich. Der Rudi habe erzählt von seinem Arbeitsalltag, und Angelikas Mutter, die war halt fertig ob des ganzen Aufwands: "Und ich sag zur Mama, vor den ganzen Leuten: ‚Mama tu di ni owi, i kandidier ja nur.‘" Sie selbst habe gewusst, dass es eher unwahrscheinlich ist, dass sie Bürgermeisterin werde, "weil i a grüne Frau im Innviertel bin".

Zurück auf die Familienalm

Veronika Grill (SPÖ) nimmt eine Zigarette aus der Schachtel und stapft los, die Fichtennadeln um den Ödensee neigen ins Gelbe. Ende 2019 ist sie aus Wien zurück nach Bad Mitterndorf gekommen. Ursprünglich wollte sie ihr Jus-Studium in der Bildungskarenz abschließen, für die Prüfung braucht’s keine Wohnung in der Stadt. Damals litt sie stark unter einer Endometriose, dann kam Covid, und ihre OP wurde abgesagt. Da habe sie beschlossen: "I moch jetzt unsre Familienalm." Dabei sage jeder, "wenn du schon so weit bist im Studium, da musst du des a fertigmachen. Da hab ich mir gedacht: An Schas muss i."

Letztes Jahr im Herbst sei dann Klaus Neuper von der SPÖ auf sie zugekommen und habe gefragt, ob sie seine Assistentin werden wolle. Keine zwei Monate später habe sich herauskristallisiert, dass sie statt ihm die Bürgermeisterin von Bad Mitterndorf werden soll.

Eigentlich hätte ihre Mama, die im Gemeinderat saß, es machen sollen. Die Mama aber, die hätt’s nur gemacht aus Pflichtbewusstsein. Da habe sich Grill gesagt: "Ich versteh nicht, dass ihr keinen findets, ich find den Job großartig." Das Problem: Sie stand auf keiner Wahlliste, war nicht im Gemeinderat. Angetreten ist die jüngste (Jahrgang 1992) und erste Bürgermeisterin im Ausseerland ihr Amt als Volksbürgermeisterin – also ohne Mandat, ohne Stimmrecht, wohl aber leitet sie die Gemeinderatssitzung. Relevante Unterlagen stelle sie allen Parteien freiwillig zur Verfügung: "Ich habe nix zu verheimlichen."

Veronika Grill, Bad Mitterndorf
Nicole Seiser

Bereit für die Karriere

Im Schlafraum der Krippe sind die Jalousien heruntergezogen. Reka Fekete senkt die Stimme. Alle Stunden ist sie im Gemeindeamt, alle Stunden, die sie nicht schläft. Wenn eines ihrer Kinder die Augen schließt, liest sie Gesetze. Sie werde gerügt, wenn sie zugebe, dass sie auf der Karriereleiter noch weiter aufsteigen möchte "Die Leute sehen das nicht so gern, dass ich die Bereitschaft, mich in der Landes- oder Bundespolitik zu engagieren, offen kommuniziere. Liegt es vielleicht daran, dass ich eine Frau bin?" Dabei müsse sie niemanden repräsentieren, das interessiere sie überhaupt nicht, sie habe einfach ein gewisses Engagement: "I am ready."

Viel habe sie vom Altbürgermeister aufräumen müssen, viel Neues anschieben, Strukturen aufbauen. "Es gehört Heimatverbundenheit zu dem Amt dazu, Liebe zur Bevölkerung und zum Ort." Wenn das Auto einen Patschen hat, weiß jeder hier, wer helfen kann. Sie versuche Bottom-up zu führen, Bedürfnisse zu eruieren, abzuwägen, zu handeln. Dabei mache sie keine Unterschiede, von welcher Partei oder Familie etwas käme. Das Motto dieser ÖVPlerin: "Volle Transparenz."

Tracht und Brauchtum

Kommen ihr Spaziergängerinnen entgegen, deutet Veronika Grill ein Lächeln an, dann spricht sie mit dem Blick auf den Boden weiter. "Ich trag enorm gern Dirndl, ich trag’s wirklich gern." Auch das Thema Heimat sei ihr wichtig. Nicht in einem übertriebenen Sinne, aber das Krampusspiel im Ort, da sei sie extrem stolz drauf, die Masken sind eigens aus Holz geschnitzt. Viele der Bräuche seien religiös bedingt, die gelte es zu erhalten, sie selbst aber sei aus der Kirche ausgetreten.

Dass sie kein "alter weißer Mann" sei, sei bei ihrer Arbeit ein riesiger Vorteil, weil sie die Forderungen, die die junge Generation an die Arbeitswelt hat, besser nachvollziehen kann: "Es gibt immer die Diskussion, dass die Jugend nicht mehr arbeiten will. Aber die wollen nur nicht in alten Strukturen arbeiten." Sie habe das Glück gehabt, dass der Altbürgermeister begeistert von ihr gewesen ist. In anderen Orten sei das sicher nicht so einfach.

Leadership

Die 1987 geborene Angelika Langmaier verbringt den gesamten August damit, an den Türen von St. Martin zu läuten, nur mehr zwei Monate zur Wahl. 900 Hausbesuche, die meiste Zeit sei’s "oaschhaß" gewesen, ständig die große Herausforderung: Zeit im Blick, Team im Blick, Tempo okay? Das musst du erst einmal schaffen. "Ich hab das Gefühl gehabt, dass viele mir zu meinem Mut gratuliert haben, dass ich als Frau kandidier’." Aber es sei doch in Wahrheit für jeden Menschen ein großer Schritt. "Weißt, ein anderer würd’s net aushalten. Da denkst du dir doch, was heißt denn das: Mut?" Erschöpfung sei da gewesen, auf alle Fälle. "Weil du gegen Windmühlen kämpfst."

Am 8. Oktober 2023 geht Angelika Langmaier um sieben aus dem Haus. Das allein sei zach, abgesehen davon, dass sie ihre Tage bekommen habe. Sollte sie wer blöd anreden, hat sie sich vorgenommen zu antworten: "Hast du schon mal am Wahlsonntag menstruiert? I glaub net."

Am Ende habe sie 18,9 Prozent geholt; von so einem Ergebnis habe sie überhaupt noch nie in Verbindung mit den Grünen gehört, das seien immerhin vier Autobusse voll. In die Stichwahl seien jedoch nur die Mitbewerber gekommen, zwei Männer von der ÖVP und FPÖ. Hätte sie den Job bekommen, hätte sie einen konfliktfreudigeren Ansatz für den Ort gehabt. "Ich glaube schon, dass ich den Leuten auch mal Nein sagen kann. Das ist Führung. Das ist Leadership." Unter Beweis wird sie es nicht mehr stellen können. Der neue Bürgermeister heißt jetzt Benjamin Salhofer von der ÖVP.

Reka Fekete, Au am Leithaberge
privat

Dranbleiben

Das mit der Krippe, das sei eine verrückte Geschichte, erzählt Fekete. Schon immer habe es in Au mehr Kinder als Betreuungsplätze gegeben. Letzten Winter musste das Gemeindeamt wegen eines Verkaufs aus dem Gebäude raus. An einem Novemberabend, es war spät, die Kisten gepackt; alles leer, kalt und finster. Der Vizebürgermeister und sie: die Letzten im Gemeindeamt.

Da denkt sich Fekete: "Hearst, das sind so würdevolle Räume, so schad’ um das Gebäude." Der Vize will ein Archiv draus machen, aber sie, sie weiß ja, was Mütter im Beruf durchmachen. Sie ruft am Montag beim Land an, man brauche eine Begehung, bitte nicht erst im Frühjahr, da warten schon die nächsten Kinder, also bitte kommts noch dieses Jahr, egal wann, wir richten uns nach euch: 145.000 Euro hat das Land dann springen lassen.

"Was bringt’s, den Ärger mit sich herumzutragen?", Veronika Grill schaut nach Vorne.

Veronika Grill geht zügigen Schrittes, eine halbe Stunde dauert eine Runde um den See. Manchmal habe sie dem Altbürgermeister unter vier Augen sagen müssen, dass er jetzt eine Entscheidung treffen müsse: "Er war ein sehr guter Bürgermeister, er hatte nur ein bissi das Problem, dass er es allen recht machen wollte." Das sei auch so ein Entwicklungsprozess – da sei sie draufgekommen –, dass Menschen einfach unterschiedlich ticken. Natürlich bemühe sie sich, sich alle Anfragen genauer anzuschauen. Wenn etwas nicht möglich ist, erklärt sie, warum.

Letztlich habe die Endometriose sie auf den Boden der Realität geholt. Drei Wochen im Monat habe sie damals Schmerzen gehabt, mehrmals fuhr sie ins Krankenhaus. Deswegen sei ihr die Gendermedizin so wichtig: "Das ist so ein Thema, das macht mich wütend." Bei Frauen werden die Schmerzen immer auf die Psyche geschoben, aber "die san nie normal, schon gar nicht, wenn sie dein Alltagsleben beeinflussen". Das nehmen auch Fachärzte oft nicht ernst, da muss man ein bissl auf seinen Körper vertrauen, sich selbstbewusst auf die Füße stellen: Was bringt’s, den Ärger mit sich herumzutragen?

Eine "BH-Angelegenheit"

Im Juni 2023 steht Reka Fekete neben Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner auf dem vollen Auer Marktplatz, um die Krippe offiziell zu eröffnen. Sie hält eine Ansprache, ob der Wichtigkeit der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, das Gebäude wird gesegnet. An der Wand hängen, wie in Niederösterreich üblich, ikonenhaft: der Bundespräsident und die Landeshauptfrau. Die frohe Botschaft: Schon jetzt sind Kinder angemeldet, die seien noch nicht mal geboren.

In Bad Mitterndorf heißt es, Veronika Grill ist die Bürgermeisterin, die sich für eine reduzierte Geschwindigkeit auf der Bundesstraße einsetzt. Da seien so viele Unfälle, so sagen die Anwohnerinnen, das wurde Zeit, dass da was passiert. Sie könne nur anregen, sagt die Bürgermeisterin, aber im Endeffekt ist das eine Sache der Bezirkshauptmannschaft, eine "BH-Angelegenheit". Grill steigt in ihren roten SUV, fährt zurück über die Bundesstraße zum Gemeindeamt. Der Tacho arbeitet sich zügig hoch: Auch eine interessante Taktik, die BH auf die Unfallgefahr aufmerksam zu machen. Ihr Blick verlässt nie die Straße, sie lehnt die Schulter nur leicht zur Seite, wenn sie erzählt. Sie habe kein Problem damit, manchmal Nein zu sagen: "Wenn ich von irgendwas net überzeugt bin, dann mach ich es net."

"Es gehört Heimatverbundenheit zu dem Amt dazu, Liebe zur Bevölkerung und zum Ort", findet Reka Fekete.

Na, das mit dem Girls-in-Politics-Day, das war großartig. Da habe Fekete zehn Mädchen aus der Mittelschule eingeladen, die hatten den Kopf voller Ideen: "Meinen Sie, das wäre möglich?" Und Reka Fekete: "Ja sicher ist das möglich. Interessiert’s dich? Dann greif’s an." Mädchen brauchten das oft, dass ihnen jemand Externer sagt: Hör zu, du kannst das – ganz egal, was es ist.

Und was sagen die Externen zu der Arbeit der neuen Bürgermeisterin? Im Grunde bekomme sie nur gutes Feedback, und neulich, da habe sie jemand angesprochen: "Ich wollt’s Ihnen vor der Wahl nicht sagen, aber ich habe mir nie vorstellen können, wie das mal eine Frau machen kann." Aber jetzt, also das müsse man ihr wirklich mal sagen: "Gut machen S’ des, Madel. Wirklich."

Laura Nunziante, geboren 1986, ist freie Autorin und erforscht österreichische Dörfer.
privat

Die nächste Wahl

Angelika Langmaier springt mehrmals in die Höhe, die Musik durchzieht ihren Körper, endlich wieder durchatmen, das Konzert ist vorbei, aber die nächste Wahl, die kommt bestimmt. Nach der Stichwahl, da sei ihr die ÖVP-Delegation entgegengekommen. Sechs Männer und ein Fotograf. Da habe sie gedacht: Ihr spürts euch überhaupt nicht mehr, oder? Im Gruppenchat habe sie später unter das Foto geschrieben: Eine Welt von Männern für Männer gemacht. Auch wenn sie diese Wahl verloren habe, alle Fraktionen hatten ihr ihren Respekt ausgesprochen: "Die wissen jetzt, die Frau hat Eier." (Laura Nunziante, 10.12.2023)