Dorothea Zeemann
In ihren besten Momenten erreicht Dorothea Zeemann eine Eindringlichkeit, eine Rasanz, bisweilen unheimliche Konzentration und Abgründigkeit.
aus dem Besitz von Dorothea Zeemann

Mein erstes Buch von Dorothea Zeemann war ein Flohmarktfund. Der Klappentext von Eine Liebhaberin verspricht "erotisches Lesevergnügen". Ein Säugling zwischen einander zärtlich zugetanen Eltern, Sigmund Freud auf der ersten Seite, auf der zweiten die Hölle, auf der dritten die Scham. Sie sehe sich durchaus in der Tradition der Josefine Mutzenbacher, sagt Zeemann. "Der Leib war der Geist, und das paßte mir sehr. Leib und Geist im Einvernehmen, trugen wir uns alle zu Markt," heißt es in Eine Liebhaberin. "Mich erfreut die Lust an der Provokation." "Eh nicht ordinär genug", sagt die Autorin in Susanne Freunds sehenswertem Filmportrait Das Heimliche Fest über dieses Buch, das sie auf Publikumsgeschmack hin geschrieben habe, um Geld zu verdienen, für eine Hüftoperation. Ein bisschen Angst habe sie, missverstanden zu werden, sagt sie im Interview für die Tonspuren.

Dorothea Zeemann spielte in der österreichischen Literaturszene nach 1945 eine nicht unbedeutende Rolle, als Kritikerin, Förderin, Gesprächspartnerin, doch wurde die Wahrnehmung von Person und Werk bereits zu Lebzeiten überschattet von ihrem "Skandalbuch" Jungfrau und Reptil, Leben zwischen 1945 und 1972, in dem sie auch über die Liebesbeziehung zu Heimito von Doderer schreibt. Es ist der zweite Band ihrer Erinnerungen, nach Einübung in Katastrophen. Leben von 1913–1945. Je mehr ich von Zeemann lese, desto vielfältiger stellt sich mir ihr autobiografisches Schreiben dar.

Seelische Verstörung

Geboren 1909 in Wien, Erdberg. Die Großmutter eingewandertes, tschechisches Dienstmädel, die Mutter Näherin, der Vater viel abwesend. In Einübung in Katastrophen erzählt Zeemann von der Erschütterung der ersten Liebe. Sie ist fünfzehn, als sie ihren ersten Mann, den um zwölf Jahre älteren Maler Rudolf Holzinger, kennenlernt. Sie erzählt vom erotischen und intellektuellen Erwachsenwerden, der Bekanntschaft mit Walther Schneider, Egon Friedell, dem Kreis um Genia Schwarzwald. Der "Hitlerismus", Festnahmen und Selbstmorde von Freunden, die Kriegsjahre, die Reise nach Lemberg 1944. Ihr Mann nimmt einen Auftrag im dortigen Offizierskasino an, sie ist schwanger und soll zu essen haben. Es ist also wahr, was man sich in Wien erzählt. Sie erleidet angesichts des Grauens eine Fehlgeburt. Rückkehr nach Österreich, ihre seelische Verstörung. Kriegsende. Eine Schweinerei sei gewesen, dass die Frauen so oft auf den Stufen vergewaltigt wurden und Wirbelverletzungen davontrugen, bis hin zu Querschnittslähmungen. Zeemann war ausgebildete Krankenschwester.

Im Mittelpunkt von Rapportbuch, erschienen 1959, stehen zwei Frauenfiguren, die junge, wie man heute sagen würde, zutiefst empathische Krankenschwester Leni und Concha, die morphiumsüchtige Oberin des psychiatrischen Krankenhauses, Ausgangspunkt und zentraler Schauplatz des Romans. Ein österreichisches Panorama der Jahre 1937/38. Die stilistischen Mittel bilden die Zeit ab, die expressionistisch anmutenden Morphiumräusche der Oberin, an den Dialogen lässt sich bereits Zeemanns ganz eigener Stil erkennen. Die Kritik sehr positiv. Warum dieses Buch keinen fixen Platz in der österreichischen literarischen Geschichtsschreibung bekommen hat, erschließt sich mir nicht.

Ottilie. Ein Schicksal um Goethe, vor dem Krieg geschrieben, konnte erst danach erscheinen. Ausgangsmaterial der Briefwechsel zwischen Ottilie von Goethe und Adele Schopenhauer, der Stoff: Ottilies Leben, vierundzwanzig Liebhaber, ein uneheliches Kind, das bei der Kostfrau in Wien an Tuberkulose starb. Die Freundschaft zwischen Ottilie und dem alten Goethe. Man könnte es ein feministisches Romanprojekt nennen, doch ging es Zeemann nie darum, die Frauen als Opfer darzustellen. Da könne sie leider den Feministinnen nichts liefern, erzählt sie in den Tonspuren. Ich denke an Simone de Beauvoir, sehe Gemeinsamkeiten bei aller Verschiedenheit. Zeemann wächst in bescheidenen Verhältnissen auf. Die Großmutter kocht für den Kaiser, bringt Essen nach Hause, das an die Armen verteilt wird. Die Mutter ist eine "Rote", kämpferisch gegen soziale Ungerechtigkeit, eine erotisch selbstbewusste Frau, deren Liebesverhältnisse mit jungen Männern in der Tochter widerstreitende Gefühle auslösen.

Alter und Erotik

Dorothea Zeemann wird später kein Hehl daraus machen, dass ihr die Autoren der Wiener Gruppe nicht nur als Literaten gefielen. Sie sei schon draufgekommen, sagt sie in den Tonspuren, dass sie für junge Männer eher eine Peinlichkeit sei. Was sie nicht hinderte, bis zum Schluss Ziehsöhne um sich zu haben, Reisegefährten.

In ihren letzten beiden Büchern Reise mit Ernst und Das heimliche Fest geht es um Alter und Erotik, die Erfahrung, als nicht mehr attraktive Frau unverändert zu begehren, aber nicht mehr begehrt zu werden, um die Geilheit einer Greisin. Die Verquickung von Sex und Faschismus, den unterdrückten, pervertierten, missbräuchlichen Sex der katholischen Kirche. Übrigens wird bei Zeemann immer auch lesbisches Begehren und Sex zwischen Frauen erzählt, ohne dass dies zum "Thema" gemacht würde. Travestie ein wichtiges Stichwort für ihr Schreiben, die Reise mit Ernst geht nach Italien, Pasolini, Fellini, der Karneval. In Wien, im Heimlichen Fest: "Alles ist Prater." Eine Frau produziert aus sich heraus einen Teufelsschwanz, verwandelt sich in eine Hexe, berät mit zwei anderen über eine ungewollte Schwangerschaft. "Es braucht ihn keiner hier, laßt ihn laufen", heißt es über den Kindsvater. "Man könnte allerhand aus der Liebe machen, aber die Männer verpatzen es."

Laura Freudenthaler
Laura Freudenthaler, geb. 1984, lebt als Schriftstellerin in Wien. Für " Geistergeschichte" (2019), ihr zweites Buch, erhielt sie den Literaturpreis der Europäischen Union. 2021 wurde sie für ihr Werk mit dem "Manuskripte"-Preis ausgezeichnet. Zuletzt erschien von ihr "Arson" (Jung und Jung, 2023).
Gianmaria Gava

Männerstolz

Hermann Hakels Erinnerung an Dorothea Zeemann ist so giftig wie alle seine Porträts, es kommt vor allem seine Kränkung zum Ausdruck: Sie hatte Freude am Sex, blieb ihm, Hakel, gegenüber dabei freundlich gleichgültig. Immerhin, so viel Gerechtigkeit lässt er walten, servierte sie ihm ein gutes Wiener Schnitzel. Die Männer hätten ihr immer leidgetan, sagt Zeemann. "Sie können sich nicht helfen und sind deppert, und das Ganze wird überkompensiert in diesen gewissen Männerstolz." Auch das ein Zitat aus Freunds Filmportrait. Und in den Tonspuren sagt sie, dass sie nicht gelitten habe in den Liebesbeziehungen.

Nein, Zeemann eignet sich nicht für die Rolle der unglücklichen, lebensunfähigen Dichterin, aus deren Liebesgeschichten sich so schöne, mehr oder weniger verkitschte Kinofilme machen lassen. "Dorothea Zeemann war gewiss keine ganz Große der österreichischen Literatur." Darüber lässt sich trefflich streiten. Weshalb findet es ein Redakteur angebracht, mit diesem Satz den Nachruf auf eine eben verstorbene Autorin zu eröffnen? Man müsse als Frau sein Licht unter den Scheffel stellen, sonst komme man zu gar nichts, beruflich wie im Liebesleben. Bei allem Augenzwinkern meint es Zeemann aber, behaupte ich, sehr ernst mit ihrer Kritik. Die Szene, in der auf dem Küchentisch gevögelt wird, während Hitler seinen Einzug in Wien hält, die ganze unauflösbare Widersprüchlichkeit, wenn die Ich-Erzählerin auf den Mann einschlägt, der wie sie Angst und Grauen empfindet vor den "Hampelmännern".

Unten auf der Straße die erregte Masse und Hitler, "mit der Lächerlichkeit des deutschen Grußes, der erigierte Arm der Gewalt von einem Kasper ausgestreckt". In diesem Moment "fühlte ich mich als Mann, der nur durch Gewalt der Gewalt entkam". Der Mann, der Schwächling, auf den sie einprügelt, nennt sie eine Faschistin, "und ich war sehr böse, weil ich nicht durchschaute, was Wahrheit an dieser Behauptung sein könnte".

Universelle Prostitution

"Eine böse Vergewaltigung", heißt es in Das heimliche Fest, "setzt Angst und Abwehr, ein Opfer voraus." Ein unmögliches Buch einer unmöglichen Frau, schrieb Peter Hamm über Jungfrau und Reptil. Ich mag Zeemann für ihre unmöglichen, unhaltbaren, unkorrekten Sätze. In Bachmanns Malina findet sich der folgende: "Man hält es nicht für möglich, aber außer ein paar Betrunkenen, ein paar Lustmördern und anderen Männern, die auch in die Zeitung kommen, bezeichnet als Triebverbrecher, hat kein normaler Mann mit normalen Trieben die naheliegende Idee, daß eine normale Frau ganz normal vergewaltigt werden möchte." Wien sei, heißt es weiter, eine Stadt, geschaffen für die universelle Prostitution. Zeemann schreibt in Eine Liebhaberin: "Huren waren wohl alle, wenn man das Sexualverhalten mit einem Wort bezeichnen wollte."

Dorothea Zeemann veröffentlichte nach 1945 sieben Bücher, von 1965 bis zu ihrer Pensionierung arbeitete sie im Vortragsreferat österreichischer Volkshochschulen, in Jungfrau und Reptil schreibt sie darüber ebenso wie über die Jahre 1970 bis 1972, in denen sie dem PEN-Club als Generalsekretärin vorstand, ihr "erster ernsthafter Versuch als Frau im politischen Engagement", es war die Zeit der Kontroverse um Robert Jungk und der Konspiration gegen Hilde Spiel. Eine junge Studentin will über Zeemanns "Frauenschicksal" schreiben. "Ich hab’ doch kein Schicksal, wieso Frauenschicksal?" Die Studentin kommt zu dem Schluss, dass Zeemann als Beispiel für ihr Buch über Emanzipation nicht zu brauchen ist, "mich bringt das zum Nachdenken und zum Beobachten".

Sie habe nie Schriftstellerin werden wollen, sagt Zeemann und, dass sie nach vielen Jahren ein echtes Vergnügen am Schreiben gefunden habe, ein masochistisches Vergnügen. Die Witwen in Indien ließen sich verbrennen, das Schreiben sei auch eine Art Verbrennen. In ihren besten Momenten erreicht die Autorin Zeemann eine Eindringlichkeit, eine Rasanz, bisweilen unheimliche Konzentration und Abgründigkeit, die Aufmerksamkeit verdienen. Am 11. Dezember 1993 ist Dorothea Zeemann vierundachtzigjährig gestorben. Heute, dreißig Jahre nach ihrem Tod, sind die meisten ihrer Bücher vergriffen. (Laura Freudenthaler, 7.12.2023)