Eva Kollisch
Auf sicherem, wenn auch schwankendem Boden stehend: Eva Kollisch.
Mary-Elizabeth Gifford

Heute? Nun, natürlich bin ich Feministin, ich war sehr engagiert und bin es immer noch, im Feminismus, in der Frauenbewegung“, sagt Eva Kollisch 2016 in einem Videointerview und fährt fort: "Ich bin 'anti-war to the core'" – durch und durch gegen Krieg. Neben ihr sitzt ihre Ehepartnerin, die Lyrikerin Naomi Replansky, mit der zusammen sie damals in New York für ihr politisches Engagement mit dem Clara Lemlich Award for Social Activism ausgezeichnet wurde.

In den 1960er-Jahren hatte sie begonnen, sich gemeinsam mit der Schriftstellerin Grace Paley gegen den Vietnamkrieg einzusetzen. Von ihr habe sie damals, so Kollisch in einem Text über ihre Freundin, "gelernt, wie man mit einem Lächeln und einer Blume in die 'Schlacht' des zivilen Ungehorsams zieht."

Schwankender Boden

Eva Kollisch wurde mehrmals verhaftet. Sie blieb ihr Leben lang als Feministin und Pazifistin aktiv, gründete zuletzt ein Solidaritätsnetzwerk für Frauen im Alter. Auch als Professorin – 30 Jahre lang lehrte sie Literatur am Sarah Lawrence College in New York – setzte sie wichtige Impulse. Gemeinsam mit Gerda Lerner gehört sie zu den Gründerinnen eines der ersten Studiengänge für Frauenforschung in den USA. Wie Lerner war auch Kollisch als Jüdin nach dem "Anschluss" an Nazi-Deutschland aus Österreich vertrieben worden.

Die 14-jährige Eva konnte dem Nationalsozialismus 1939 zusammen mit ihren beiden Brüdern durch die Kindertransporte nach England entkommen – drei von insgesamt etwa 10.000 dank der Hilfsaktion geretteten Kindern.

Aufgewachsen waren sie in Baden bei Wien. Ihre Mutter Margarete Kollisch arbeitete als Journalistin, Lehrerin und Übersetzerin und war als Schriftstellerin erfolgreich, ihr Vater Otto Kollisch als Architekt. Mehrere von ihm geplante Häuser sind bis heute im Stadtbild Wiens präsent. In ihren literarischen Essays im Band Der Boden unter meinen Füßen beschreibt Eva Kollisch die "Narben", die die "Erfahrung des Antisemitismus oder die Nachwirkungen der Vertreibung" hinterlassen haben. Darüber, ob Baden "nur ein bisschen oder sehr antisemitisch" gewesen sei, "gingen die Meinungen in unserer Familie auseinander. Meine Eltern waren von Ersterem überzeugt, wir Kinder von Letzterem." Und weiters: "Wir hatten kein Problem mit unserer jüdischen Identität. (…) Aber eigentlich war für uns ein Jude jemand, der verprügelt wurde. Er wurde verprügelt, weil er 'anders' war. Er war 'anders', weil er regelmäßig verprügelt wurde." Eva Kollisch hatte das als Schülerin selbst erfahren müssen.

Fast ein Jahr lang lebte die Familie getrennt, bevor die Kinder 1940 aus England zu ihren Eltern nach New York ziehen konnten. Bereits in der High School wird Eva Kollisch politisch aktiv. Sie tritt der Worker’s Party bei, einer trotzkistischen Organisation. "Seit ich Österreich verlassen hatte, hatte ich nach einem Gegenentwurf zu den Verbrechen des Faschismus gesucht", schreibt sie. "Die 'Bewegung' gab mir eine ideologische Heimat in meiner Heimatlosigkeit."

Buchcover
Eva Kollisch, "Der Boden unter meinen Füßen". Aus dem Englischen von Astrid­ Berger, mit einem Nachwort von Anna Mitgutsch. € 19,80 / 176 S. ­Czernin, Wien 2010
Verlag

Mädchen in Bewegung

Eva Kollisch geht nach Detroit und wird Arbeiterin am Fließband. Über die Freundschaften, die sie damals fand, ihre kurze Ehe mit einem Parteigenossen, aber auch über ihre bittere Enttäuschung angesichts der hierarchischen Strukturen, die sie 1946 schließlich zum Austritt veranlassten, erzählt sie in ihrem ersten Roman Mädchen in Bewegung. Eva Kollisch studierte anschließend Literaturwissenschaft in New York, wo sie ihren zweiten Ehepartner Gert Berliner kennenlernte. Auch er verdankte sein Überleben den Kindertransporten. Zusammen haben sie einen Sohn.

Eva Kollisch, die seit den 1970er- Jahren offen lesbisch lebte, hat immer wieder Diskriminierung und Ausgrenzung erfahren. "Was als Konstante in einem langen, erfüllten Leben und den damit einhergehenden Veränderungen bleibt, ist die geistige Haltung des Außenseiters, die ich oft als mein wahres Selbst empfunden habe."

Sie sei sich allerdings auch bewusst, fährt sie fort, "dass heute andere den Status und die empfindlichen Nerven von Flüchtlingen haben. Aus kaum bewältigten Gefahren und unsicheren Hoffnungen flicken unzählige 'Fremde' aus unzähligen Ländern ihr zitterndes, unsicheres, von der Geschichte gezeichnetes Selbst zusammen. (…) Auf sicherem, wenn auch schwankendem Boden stehend, grüße ich sie. Und bete, dass auch sie Fuß fassen können, irgendwo auf dieser blutgetränkten, ungastlichen Erde." (Katharina Menschick, 7.12.2023)