Peter Thums mit Hund Mordor auf dem Weg zur Arbeit.
Lena Schinhärl

Mordor legt die Ohren an und wirft aufgeregt seinen Kopf hin und her: Gleich geht es los. Der Hund steht mit seinem Herrl im Flur eines Wiener Hotels vor einer geschlossenen Tür, der Hausmeister erklärt die Lage. Eigentlich hätte es nur eine Übungsstunde werden sollen, doch kurz vor der Ankunft im Hotel schlug das Putzpersonal in einem Zimmer Alarm: Es seien Bettwanzen gesichtet worden.

Die Tierchen sind winzig, flink und für Menschen nur schwer auffindbar, deshalb soll der Hund sie mit seiner feinen Nase aufspüren. Die Bisse, die die Blutsauger auf den Menschen hinterlassen, jucken nicht nur fürchterlich, sie können auch Krankheitserreger enthalten. Anzeichen dafür sind, neben dem starken Juckreiz, sogenannte Bissstraßen auf der Haut – die Tiere beißen sich oft drei-, viermal hintereinander fest.

"Bettwanzen sind die Hölle"
Bettwanzen haben sich einen prominenten Platz in der politischen Debatte Frankreichs erkrabbelt haben und sorgen ein knappes Jahr vor den Olympischen Sommerspielen in Paris für Nervosität. Ein Experte erläutert, was es mit der angeblichen Invasion auf sich hat
AFP

Geflüchtete Hotelgäste

Die Tür geht auf, Mordor fiept. Automatisch nimmt ihn sein Herrchen, das beruflich Schädlingsbekämpfer ist, strenger an die Leine, ahnt schon, was passieren wird. Der Hund stürmt los in das kleine Hotelzimmer. Viel Platz ist dort nicht für Hund, Herrl und Hausmeister. Außer dem großen Bett befindet sich nicht viel in dem Raum. Zwei Koffer liegen bereits geöffnet davor, der Raum wurde wohl fluchtartig von den Hotelgästen verlassen.

Mordor geht systematisch vor: Erst führt ihn sein Herrchen einmal um das Bett herum, macht ihn mit der Umgebung vertraut. Dann nimmt er den Hund kürzer an die Leine und geht noch einmal die gleiche Runde, zeigt mit dem Finger auf beliebte Bettwanzenverstecke, die das Tier genauer unter die Lupe nehmen soll. Nachttisch, entlang an der Bettkante, um das Bett herum zur anderen Seite, Vorhang, Nachttisch Nummer zwei, Verkleidung über dem Bett.

Plötzlich beginnt der Hund zu fiepen und wedelt aufgeregt mit dem Schwanz – er hat etwas gefunden. Der Schädlingsbekämpfer wechselt einen besorgten Blick mit dem Hausmeister. Sie wiederholen die Prozedur, wieder schlägt Mordor an derselben Stelle an. Zur Kontrolle gibt der Schädlingsbekämpfer lebende Bettwanzen, eingeschlossen in einem Glasröhrchen, in einen Koffer. Der Hund findet sie sofort. "Sie müssen sich in der Verkleidung befinden", bemerkt Hundeführer Peter Thums und gibt dem aufgeregten Hund ein Leckerli. Zufrieden beginnt er, darauf herumzukauen. Für den Hund ist es ein Spiel, für den Hotelbesitzer eine Sorge mehr.

Bettwanzenspürhund
Im Hotelzimmer soll es Bettwanzen geben – und Mordor findet sie alle.
Lena Schinhärl

Zeitsparender Einsatz

Drei Minuten hat die Suche gedauert. Ein Mensch hätte wohl zwei Stunden gebraucht, um die Tiere zu finden, zumindest, solange sie sich nicht in eingebauten Möbeln verstecken, schätzt Thums. Der Schädlingsbekämpfer und Co-Geschäftsführer der Firma Killtec arbeitet bereits seit 2019 mit Spürhunden, in Wien sei er der Erste mit EU-Zertifizierung gewesen. Er ist froh, dass er damit angefangen hat, auch wenn die Tiere für sein junges Unternehmen damals eine Investition waren.

Zwischen 10.000 und 20.000 Euro kostet ein ausgebildeter Bettwanzenspürhund, während der Corona-Pandemie gab es kaum Aufträge. Das sei aber nicht in erster Linie wichtig, denn Thums sieht seine beiden Wanzenspürhunde, Mordor und seine Kollegin Ora, als vollwertige Familienmitglieder an. "Ich bin mit Hunden aufgewachsen. Meine Frau zieht mich manchmal damit auf, dass ich mit meinen Hunden lieber rede als mit den Kindern", erzählt er.

Volle Auftragsbücher

Die Investition hat sich gelohnt, die Auftragsbücher sind voll. Seitdem die Corona-bedingten Reisebeschränkungen wieder aufgehoben wurden, steigt die Nachfrage wieder. Die aktuelle Aufregung in den sozialen Netzwerken spielt ihm dabei in die Karten: Seit drei Monaten kursieren Videos vom bettwanzengeplagten Paris im Internet, die die Blutsauger in Nahaufnahme zeigen. Neben Hotels und Hostels sind auch öffentliche Verkehrsmittel oder Flughäfen betroffen. Mittlerweile hat die Hysterie London erreicht. Und Wien?

"Die Leute haben Angst, Anrufe häufen sich. Deshalb frage ich auch direkt nach den Symptomen: Wie viele Stiche hat die Person, und in welchen Abständen kommen sie?", schildert der Schädlingsbekämpfer. Viele Personen würden die Symptome nicht genau kennen, die medial aufgebauschte Debatte würde ihr Übriges tun. Thums sieht zwar einen Anstieg, doch die Realität sei lange nicht so drastisch wie in den Medien dargestellt.

Bettwanzenspürhund
Spürhund Mordor wartet brav auf die Kommandos seines Herrchens.
Lena Schinhärl

Keine Epidemie zu erwarten

Das sieht auch Peter Fiedler so. Er ist Berufszweigobmann der Schädlingsbekämpfer in Wien: "Bettwanzenbefälle gehen einher mit Reisetätigkeiten. Wien ist viel kleiner als Paris, das aufgrund seiner hohen Frequenz an internationalen Gästen immer schon mit Befällen zu kämpfen hatte. Hier gab es bereits vor der Pandemie einen leichten Anstieg, eine Epidemie ist aber nicht zu erwarten." Trotzdem rät der Fachmann zur Vorsicht; im Urlaub geben Blutflecken auf Laken erste Hinweise auf einen Befall des Hotelzimmers.

Die Wiener Linien geben jedenfalls Entwarnung: "Uns ist nicht bekannt, dass es schon einmal einen derartigen Vorfall gegeben hätte", erklärt Pressesprecherin Katharina Steinwendtner. Die Sitzmöglichkeiten wurden extra so konstruiert, dass sie leicht zu reinigen sind, das passiere einmal pro Tag.

In den Zügen der ÖBB ist ebenfalls kein Problem mit Ungeziefer bekannt. Wien scheint wohl weiterhin eine Insel der Seligen zu bleiben – auch dank des Einsatzes von Hunden wie Mordor. Vergleichsweise zumindest. Sein Leckerli hat er sich heute jedenfalls verdient. (Lena Schinhärl, 8.12.2023)