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Märsche für Gaza, wohin das universitäre Auge in den Staaten reicht: hier vor der Pennsylvania State University im November.
IMAGO/Paul Weaver / SOPA Images

Auch Selbstverständliches scheint an Hochschulen derzeit schwer durchsetzbar. Die Fraktion der Jusos brachte im Studentenparlament der Humboldt-Universität zu Berlin (HU) jüngst eine Resolution ein. Titel: "Historische Verantwortung ernstnehmen! Jüdisches Leben an Hochschulen schützen". Vorausgegangen waren dem Antrag Berichte über antisemitische verbale Gewalt, dokumentiert an der Humboldt-Uni wie an der Freien Universität Berlin (FU).

An letzterer entfaltet eine Gruppe namens "Klasse gegen Klasse" ihr Wirken. Beklagt wird von ihr ein "expansiver Apartheidstaat Israel". Der Antrag der Jusos scheiterte jetzt an beiden Unis. In den ohnehin schütter legitimierten Studentenparlamenten geben linke postkoloniale Formationen den antiisraelischen Ton an. Immer dramatischer bekunden jüdische Studierende ihr Unwohlsein. Gegen Jüdinnen und Juden werde im Gefolge des Nahostkrieges gehetzt. An der Universität der Freien Künste Berlin reckten schwarz Vermummte mit pro-palästinensischer Agenda ihre rot beschmierten Hände in die Luft. Auch Wien bleibt von der Tendenz, jüdische Studierende nachhaltig physisch zu verunsichern, nicht ausgenommen.

An der Central European University (CEU) traten jetzt die Jüdischen österreichischen Hochschüler:innen (JöH) mit alarmierenden Wortmeldungen hervor. An der CEU wären Veranstaltungen der Bewegung "Boycott, Divesment, Sanctions" (BDS) unter dem Namen "Teach-in Palestine" bereitwillig unterstützt worden. Mehrmalige dringende Gesprächsbitten an das Rektorat seitens der jüdischen Hochschüler wurden – "in der ersten Woche nach dem Hamas-Massaker" – mit dröhnendem Schweigen beantwortet. Derweil wurde im Mailverteiler der Studierendenvertretung agitiert. Die Hamas-Gräuel erklärte man zum "Widerstand". Studierende auf dem Campus durften sich als "Zionisten" bezeichnen lassen und wurden von Aktivitäten ausgeschlossen.

Merkwürdige Situation

JöH-Sprecher Alon Ishay sieht die Untätigkeit des CEU-Rektorats als "präzedenzlos" an. "Frei von Antisemitismus bedeutet für uns: Wir Studierende können unsere Verbindung zu Israel jederzeit offen äußern, ohne Antisemitismus befürchten zu müssen! Große Teile der Linken in Österreich verstehen sehr wohl die Wichtigkeit eines jüdischen Staates."

Die Situation sei "umso merkwürdiger, da wir gegenüber der amtierenden israelischen Regierung sehr wohl kritisch eingestellt sind. Nichtsdestotrotz lehnen wir jede einseitige Diffamierung des Staates Israel strikt ab." Der schale Witz bei der Sache: Die CEU war einst von George Soros gegründet worden. Dieser war wiederholt antisemitischen Kampagnen ausgesetzt, etwa in Ungarn. CEU-Rektorin Shalini Randeria, eine Inderin mit US-Sozialisation, bekundet in der Zwischenzeit Entschlossenheit: "Wir dulden keine Form des Mobbings oder der Diskriminierung. Antisemitismus und alle Formen von Verhetzung haben an der CEU keinen Platz!"

An der Hochschule verweist man auf ein Sicherheitsprogramm – und stellt Gesprächstermine in Aussicht. Ishay konstatiert ein übergreifendes Problem. "In angelsächsischen Universitätseinrichtungen herrscht weitreichende Sympathie mit der BDS. Der Grund dafür ist sicher, dass Israel dort fälschlicherweise als Teil der westlichen Kolonialgeschichte diskutiert wird." Die Identifikation Israels als Kolonialmacht ist die gallbittere Frucht vom Baum des Postkolonialismus. Mit der Ausrufung eines "antikolonialen Befreiungskampfes" wurden Hamas oder Hisbollah zu Akteuren im Kampf gegen den Westen und seine "Herrschaftsdiskurse" erklärt.

Richtlinien zu Mobbing

So drängen sich die Namen "progressiver" Akademiker nicht nur auf "Pro-Palestine"-Listen. Harvard-Präsidentin Claudine Gay wusste unlängst auf Befragung im US-Kongress nicht Bescheid zu sagen, ob "Aufruf zum Völkermord an den Juden" an den Universitäten gegen Richtlinien zu Mobbing und Belästigung verstoße. "Das kann sein, abhängig vom Kontext", lautete Gays Antwort. In der Zwischenzeit ist sie in sich gegangen. Sie sagt jetzt: "Es tut mir leid."

Überhaupt gegangen ist ihre Kollegin Elizabeth Magill. Die Präsidentin der University of Pennsylvania wollte ihre Antwort auf die nämliche Frage ebenfalls nur vom "Kontext" abhängig machen. Sie hat jetzt ihren Hut genommen. (Ronald Pohl, 11.12.2023)