Viktor Orbán reitet gegen Europa. Wieder einmal. Wenige Tage vor dem EU-Gipfel droht Ungarns Premier in sehr wichtigen politischen und wirtschaftlichen Fragen mit Blockaden.

Viktor Orbán ist einer des längstdienenden EU-Regierungschefs. Die Kommission hat EU-Gelder für Ungarn in Milliardenhöhe eingefroren.
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Er will den Start von EU-Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine verhindern. Er möchte die nach Jahren anstehende Einigung beim großen Reformpaket zu Asyl/Migration torpedieren, lehnt jede Lastenverteilung bei Flüchtlingen ab. Und er droht damit, die Revision des mittelfristigen EU-Budgets bis 2028 zu verhindern, weil dieses 50 Milliarden Euro für die Ukraine im Krieg gegen Russland beinhaltet: Finanzhilfen und Waffenlieferungen. Das missfällt dem Erpresserpremier aus Budapest, der sich gern unterwürfig dem Autokraten Wladimir Putin anbiedert.

Orbáns Politik mit der Vetokeule ist nicht neu. Diese Taktik wendet er mit unschöner Regelmäßigkeit an, um seinen nationalen Interessen und nationalistisch-ausländerfeindlichen Ideen in Brüssel Nachdruck zu verleihen. Aber so hemmungslos und so offen wie derzeit war seine Destruktivität noch nie.

Viele Skandale und Korruption

Man kennt das im Prinzip seit 2010. Damals war Orbán als Premier angetreten, seither ist er neben dem Niederländer Mark Rutte längstdienender EU-Regierungschef. Jede Menge Skandale und Korruption pflasterten seinen Weg. Er hebelte die Presse- und Medienfreiheit aus, die unabhängige Justiz, verstieß in Serie gegen EU-Regeln und Werte, insbesondere mit seiner Politik gegen Migranten. Dafür erntete seine Regierung jede Menge Sanktionen und Verurteilungen beim EU-Höchstgericht. Ein Verfahren zum Stimmrechtsentzug in der EU läuft. Die Kommission hat EU-Gelder in Milliardenhöhe eingefroren.

Wie sollen die EU-Partner mit einem solchen "Nichtpartner" umgehen? Nachgeben? Genau das Gegenteil muss passieren. Sie müssen Orbán mit Härte entgegentreten, ihn isolieren. Beschlüsse, dem Nettoempfängerland Ungarn Milliarden zu sperren, bekräftigen. Orbán versteht nur diese Sprache.

Ob die Beitrittsgespräche mit der Ukraine formell sofort beginnen oder man eine andere Formulierung dafür findet, ist nicht entscheidend. Jeder weiß, dass das Land so bald nicht Mitglied werden kann, ein Beitrittsprozess aber hohen symbolischen Wert hat. Hilfe für die Ukraine muss so oder so erste Priorität haben, damit das Land nicht an Putin fällt.

Weniger stark, als er glauben machen will

In Sachen Migrationspaket hat Orbán schlechte Karten: Er kann mit Mehrheit überstimmt werden – wie 2015. Ungarns Premier ist weniger stark, als er glauben machen will. Er konnte sich Eskapaden leisten, weil Polens rechtsnationalistische PiS-Regierung ihn stützte. Damit ist es bald vorbei. PiS wurde abgewählt. Mit Donald Tusk bekommt Polen einen liberalen, von der EU überzeugten Premier, der Orbán missachtet.

Vetopolitik als Selbstzweck reicht allein nie, um in Brüssel nationale Interessen durchzusetzen. Das könnte Orbán von Österreich lernen: Es sieht so aus, dass die Regierung in Wien ihr Veto gegen einen Schengen-Beitritt Rumäniens und Bulgariens aufgibt. Sie sollen schrittweise die Grenzkontrollen abschaffen, beginnend mit den Flughäfen.

Fun-Fact dazu: So war das schon 1997. Bayern blockierte den Schengen-Beitritt Österreichs mit der Begründung, es könne die EU-Außengrenze nicht schützen. Nach großer Empörung in Wien einigte man sich konstruktiv auf EU-Ebene. Mit dem destruktiven Orbán geht das nicht. (Thomas Mayer, 10.12.2023)