Langsam krache es an allen Ecken und Enden: So stellt sich aus Sicht der SPÖ die Lage im Gesundheitssystem dar. Ärztinnen und Ärzte fehlten ebenso wie Pflegerinnen und Pfleger, beklagt Klubchef Philip Kucher, die Wartezeiten für Termine würden länger, die Zeit der Mediziner für ihre Patientinnen und Patienten kürzer. Nur eine von mehreren Zahlen, die laut den Sozialdemokraten die Misere illustrieren: Nach Auskunft des grün geführten Gesundheitsministeriums ist die Zahl der Kinderärzte mit Krankenkassenvertrag in den vergangenen zehn Jahren von 315 (2013) auf 249 (2022) geschrumpft.

Ärzte-Demo in Wien
Unlängst rief die Ärztekammer zur Demonstration gegen die Bedingungen in Wiener Spitälern – inklusive Kritik an der roten Stadtregierung. Auch die Bundes-SPÖ beklagt die Zustände im Gesundheitssystem, sieht die Verantwortung aber im Bund.
IMAGO/Andreas Stroh

Kucher will dabei gar nicht behaupten, dass die Regierung alldem völlig tatenlos zusehe. Die Sozialdemokraten teilen manches Ziel der Gesundheitsreform, die ÖVP und Grüne diese Woche im Nationalrat beschließen wollen; das gilt etwa für den Ausbau der Primärversorgungszentren als mutmaßlich effizienterer Alternative zur klassischen Hausarztordination. Doch vom Guten, so lässt sich die Kritik der SPÖ zusammenfassen, biete die Koalition zu wenig: Der schon angerichtete Schaden sei zu groß, als dass ihn die geplanten Maßnahmen reparieren könnten.

Um das zu untermauern, hat sich Kucher Unterstützung von Andreas Huss geholt. Der Gewerkschafter und aktuelle Obmann der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK), der mit Jahresende wieder turnusmäßig für ein halbes Jahr einem Arbeitgebervertreter Platz machen muss, hat bei einem Auftritt mit Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) unlängst die Reform gegen die Kritik der Ärztekammer verteidigt. An der Seite seines Parteifreundes Kucher kritisiert er nun, dass diese nicht weit genug gehe – obwohl sich Rauch zweifellos bemüht habe.

Viele Wünsche – zu wenig Geld?

Huss macht das an den Zahlen fest. Von via Finanzausgleich zugesagten 300 Millionen Euro pro Jahr blieben der Sozialversicherung nach Abzug verschiedener Sonderausgaben wie der Mitfinanzierung des Impfprogramms netto 233 Millionen übrig. Die ÖGK bekomme davon 80 Prozent, also 200 Millionen, um wie gewünscht die ärztliche Versorgung im niedergelassenen Bereich auszubauen. Damit werde "ein bisschen etwas" möglich sein, rechnet der Obmann vor, doch gebraucht hätte es viel mehr: Um die gewünschten 500 neuen Stellen für Kassenärzte, Investitionen in die Prävention und den angepeilten österreichweit einheitlichen Leistungskatalog für die Abrechnung mit den Ärzten zu finanzieren, seien tatsächlich 800 Millionen Euro pro Jahr nötig.

SPÖ-Klubchef Philip Kucher
SPÖ-Klubchef Kucher prangert Ungleichheiten im Gesundheitssystem an: "Warum bekomme ich als Politiker für ein Zahnimplantat 350 Euro dazugezahlt, meine Mutter als ÖGK-Versicherte aber gar nichts?"
Regine Hendrich

Im offiziellen Forderungskatalog runden die Sozialdemokraten auf jene "Patientenmilliarde" auf, die einst die türkis-blaue Regierung im Zuge des Umbaus der Krankenkasse versprochen hatte. Der damit finanzierte Ausbau der ärztlichen Versorgung soll, so der SPÖ-Plan, nicht nur die Garantie bringen, dass niemand länger als 14 Tage auf einen benötigten Arzttermin warten müsse. Auch die Unsitte, dass Versicherte je nach Kasse unterschiedliche Leistungen bekommen, solle der Vergangenheit angehören. "Warum bekomme ich als Politiker für ein Zahnimplantat 350 Euro dazugezahlt, meine Mutter als ÖGK-Versicherte aber gar nichts?", fragt Kucher.

"Selbstverständliche" Überstunden

Geld fließen soll auch in eine Aufstockung des Personals in den Krankenhäusern, von den Pflegekräften bis zu den Ärzten. Es gehe sich manchmal einfach nicht mehr aus, berichtet die von der SPÖ für den Medienauftritt ebenfalls eingeladene Spitalsärztin Sarah Schober. Es sei in vielen Abteilungen als Selbstverständlichkeit eingepreist geworden, dass Ärztinnen und Ärzte mit 20 bis 30 Überstunden pro Monat den Betrieb am Laufen hielten, sagt die Medizinerin. Die offiziell ausgewiesenen Personalstände seien trügerisch, weil viele Kräfte nur Teilzeit arbeiteten.

Allerdings hat in den vergangenen 20 Jahren keine andere Partei häufiger das Gesundheitsministerium geführt als die SPÖ. Ob es da nicht eine Mitverantwortung gibt? Huss hält dem die Bilanzstatistik der ÖGK entgegen. Demnach schrieb die Krankenkasse dank diverser Geldspritzen nur zu Zeiten roter Minister ein Plus, sonst schlug stets ein Minus zu Buche. Es seien die schwarz-blauen Regierungen gewesen, die Geldhähne gedrosselt und der Sozialversicherung neue Verpflichtungen auferlegt hätten.

Laut Prognose soll sich auch heuer wieder ein Minus einstellen, und zwar im Ausmaß 386 Millionen. Umso unzureichender seien die von der Regierung beschlossenen Zuzahlungen, argumentieren Kucher und Huss. Bisher habe man sich noch mit Rücklagen beholfen, auch im kommenden Jahre werde das zusätzliche Geld in den Ausbau der Leistungen fließen können, erläutert Letzterer: "Doch danach bekommen wir ein Problem." (Gerald John, 11.12.2023)