Illustration eines Virus
Das Coronavirus Sars-CoV-2 kann fast alle Organe schädigen und postakute Infektionssyndrome auslösen. All das wird als Long Covid bezeichnet. Doch hinter diesem Begriff verstecken sich über 200 verschiedene Symptome.
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Corona hat uns ziemlich beschäftigt in den vergangenen Jahren. Die Pandemie wurde zwar bereits vor Monaten offiziell für beendet erklärt, doch so manches Thema hat sie uns zurückgelassen. Ein ziemlich großes Problem dabei ist Long Covid. Das steht als Sammelbegriff für alle Langzeitfolgen einer Covid-Erkrankung. Doch dieser Begriff ist eher schwammig, für viele ist deshalb nicht ganz klar, was genau sich dahinter alles verbirgt. Grund genug, ihn einmal genauer unter die Lupe zu nehmen und die unterschiedlichen Ausformungen zu beleuchten.

Long Covid – oder auch Post Covid – bezeichnet die gesundheitlichen Langzeit- und Spätfolgen einer Covid 19-Infektion. Und genau hier beginnt schon die Unklarheit. Denn diese Folgen sind sehr divers und stellen zum Teil völlig verschiedene, eigenständige Krankheitsbilder dar. Mehr als 200 verschiedene Symptome, Gesundheitsprobleme und Schäden am menschlichen Körper werden unter diesem Überbegriff subsumiert. Und diese Unklarheit in der Definition führt dazu, dass die Betroffenen, egal welche Symptome sie konkret haben, in Bezug auf Diagnose und Therapie oft in einen Topf geworfen werden. Dabei muss die Behandlung, je nachdem, an welcher Symptomatik man leidet, sehr unterschiedlich sein.

Zehn bis 30 Prozent

Das Krankheitsbild Long Covid ist tatsächlich sehr verbreitet. Eine Untersuchung, die im Fachmagazin "Nature Reviews Microbiology" publiziert wurde, geht davon aus, dass zehn Prozent aller Covid-Infizierten – konservativ geschätzt – an einer Form von Long Covid leiden. Das wären bei 651 Millionen dokumentierten Fällen bis Anfang des Jahres 2023 – dem Zeitpunkt der Publikation – rund 65 Millionen Menschen. Die Dunkelziffer dürfte aber weitaus höher liegen, schreiben die Autorinnen und Autoren, zu denen auch der renommierte US-Kardiologe Eric Topol zählt, immerhin sind viele Infektionen nie dokumentiert worden. Sie schätzen die Inzidenz bei Personen, die nicht hospitalisiert wurden, auf zehn bis 30 Prozent. Bei Menschen, die aufgrund ihrer Infektion ins Spital mussten, dürfte die Inzidenz von Long Covid bei 50 bis 70 Prozent der Fälle liegen. Und immerhin zehn bis zwölf der geimpften Infizierten dürften an Long Covid leiden.

Das Problem betrifft dabei alle Altersgruppen und tritt auch nach allen Schweregraden der Infektion auf. Den höchsten Prozentsatz an Diagnosen gibt es laut dieser Untersuchung in der Altersgruppe zwischen 36 und 50 Jahren, also jener Gruppe, die nur in sehr seltenen Fällen mit einer Infektion ins Spital musste, da diese in den meisten Fällen leicht verläuft.

Drei große Gruppen

Wie sehen nun all diese Symptome aus? Kathryn Hoffmann, Professorin für Primary Care am Zentrum für Public Health der Med-Uni Wien und Expertin für Long Covid, teilt die Covid-Folgen in drei große Gruppen ein:

Um Long Covid überhaupt behandeln zu können, ist es extrem wichtig, im Vorfeld zu klären, warum die Symptome einer Person nach einer Sars-CoV-2-Infektion länger als vier Wochen anhalten, betont Hoffmann: "Man muss Klarheit darüber haben, in welche Kategorie die Symptome fallen oder ob es womöglich eine Kombination von zwei oder sogar allen drei Gruppen ist."

Die gute Nachricht: Wenn es Long-Covid-Symptome aus der ersten und/oder zweiten Gruppe sind, können diese mit gut etablierten, diagnostischen Mitteln meist gut gefunden und auch medizinisch behandelt werden. "Eine schwere Lungenentzündung durch Sars-CoV-2 mit langanhaltenden Folgen ist zwar für die einzelne Person eine große Herausforderung, aber die Krankheitsbilder sind seit langem gut bekannt, und es gibt bekannte Therapien und Rehabilitationsmaßnahmen, die sich bewährt haben", sagt Hoffmann.

Das Gleiche gelte für Personen, die infolge einer Sars-CoV-2-Infektion eine Lungenembolie bekommen, eine Herzmuskelentzündung oder eine Autoimmunerkrankung. Das muss jeweils gründlich diagnostiziert werden, dann kann man einem etablierten Therapieplan folgen.

Postakute Infektionssyndrome

Das wirkliche Problem entsteht in der dritten Gruppe an Covid-Folgen, nämlich beim postakuten Infektionssyndrom. Dazu gehört auch ME/CFS – das steht für Myalgische Enzephalomyelitis / Chronic Fatigue Syndrome. ME/CFS ist die schwerste Verlaufsform eines postakuten Infektionssyndroms, deren hervorstechendstes Symptom eine Belastungsintoleranz ist. Medizinisch bezeichnet man das als Post-Exertional Malaise (PEM), und es bedeutet, dass es zu einer Verschlechterung des Gesamtzustands kommt, wenn man die eigenen Energiereserven überschreitet.

Diese postakuten Infektionssyndrome sind nicht neu. Sie werden durch viele Viren und auch ein paar andere Erreger ausgelöst, etwa durch Influenza, das Varizella-Zoster-Virus (VZV), das Windpocken und Gürtelrose verursacht, oder durch manche Herpesviren. Besonders häufig zeigen sie sich nach einer Infektion mit dem Epstein-Barr-Virus (EBV), das das Pfeiffersche Drüsenfieber auslöst. Und eben nach Sars-CoV-2.

Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat eine bestimmte Form dieser Syndrome, die besonders häufig auftritt, ME/CFS (Myalgische Enzephalomyelitis/Chronic Fatigue Syndrome), bereits im Jahr 1969 als neuroimmunologische Erkrankung anerkannt. Laut internationalen Studien lag die Prävalenz dafür vor der Pandemie zwischen 0,3 und 0,9 Prozent der Bevölkerung, was für Österreich eine Anzahl zwischen 26.000 und 80.000 Betroffene ergeben würde.

Dreimal so viele Betroffene

Die deutsche Immunologin Carmen Scheibenbogen, eine international anerkannte Koryphäe für diese Erkrankung, rechnet mit einer Prävalenz von 0,4 Prozent, das wären in Österreich etwa 36.000 Betroffene. Doch all das sind geschätzte Zahlen. Offiziell wurden in Österreich laut den Zahlen der Österreichischen Gesundheitskasse (ÖGK) nur wenige Tausend Fälle anerkannt.

Das war eben vor der Pandemie. Durch Corona dürfte die Prävalenz der postakuten Infektionssyndrome um etwa 200 Prozent steigen, schätzt Scheibenbogen. Public-Health-Expertin Hoffmann, die sich intensiv mit postakuten Infektionssyndromen befasst, schließt sich dieser Aussage an und ergänzt, dass dieses Krankheitsbild "in der Medizin bisher sträflich vernachlässigt wurde". Der wahrscheinliche Hauptgrund dafür: Die Symptome sind, abgesehen von PEM, sehr unspezifisch, sie reichen von Schwindel, Kopfschmerzen, Übelkeit bis zu Konzentrationsproblemen und mehr. Und sie beschränken sich auch nicht auf ein medizinisches Fachgebiet. In sehr vielen Fällen ist außerdem mit den etablierten diagnostischen Maßnahmen kein Problem feststellbar oder nur eine unklare Abweichung von der Norm erkennbar.

Das ist auch der Grund, warum nur wenige Ärztinnen und Ärzte das Krankheitsbild genauer kennen und die richtigen diagnostischen Maßnahmen setzen. Immerhin vermuten mittlerweile viele bei so unspezifischen Symptomen, dass es sich um diese Form von Long Covid handeln könnte – das ist ein wesentliche Veränderung verglichen mit dem Beginn der Pandemie, als diese Symptome bis auf ganz wenige Spezialistinnen und Spezialisten praktisch niemand kannte.

Ein Begriff, viele Erscheingsformen

Was es weiter kompliziert macht: Auch der Begriff postakutes Infektionssyndrom ist nur ein Überbegriff und umfasst zahlreiche Fehlfunktionen und Schäden nach einer Infektion. Diese entstehen dadurch, dass das Virus oder Teile davon nach der akuten Infektion weiter im Gewebe verbleiben, etwa im Darm, im Herz oder in den lymphatischen Organen. Dort lösen sie Entzündungsprozesse aus, die wiederum autoimmune Prozesse auslösen oder andere bereits im Körper vorhandene Viren reaktivieren können.

Dann kommt es zu einer Dysfunktion im autonomen Nervensystem, im Darmmikrobiom, in den Gefäßen, im Immunsystem oder auch im Energiegewinnungssystem auf Zellebene. Auch Störungen im Metabolismus sind möglich, oder es kann zu unerwünschter Perfusion von Geweben kommen, also dass etwa die Darmschleimhaut durchlässiger wird, als sie das im gesunden Zustand wäre, erläutert Hoffmann. Warum es genau zu diesen Symptomen kommt, das weiß man nicht, es gibt noch keine Biomarker, an denen man es klar festmachen kann.

All diese möglichen unterschiedlichen Folgen einer Virusinfektion können Probleme wie eben die Post-Exertional Malais PEM auslösen, eine Dysregulation des Immunsystems wie das Mastzellenüberaktivierungssyndrom, kognitive Dysfunktionen und mehr.

Besonders häufig ist auch das posturale Tachykardie-Syndrom POTS, bei dem die Betroffenen beim Wechsel in die aufrechte Körperlage einen erhöhten Puls bekommen, Benommenheit und Schwindel spüren. Wenn sie sich hinlegen, lassen die Beschwerden wieder nach. Ob man daran leidet, kann man etwa mit dem Schellong-Test in jeder Arztpraxis und sogar zu Hause sehr einfach prüfen.

Achtung bei Belastung

Doch um so eine Diagnose zu bekommen, ist mehr als das bisher etablierte medizinische Wissen nötig, zusätzlich braucht es spezifische Fragebögen und Tests, erläutert Hoffmann. Und weil dieses Wissen oft fehle, werden postakute Infektionssyndrome häufig fehldiagnostiziert. "Und selbst wenn eine Diagnose gestellt wird, gibt es als Therapieangebot nur Empfehlungen aus Konsensusdokumenten, die im besten Fall symptomlindernd sind und in fast allen Fällen 'off the label', also die Verordnung eines Arzneimittels außerhalb des durch die Arzneimittelbehörden zugelassenen Gebrauchs. Medikamente, die dieses Syndrom heilen, gibt es noch gar keine."

Ein ganz besonderer Fokus muss in Zusammenhang mit postakuten Syndromen auf der Post-Exertional Malaise PEM liegen, betont Hoffmann. "Es macht für die Therapie den entscheidenden Unterschied, ob diese vorliegt oder nicht." Denn sobald PEM besteht, ist eine aktivierende Therapie und Rehabilitation kontraindiziert.

PEM zeigt sich dadurch, dass die persönliche Energiegrenze oft sehr niedrig ist. Das kann bedeuten, das Betroffene bereits nach einer Stunde Aktivität oder sogar noch weniger völlig erschöpft sind – manchmal ist es sogar schon zu viel, die Zähne zu putzen. Geht man über diese persönliche Energiegrenze hinaus, kann es in der Folge zu einer Verschlechterung der Symptome kommen, für mehrere Stunden, Tage oder sogar Wochen. Man nennt das einen "Crash". Ausgelöst werden kann dieser durch körperliche, aber auch rein kognitive Aktivitäten oder auch Umweltreize wie laute Geräusche, helles Licht oder Emotionen. Es ist dabei egal, ob die Reize negativ und stressvoll oder positiv und freudvoll sind.

Betroffene beschreiben dieses Gefühl der Erschöpfung oft so, als hätten sie gleichzeitig eine Grippe, einen Kater und einen Jetlag. So ein Crash tritt in der Regel zwölf bis 48 Stunden nach einer Überlastung auf. Die Betroffenen kommen dann oft tagelang nicht mehr richtig auf die Beine, häufig verschlechtert sich ihr Zustand auch langfristig. In besonders schweren Fällen können sie auch gar nicht mehr aufstehen oder selbstständig handeln.

Keine psychische Ursache

Ist jemand von PEM betroffen, ist Pacing ein enorm wichtiges Tool. Das bedeutet, dass man in erster Linie auf den eigenen Körper hört und seine (Energie-)Reserven immer als Aktivitätsparameter heranzieht. Man kann Pacing auch damit beschreiben, dass man für sich selbst das richtige Tempo findet. Es gibt dann keine harten Regeln oder (Fitness-)Ziele, sondern man orientiert sich an der individuellen Belastungsgrenze. Und, ganz wichtig: Sobald man merkt, die Energie wird weniger, gilt es, sofort aufzuhören, sonst droht ein Crash. Das Ziel ist, die Signale des Körpers so zu erkennen und zu akzeptieren, dass es erst gar nicht zu einem solchen kommt. Idealerweise wird durch diesen Zugang die Symptomlast langfristig weniger, der Zustand der Betroffenen bessert sich.

Wichtig ist in dem Zusammenhang, dass es sich bei dem Problem ganz klar um eine körperliche Ursache handelt, es ist kein psychisches Problem. Da die Symptome so unspezifisch sind, wird das Krankheitsbild auch immer wieder mit einer Depression erklärt. Und tatsächlich fühlen sich so manche Betroffene mit PEM psychisch nicht gut. Aber das kommt in den allermeisten Fällen daher, dass sie körperlich nicht so können, wie sie wollen.

Als Reaktion auf die Krankheitslast kann jedoch eine Depression entstehen. Prinzipiell zeigt das Krankheitsbild aber ganz klare klinische Unterschiede zur Depression, betont Hoffmann: "Antrieb und Motivation der Betroffenen sind in der Regel unvermindert, das ist ein entscheidender Unterschied zur Depression. Die Schwierigkeit ist eher, dass viele sich über das eigene Energielimit pushen und dann in eine Zustandsverschlechterung rutschen."

Tatsächlich ist Pacing eine anspruchsvolle Aufgabe, Rückschläge sind oft unvermeidlich, weil die Betroffenen meist eigentlich mehr wollen und das Energielevel auch von Tag zu Tag variiert. Was an einem Tag geht, ist am nächsten womöglich schon eine Überlastung. Aber zumindest kann man mit dieser Methode versuchen, das eigene Leben zu regeln und nicht langfristig in eine Verschlechterung hineinzurutschen. (Pia Kruckenhauser, 4.1.2024)