Gesundheitsminister Johannes Rauch und Arbeitsminister Martin Kocher.
Gesundheitsminister Johannes Rauch und Arbeitsminister Martin Kocher.
APA/ROBERT JAEGER

Wien – Die Regierung will das System der Beschäftigung von Menschen mit Behinderungen umstellen. Anstatt für ihre Arbeit in Werkstätten lediglich ein Taschengeld zu bekommen, das durch andere staatliche Leistungen ergänzt wird, sollen sie in Beschäftigungsverhältnisse mit sozialversicherungspflichtiger Entlohnung überführt werden. Dies könne aber nur Schritt für Schritt passieren, so Gesundheitsminister Johannes Rauch (Grüne) und Arbeitsminister Martin Kocher (ÖVP) am Dienstag.

Derzeit sind rund 28.000 Menschen mit Behinderung in Tages- und Beschäftigungsstrukturen der Bundesländer tätig. Die Angebote reichen dabei von basalen Förderungen von Personen mit hohem Unterstützungsbedarf über berufliche Qualifizierungsangebote bis zu arbeitsmarktähnlichen Tätigkeiten. Dafür bekommen sie ein Taschengeld, das je nach Bundesland zwischen 35 und 100 Euro im Monat ausmacht, und sind unfallversichert.

Verankerung im Regierungsprogramm

Das Vorhaben "Lohn statt Taschengeld" ist im Regierungsprogramm verankert. Dazu wurde 2021 vom Sozialministerium eine Studie beauftragt, die die Auswirkungen einer solchen Umstellung analysiert. Dazu haben Forscherinnen und Forscher der Wirtschaftsuniversität (WU) den Ist-Zustand mit einem Alternativsystem verglichen, bei dem eine Entlohnung von 1.180 Euro brutto (14-mal im Jahr) das Taschengeld ersetzt. Ab dieser Höhe fließen vielfach keine weiteren Leistungen aus der Sozialhilfe, außerdem fallen Leistungen wie lebenslange Waisenpensionen oder Familienbeihilfe weg, die Invalidenpension würde auf eine Teilpension reduziert. Gleichzeitig erwerben die Personen aber Versicherungszeiten und damit Anspruch auf eine Alterspension.

Für die Studie wurde ein Prognosezeitraum von 55 Jahren gewählt. Resultat: Die meisten "Player" in dem System steigen positiv bzw. neutral aus, lediglich die Länder haben hohe Verluste. Auf einen durchschnittlichen Menschen mit Behinderung bezogen, würde die Sozialversicherung mit einem Positivsaldo von rund 5.800 Euro pro Jahr aussteigen. Bund (plus 76 Euro/Jahr) und Trägereinrichtungen (plus 44 Euro/Jahr) würden in etwa pari abschließen, das jeweilige Bundesland mit einem Negativsaldo von rund 11.100 Euro pro Jahr. Klar auf der Gewinnerseite wäre auch die behinderte Person selbst mit rund 5.200 Euro pro Jahr.

"Die Geldflüsse ändern sich", erläuterte Studienautor Christian Grünhaus bei einer Pressekonferenz. So würden aus dem Taschengeld Personalkosten. Gleichzeitig müssten Sozialversicherungsabgaben geleistet und vom Gehalt Lohnsteuer bezahlt werden. Unter der Annahme, dass die Länder das Entgelt bezahlen, würden diese wohl im Rahmen des Finanzausgleichs dafür Ausgleichsforderungen stellen.

Schrittweise Umsetzung

Rauch bekannte sich zu einer Änderung: "Wenn wir das System ändern, ist das integrationspolitisch geboten, volkswirtschaftlich sinnvoll und für den Arbeitsmarkt positiv." Man habe sich im Rahmen der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen zur Chancengleichheit bekannt. "Das ist ein Staatsvertrag, und Staatsverträge sind dazu da, eingehalten zu werden."

Im kommenden Jahr werde es daher Gespräche mit den Ländern geben, wie man über Pilotprojekte in das neue System einsteigen könne. Er habe nach den Verhandlungen zur Gesundheitsreform durchaus Erfahrung mit komplexen Zuständen, meinte Rauch. "Das schreckt mich nicht wirklich." Auch Kocher sprach sich für eine schrittweise Umsetzung aus, um von tagesstrukturellen Einrichtungen zu sozialökonomischen Betrieben zu kommen. "Das wird nicht im nächsten Jahr abgeschlossen sein, aber wir werden wichtige Voraussetzungen schaffen."

Behindertenratspräsident Klaus Widl erwartet sich nun rasch weitere Schritte. Durch das derzeitige System des Taschengelds ohne Anspruch auf Pensions- und Krankenversicherung würden Menschen mit Behinderung lebenslang in die Rolle eines Kinds gezwängt. (APA, 12.12.2023)