Es war ein eigenartiges Zusammentreffen im Südchinesischen Meer am vergangenen Wochenende: eine Reporterin der "New York Times" auf einem "Ausflugsschiff", mehrere Fischerboote und zwei Schiffe der chinesischen "Küstenwache". Die chinesischen Schiffe begannen mit Wasserkanonen auf die philippinischen Boote zu feuern. Hinzu kam eine "akustische Waffe", die Schmerzen bei den philippinischen Seeleuten erzeugte. Die Aufnahmen fanden schnell ihren Weg auf die chinesische Videoplattform Tiktok. Beide Seiten beschuldigten einander, für den Vorfall verantwortlich zu sein. Es ist dies die jüngste Eskalation in einem sich seit Monaten zuspitzenden Konflikt um ein paar unbewohnte Inselgruppen im Südchinesischen Meer.

Die chinesische Küstenwache in unmittelbarer Nähe zu einem philippinischen Schiff
Die chinesische Küstenwache in unmittelbarer Nähe zu einem philippinischen Schiff, Aufnahme vom vergangenen Sonntag im Südchinesischen Meer.
AFP/TED ALJIBE

Die philippinische Regierung war kürzlich recht kreativ geworden, um ihre Besitzansprüche gegenüber dem übermächtigen China zu untermauern. Man hatte "Kreuzfahrten" für Touristen zum Scarborough-Riff organisiert. Diese vermeintlichen Ausflüge aber haben nichts anderes zum Ziel, als den Anspruch der Philippinen zu untermauern – ebenso kritisch wurde das von Peking aus betrachtet. Gerne nimmt man auch ausländischen Korrespondenten mit auf diese Fahrten.

"9-Strich-Linie"

Auf einer Karte sieht die "9-Strich-Linie" aus wie ein Hängebauch, der an Chinas Körper herunterhängt: Mit neun Strichen erhebt Peking Anspruch auf mehrere Inseln und Riffe, die auch für das bloße, ungeschulte Auge ungewöhnlich weit vom Festland entfernt sind und eigentlich näher an anderen Anrainerstaaten liegen.

Der Ursprung dieser Linie soll im 19. Jahrhundert liegen. Damals schnitten sich die europäischen Kolonialmächte und Japan immer mehr Stücke aus dem Kaiserreich heraus und machten diese zu Konzessionen. Die chinesische Marine war zu schwach, sie daran zu hindern. Also wehrte man sich mit Kartografie: Chinesische Kartenzeichner schlugen dem Kaiserreich so viele Territorien zu wie noch irgendwie glaubhaft, um die Verhandlungsmasse bei den demütigenden Friedensverhandlungen zu erhöhen. Die republikanische KMT-Regierung übernahm die Karte ebenso wie die Kommunisten unter Mao nach dem gewonnenen Bürgerkrieg 1949. Und da jede territoriale Veränderung an das "Jahrhundert der Demütigung" erinnert – so zumindest lautet die Lesart der kommunistischen Propaganda –, gibt sich Peking kompromisslos.

Viel wichtiger als Ansprüche aus dem 19. Jahrhundert aber dürften aktuell die Erdgasvorkommen sein, die unter manchen der Inselgruppen liegen. Gerade für China wäre diese relativ emmissionsarme Energiequelle vor der eigenen Haustüre wichtig, um das Luftverschmutzungsproblem im eigenen Land zu verringern. Ein Urteil des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag hat zwar 2016 die meisten chinesischen Ansprüche zurückgewiesen. Peking aber erkennt das Urteil nicht an.

Aufgeschüttete Inseln

Vor einigen Jahren begann China die Inseln und Riffe, von denen manche bei Flut kaum aus dem Wasser ragen, aufzuschütten, zu befestigen und ganze Flugplätze auf ihnen zu errichten. Mit diesem Material- und Kostenaufwand können die Philippinen nicht mithalten, weswegen man auf kreativere Lösungen wie "Touristenausflüge" setzte.

Doch selbst wenn China seine Ansprüche theoretisch komplett aufgeben würde, wäre das Problem im Südchinesischen Meer noch nicht gelöst. Neben den Philippinen streiten noch mit: Taiwan, Malaysia, das Sultanat Brunei, Indonesien und Vietnam. Fast alle dieser Länder versuchen mehr oder weniger mit Flaggen, Stützpunkten oder, wie die Philippinen, mit einem absichtlich auf Grund gelaufenen Kriegsschiff ihre Ansprüche geltend zu machen. (Philipp Mattheis, 13.12.2023)