Donald Tusk bei seiner Rede vor dem Sejm.
Donald Tusk durfte sich nach einem langen Tag über die Zustimmung der Sejm zu seiner Regierung freuen.
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Donald Tusk wollte keine Zeit mehr verlieren: Erst am Montagnachmittag hatte ihn der Sejm, die Abgeordnetenkammer des polnischen Parlaments, zum neuen Premierminister designiert. Und bereits am Dienstagvormittag präsentierte er ebendort sein Kabinett und sein Regierungsprogramm, um den Abgeordneten gleich im Anschluss auch die Vertrauensfrage zu stellen. Das Votum gewann Tusk schließlich auch, mit 248 Ja- und nur 201 Nein-Stimmen. Der Weg aber war weiter als gedacht.

Das Votum nämlich verzögerte sich vorerst. Grzegorz Braun, Abgeordneter der rechtsextremen Partei Konfederacja, griff auf dem Gang des Parlamentes zu einem Feuerlöscher, um dort angebrachte Chanukka-Kerzen zu löschen. Kurz darauf begründete er seinen Akt antisemitisch, und sprach vom Judentum unter anderem als einem „satanischen Kult“. Tusk, wie auch viele Abgeordnete anderer Parteien, verurteilten den Angriff umgehend und sprachen von einer "Schande". Die Fortführung der Sitzung am Dienstag stand damit auf der Kippe.

Zuvor hatte der designierte Premier auf hohes Tempo gesetzt. Möglich wurde das, weil die abgewählte Regierung der nationalkonservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) und das Team rund um Tusk seit der Parlamentswahl am 15. Oktober in zwei verschiedenen Geschwindigkeiten lebten. Während die PiS, die zwar weiterhin stärkste Partei ist, aber im Sejm keine Mehrheit mehr hat, den Machtwechsel hinauszögerte, nutzte Tusk die Zeit, um sich aufs Regieren vorzubereiten: Er zimmerte einen Koalitionsvertrag mit seinen Partnern.

Stabiles Bündnis

Die ersten Weichen waren dort bereits am Montag gestellt worden: Die Regierung des scheidenden Premiers Mateusz Morawiecki von der PiS musste sich zwei Wochen nach ihrer Vereidigung durch Präsident Andrzej Duda der Vertrauensabstimmung stellen – und verlor diese wie erwartet. Die liberale Bürgerkoalition (KO) von Donald Tusk hatte da längst sein Bündnis mit dem konservativ-zentristischen Dritten Weg und der Linken (Lewica) auf die Beine gestellt, das gemeinsam eine bequeme Mandatsmehrheit hat.

Noch am selben Tag designierte der Sejm Tusk zum neuen Regierungschef – und zwar mit einer Mehrheit von 248 Stimmen. Das entspricht genau den Mandaten, die sein Dreierbündnis im 460-köpfigen Sejm bei der Wahl errungen hatte.

Am Dienstag ließ Tusk dann bei seiner Rede vor den Abgeordneten keinen Zweifel daran, welchen Weg er künftig einschlagen will. Polen werde nicht nur ein starkes Mitglied der Nato sein und fest an der Seite der von Russland angegriffenen Ukraine stehen, sondern wolle auch eine Führungsposition in Europa einnehmen. Wer Polens Platz in der EU in Zweifel ziehe, so Tusk, schädige die Interessen des Landes.

Das darf auch als Signal Richtung Brüssel gewertet werden: Die scheidende Regierung lag immer wieder im Clinch mit den zentralen Institutionen der EU. Weil etwa die PiS unter Parteichef Jarosław Kaczyń ski in ihren acht Regierungsjahren weite Teile des Justizwesens politisiert hatte, wurden in Brüssel Sorgen um die Rechtsstaatlichkeit im Land laut. Die Europäische Kommission startete sogar ein Verfahren nach Artikel 7 der EU-Verträge, das theoretisch zum Entzug der Stimmrechte im Europäischen Rat führen kann. Auch der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg stellte fest, dass die polnische "Justizreform" gegen Unionsrecht verstößt.

Der Kurs der PiS, mit dem Warschau innerhalb Europas immer mehr ins Abseits geriet, soll nun jedoch der Vergangenheit angehören. Ein isoliertes Polen sei größten Risiken ausgesetzt, sagte Tusk am Dienstag – auch mit Blick auf den Krieg in der Nachbarschaft.

Ungeliebtes PiS-Erbe

Doch gerade anhand des Themas EU zeigt sich, wie schwierig es für Tusk sein wird, an all den Stellschrauben zu drehen, die die PiS so fest wie möglich angezogen hatte. So hat etwa das von der PiS politisch eingefärbte Verfassungsgericht erst Anfang dieser Woche entschieden, die Verhängung von Bußgeldern für die Nichtbefolgung von EuGH-Urteilen sei mit der polnischen Verfassung unvereinbar. Diese zu bezahlen, käme demnach sogar einem Verfassungsbruch gleich.

Das neue Kabinett hat also bei der Normalisierung von Polens Stellung in Europa, zu der auch die Freigabe eingefrorener EU-Mittel in Milliardenhöhe gehört, einen steinigen Weg vor sich – auch wenn neben dem ehemaligen EU-Ratspräsidenten Tusk noch andere erfahrene Leute auf der Regierungsbank Platz nehmen. Außenminister soll etwa Radosław Sikorski werden, der das Amt bereits 2007-2014 innehatte. Auch auf die künftige Rolle der öffentlich-rechtlichen Medien, die zuletzt Propagandasprachrohre der PiS waren, darf man gespannt sein.

Vorerst aber muss Tusk beim aktuellen Tempo bleiben: Die Vereidigung durch Präsident Duda war für Mittwochfrüh geplant. Und danach geht es für Tusk gleich zum EU-Gipfel nach Brüssel, der am Donnerstag beginnt. (Gerald Schubert, 12.12.2023)