Mak
Körper aus Fäden: Die Skulpturen von Sonia Gomes aus gebündelten Stoffen, Perlen oder Drähten sind durch die Traditionen sowie Materialien der afrobrasilianischen Kultur der Künstlerin beeinflusst.
Gui Gomes

Wulstige Körper wachsen aus den Wänden des Hotelzimmers 202 und zerreißen die Tapete. Selbst aus Kamin, Tischchen und Armsessel stülpen sich amorphe Wesen aus Stoff. Von einem Kinderlied inspiriert, gestaltete Dorothea Tanning – die Pionierin der Soft Sculpture – 1970 diese surreale Rauminstallation, die mit weichen Stoffen knallharte Inhalte umsetzt: Befindet man sich hier in einem textilen Albtraum?

Mit der Leihgabe aus dem Pariser Centre Pompidou machte sich das Wiener Museum für angewandte Kunst (Mak) ein verfrühtes Weihnachtsgeschenk, wie Bärbel Vischer sagt. Gemeinsam mit Antje Prisker kuratierte sie die neue Ausstellung Hard/Soft, die sich mit Textil und Keramik in der zeitgenössischen Kunst beschäftigt und diese mit historisch prägenden Werken ergänzt. Ein Thema am Puls der Zeit – immerhin erleben die beiden omnipräsenten Materialien seit etwa zehn Jahren auch im deutschsprachigen Raum als künstlerische Trendstoffe ein Comeback. Mit ausgewählten Werken von rund 40 Künstlern und Künstlerinnen ist es gelungen, eine spannende und ästhetische Präsentation zu gestalten.

Mak
Textiler Albtraum: Dorothea Tannings surreale Installation "Hôtel du Pavot, Chambre 202" aus dem Jahr 1970.
Georges Meguerditchian – Centre Pompidou

Obwohl die Themensetzung natürlich diverse Schwerpunkte und zahlreiche Positionen zugelassen hätte, wird der Fokus auf eine globale und generationenübergreifende Auswahl gelegt – und dieser viel Platz eingeräumt. Durch eine pointierte Lichtsetzung kommen die einzelnen Objekte ideal zur Geltung.

Körper, Körper, Körper

So wie die detailreichen Skulpturen der Brasilianerin Sonia Gomes aus gebündelten Stoffen, die auf Traditionen verweisen und Kommentare zu Feminismus und kultureller Aneignung beinhalten. Oder die Wandteppiche von Kapwani Kiwanga, die an geometrische Landschaften erinnern und mit gläsernen Reiskörnern gespickt sind – womit die kanadisch-französische Künstlerin auch auf den transatlantischen Sklavenhandel anspielt.

Mak
Beeindruckend monumentale Arbeiten: Hängende Figuren aus schwarzem Stoff von Magdalena Abakanowicz (vorne).
MAK/Kristina Wissik

Generell beschäftigen sich zahlreiche Werke mit dem Körperlichen und beziehen sich auf die oft als weiblich konnotierten Techniken des Webens und Töpferns. Mit ihren archaisch anmutenden Keramikvasen, die mit Brüsten bestückt sind, greift die polnische Künstlerin Agnieszka Brzeżańska genau das auf und setzt sich mit matriarchalen Ritualen auseinander.

Dämmung bis Umarmung

Besonders beeindruckend sind die monumentalen Arbeiten, die von der Höhe der Mak-Ausstellungshalle profitieren – wie jene meterlangen hängenden Figuren aus schwarzem Stoff von Magdalena Abakanowicz oder die aus Dämmmaterial bestehenden XXL-Skulpturen von Klára Hosnedlová. Können also textile Werke immer größere Dimensionen erreichen? Und sind Arbeiten aus Lehm oder Ton stets hart und statisch?

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Ranti Bam formt ihre überdimensionierten Tongefäße beim Herstellungsprozess mittels Umarmungen.
MAK/Georg Mayer

Dass die Grenzen zwischen diesen scheinbar gegensätzlichen Materialien nicht so scharf zu ziehen sind, macht der Wandteppich aus recycelten Aluminiumverschlüssen von Flaschen und Dosen des renommierten ghanaischen Künstlers El Anatsui deutlich. Auch die überdimensionierten Tongefäße der Nigerianerin Ranti Bam spielen mit ihrer Beschaffenheit: Während des Herstellungsprozesses umarmt sie die Künstlerin und verformt sie so zu faltigen Objekten mit hautähnlicher Patina.

In dieser auffallend weiblich und international besetzten Ausstellung kommen auch einige Künstler aus Österreich wie Ingrid Wiener, Maria Biljan-Bilger, Peter Kogler oder Gelatin vor. Zwar fielen einem noch viele weitere heimische Namen ein. Die Mischung stimmt aber. (Katharina Rustler, 13.12.2023)