Keren Kagarlitsky 
Keren Kagarlitsky dirigiert an der Volksoper ein Stück über die Nazi-Epoche.
Volksoper

Die Verzauberung durch Musiktheater widerfuhr Keren Kagarlitsky mittels Georges Bizets hitüberfüllter Carmen. Auch wenn die Bühnenereignisse für die damals 13-Jährige etwas verwirrend schienen, überwältigten sie Musik und Optik. Mittlerweile hat die 31-jährige Kagarlitsky in den Opernhäusern auch beruflich ihre Heimat gefunden. Sie, die 1991 in Israel geboren wurde, ist unter anderem Hausdirigentin der Wiener Volksoper. Dort wird sie am Donnerstag die Uraufführung von Lass uns die Welt vergessen – Volksoper 1938 leiten.

Es ist für die komponierende Dirigentin ein besonderes Stück. Darin wird die Situation an der Volksoper geschildert, wie sie sich 1938 kurz vor der Machtübernahme der Nazis dargestellt hat. Man probte gerade die Operette Gruß und Kuss aus der Wachau, als die politische Katastrophe langsam offensichtlich wurde. Kagarlitsky rekonstruierte die Operetten-Partitur und komponierte neue Musik für ein Stück, in dem die Probenidylle durch Diskriminierung, Verfolgung und Entlassungen wegen jüdischer Herkunft beendet wurde.

Das wahre Gesicht der Gesellschaft

Diese fragwürdige Periode an der Volksoper darzustellen entspricht auch Kagarlitskys Vorstellung von Aufgabe und Charakter des Musiktheaters an sich. Dort zeige sich in konzentrierter Form das wahre Gesicht der Gesellschaft. Man finde im Musiktheater Liebe, Hass, Geschlechterkonflikte und Politik, meint sie. Politik und Krieg bedrohen gegenwärtig natürlich Konzentration und Emotion. Kagarlitsky, die in Tel Aviv ihren Militärdienst geleistet hat, verfolgt die Nachrichten mit bangem Herzen. Seit dem Massaker durch die Hamas vom 7. Oktober habe ihr Alltag etwas von einem Albtraum, schildert sie.

Sie, deren jüdische Eltern und Großeltern 1990 aus Kirgisistan nach Israel gekommen sind, trägt auch Sorgen um ihren Bruder mit sich, der eingezogen wurde, erzählte sie in der Zeit. Vieles habe sich geändert. Kagarlitsky habe sich immer "in der linksliberalen Welt zu Hause gefühlt, die an die Menschenrechte glaubt und auf der Seite der Schwachen steht". Jene, mit denen sie vor dem Hamas-Anschlag gegen den Rassismus und die rechtsradikale Regierung in Israel protestiert habe, seien jetzt "gegen mich". Es fühle sich irreal an. Das Stück Lass uns die Welt vergessen hingegen muss sich für Kagarlitsky plötzlich deutlich realer anfühlen, als bei der Erarbeitung des Werkes zu vermuten war. (Ljubiša Tošić, 13.12.2023)