Wenn die Last des Krieges besonders drückt wie im beginnenden Winter, dann sind Signale engster Freundschaft und Hilfsbereitschaft der Nachbarn für die betroffenen Menschen ganz besonders wichtig. Das mag mit ein Grund sein, warum Wolodymyr Selenskyj Donnerstagabend geradezu euphorisch auf die Meldung aus Brüssel reagierte, dass die EU schon im kommenden Frühjahr konkrete Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine starten wird: "Das ist ein Sieg für die Ukraine, ein Sieg für Europa", textete er, für alle, die für die Freiheit kämpften.

Ein Stück der EU schon in der Hand: 2022 besuchte Präsident Selenskyj das EU-Parlament, und wurde dort umjubelt.
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Der ukrainische Präsident befand sich gerade auf Zwischenstation in Frankfurt, auf der Rückreise von Washington, wo er eindringlich um die Fortsetzung der US-Hilfen warb, die im Kongress umstritten sind. Man dürfe Russlands Präsident Wladimir Putin "nicht den einzigen Sieg in diesem Jahr gönnen", indem man den Beitrittsprozess verzögere, hatte er per Videoschaltung die beim EU-Gipfel versammelten europäischen Staats- und Regierungschefs gewarnt.

Dort gab es dazu zwar ein paar taktische Scharmützel mit Ungarns Premier Viktor Orbán. Der beharrt nach wie vor darauf, dass das "eine falsche Entscheidung" sei. Die Ukraine sei ein korruptes, auf den Beitritt zur EU nicht vorbereitetes Land. Aber das waren im breiteren Kontext der gemeinsamen europäischen Russland- und Ukraine-Politik wie auch der seit vielen Jahren definierten Strategie zur EU-Erweiterung eher nationalistische Nebensächlichkeiten. Niemand rechnet mit einem "Vollbeitritt" dieses kriegführenden Landes in den nächsten zehn Jahren. Man wird dabei neue Wege und Umwege gehen müssen.

Ungarisches Veto

Notfalls auch ohne Ungarn wollen die übrigen 26 Staats- und Regierungschefs nicht nur ihre Politik der Unterstützung der Ukraine fortsetzen. Sie wollen liefern, "was immer nötig ist", um die Wiederherstellung der staatlichen Souveränität zu garantieren. Russland dürfe den Krieg nicht gewinnen.

Dazu gehört die Zusage, bis 2027 insgesamt 50 Milliarden Euro zu mobilisieren – großteils Finanzhilfen für staatliche Aufgaben, teils für Waffen. Offen ist, ob das Geld aus dem regulären EU-Haushalt kommen wird, den man auf Vorschlag der EU-Kommission um insgesamt 64,4 Milliarden aufstocken müsste. Rund 14 Milliarden Euro sind zum Ausbau des EU-Außengrenzschutzes, für Asylaufnahmelager in Drittländern und Hilfsabkommen mit diesen zum Beispiel vorgesehen.

Beim Gipfel hat man sich darauf formell noch nicht geeinigt, weil Ungarn ein Veto einlegte. Aber die 26 übrigen EU-Staaten haben sich im Grundsatz bereits darauf verständigt: Im Jänner wird es einen weiteren EU-Gipfel geben, um das abzuschließen.

Finanzierung abgesichtert

Sollte Orbán nicht einlenken, wird die Hilfe für die Ukraine wie bisher zwischenstaatlich aufgestellt. Die Finanzierung des kriegführenden Landes mit 1,5 Milliarden Euro pro Monat ist bis auf weiteres aber durch geltende Beschlüsse ohnehin abgesichert. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen: "Wir werden eine operationelle Lösung haben, wie immer es beim Gipfel ausgeht."

Nicht nur Ungarn, auch andere EU-Staaten hatten bei der allgemeinen EU-Budgetrevision für den Rest der Periode bis 2027 noch Einwände: Nach derzeitigem Stand sollen 33 von 64 Milliarden Euro durch Kredite, 17 Milliarden durch Zuschüsse der Mitgliedsländer und 10,6 Milliarden durch Umschichtung im laufenden Budget aufgebracht werden. Unverbrauchte Gelder im Bereich Wissenschaft und Forschung sollen in die Nachbarschaftshilfe umgelenkt werden. Schweden, Österreich, auch Deutschland drängen darauf, möglichst wenig "frisches" Geld ins EU-Budget zu spülen. Wegen der stark gestiegenen Zinsen wird auf Sparsamkeit gedrängt. Einige Staaten haben Probleme bei der Schuldenfinanzierung.

Die Ukraine bleibt mit diesen Beschlüssen jedenfalls herzlich willkommen. Das Land hat erst vor einem Jahr einen Beitrittsantrag gestellt, erfüllt auch nach Auffassung der Kommission "noch nicht" alle Bedingungen zum Start der Beitrittsverhandlungen. Aber sie ist fest eingebunden in eine strategisch noch viel umfassendere Erweiterungsstrategie, der Beitrittsprozess "eine Investition in die Sicherheit unseres Kontinents", wie es heißt.

Präsenz am Schwarzen Meer

Beim EU-Gipfel wurde daher auch der Start von Beitrittsverhandlungen mit der Republik Moldau beschlossen. Und Georgien bekam den ersehnten Beitrittskandidatenstatus. Die Union will ihre Präsenz am Schwarzen Meer ausbauen – auch gegen Russland.

Zugleich wurde die Erweiterung auf dem Westbalkan angeschoben, wofür sich besonders Österreich starkmachte. Den sechs beitrittswilligen Ländern dort soll nächstes Jahr teilweise Zugang zum EU-Binnenmarkt gewährt werden. Die EU will auch einen Aufbaufonds von mehreren Milliarden Euro auflegen.

Das genaue Gegenteil zum Willkommen für die östlichen Nachbarn ist die Russland-Politik der EU. Auf Vorschlag der Kommission wurde das zwölfte Sanktionspaket gegen Moskau beschlossen. Der Handel wird weiter eingeschränkt. (Thomas Mayer aus Brüssel, 15.12.2023)