Der Künstler Julius Deutschbauer wohnt in der Nähe des Wiener Augartens. Die vielen Faksimiles seiner Person findet er inspirierend. Nur die Gäste sind beim Anblick der vielen Juliusse manchmal verstört.

"Es gibt hier ganz viel Julius, ich bin umgeben von mir, die ganze Wohnung ist verjuliust. Aber ich bin das längst gewohnt, ich wohne hier jetzt seit 38 Jahren, ich gehe tagtäglich an mir vorbei. Und das ist durchaus interessant, denn ich sehe meine eigene Entwicklung, meinen eigenen Verfall dokumentiert – vom allerersten Plakat 1993 bis heute.

Julius Deutschbauer in seiner Wohnung, von der aus er – fast – in den Augarten sieht.
Julius Deutschbauer in seiner Wohnung, von der aus er – fast – in den Augarten sieht.
Lisi Specht

Und ich habe die Erkenntnis: 1993 hatte ich 68 Kilo, heute, beim 210. Plakat, hat sich die Zahl irgendwie umgedreht, ich weiß auch nicht warum, es hätte schlimmer kommen können. Die zweite Erkenntnis ist, dass ich heute noch hässlicher bin, als ich es eh schon immer war. Das vielfache Ich in der Wohnung ist auch eine Inspiration für meine Arbeit. Indem ich die alten Plakate und Bilder von mir sehe, kommen mir immer wieder neue Ideen. Ich kann gut mit all den Ichs hier leben. Nur für meine Gäste ist es manchmal schwierig bis verstörend zu sehen, dass ich sogar Möbel mit mir tapeziere und beklebe. Unlängst hatte ich Freunde zum Abendessen eingeladen, darunter auch Ruth Beckermann, die dann irgendwann meinte: ‚Julius, jetzt bist du nicht nur überall, jetzt trete ich auch schon auf dir herum und sitze auf dir drauf!‘

"In meiner Wohnung haben sich im Laufe der Jahre sowohl Schönheit als auch Scheiße vermehrt – wie das halt so ist im Leben", sagt Julius Deutschbauer.
Lisi Specht

Ich will ja Plakate machen bis zu meinem letzten Atemzug und auch darüber hinaus. Nicht, dass ich morgen schon sterben will, ich will noch lange leben und noch viele Plakate machen und damit die Stadt vollkleben, aber es gibt schon eine ganz genaue Vorstellung für das allerletzte, posthume Julius-Plakat, mit einem Foto von meiner schönen Leich: ‚Julius Deutschbauer, endlich tot.‘ Mit der Druckerei ist abgestimmt, dass die Asche der Kremation der Druckfarbe beigemischt wird – eine Idee meiner Stieftochter. Technisch geht das! Unglaublich, oder? Ist halt nur ein bissl teurer, aber das ist ja dann nicht mehr mein Problem.

Ich wohne hier jetzt seit 38 Jahren, die Wohnung hat 78 Quadratmeter, im Erdgeschoß habe ich noch eine Art Lager, in dem ich die etwas gröberen und geruchsintensiveren Arbeiten mache – etwa, wenn ich meine Möbel nach dem Bekleben und Plakatieren mit Bootslack versiegle. Ilse Aichinger hat in ihrem Buch Der Gefesselte eine Geschichte unter dem Titel Wo ich wohne geschrieben – und das Wohnen höhenmäßig verortet: ‚Ich wohne seit gestern einen Stock tiefer.‘ Das fast Gute ist: Ich wohne drei Stöcke höher, und blickte meine Wohnung nicht in den Innenhof, sondern hinaus auf die Straße, würde sich vor meinen Augen in all seiner Pracht der Augarten ausbreiten. Aber so blicke ich stattdessen auf das Fenster der Nachbarin. Am Abend, wenn das Licht an ist, schauen wir einander beim Wohnen zu.

"Einer der wichtigsten Teilaspekte des Wohnens ist – neben dem Arbeiten – das Schlafen. Ich schlafe für mein Leben gerne, was auch ein bisschen schade ist, weil ich auf diese Weise viel wertvolle Wohnzeit verschlafe", sagt Julius Deutschbauer.
Lisi Specht

Wohnen ist übrigens ein schönes, wichtiges Thema. Ich wohne sehr gerne. Nicht nur hier in der Wohnung, sondern auch im Gasthaus. Aber nach ein paar Achteln im Zartl oder im Café Einfahrt denke ich mir immer: ‚Jetzt reicht’s, ich geh jetzt wieder heim wohnen!‘

Einer der wichtigsten Teilaspekte des Wohnens ist – neben dem Arbeiten – das Schlafen. Ich schlafe für mein Leben gerne, was auch ein bisschen schade ist, weil ich auf diese Weise viel wertvolle Wohnzeit verschlafe. Meist wohne ich im Sitzen, am Schreibtisch, umgeben von Laptop, Arbeitsutensilien und dem obligaten Fernseher, damit ich neben dem Arbeiten die Tatort-Folgen nachschauen kann, die ich am Sonntag versäumt habe.

Julius Deutschbauer wohnt sehr gerne in seiner 78 Quadratmeter großen Wohnung.
Julius Deutschbauer wohnt sehr gerne in seiner 78 Quadratmeter großen Wohnung.
Lisi Specht

Eine bekannte Bank behauptet ja: 'Vermehrt Schönes!', wiewohl ich finde, dass die globale Finanzwirtschaft eigentlich nur ein Interesse hat, nämlich Scheiße zu vermehren. Daher möchte ich mir gerne dieses Leiberl anziehen und darauf hinweisen. Ich denke, in meiner Wohnung haben sich im Laufe der Jahre sowohl Schönheit als auch Scheiße vermehrt – wie das halt so ist im Leben.

Aber ich denke, das war's jetzt mit der Vermehrung, die Wohnung ist eh schon voll. Wobei … wenn ich ehrlich bin, es wird schon noch viele, viele Plakate geben, die hier Einzug halten werden. Noch mehr Schönes, noch mehr Scheiße!" (18.12.2023)