Marković erzeugt Angstlust gekonnt.

Mini und Miki sind die Protagonist:innen in Minihorror, einem Buch, das das in Wien beheimatete Paar in 28 kurzen Episoden liebevoll verunglücken lässt. In jeder Erzählung widerfahren Mini und Miki irgendwelche horrorfilmartigen, splatterhaften Wendungen im Alltag.

Liest man die Geschichten (zum Beispiel "Cousine Jennifer", "Small Axe", "Perfect Day", "Das Kitzelmonster") nacheinander in einem Rausch – und das geht sehr gut –, erscheinen die beiden geisterhaft wie an den Levelanfang rückversetzt wieder auf der Bildfläche, und es begegnen einem endlos schlurfende Großmütter, Gucklöcher, Kakerlaken, Partygesprächsloops mit Blick aufs AKH, und viele weitere trostlose Versuche, sich der "niederschmetternden Ambivalenz des Lebens" anzunehmen.

Klasse, Herkunft, Verfall

Barbi Marković hat ein Gefühl für die richtigen Kapitelanfangssätze und Adjektiv-Nomen-Kombinationen. Wie auch immer sie Angstlust erzeugt, es funktioniert toll. Wie eine Mischung aus Kafka (behäbiges, lästiges Lebenspersonal wie in "Cousine Jennifer") und Fabeln, aber ohne generalisierende Regel am Ende.

Alles endet absurd, zum Lachen, furchtbar, leicht kränkelnd oder ergonomisch bestuhlt und kann für etwas stehen, muss aber nicht. Klasse, Herkunft, Verfall schweben über den Dingen, drängen sich aber nicht als dauerrelevante Themen auf. Nur selten fährt eine Handlung enger und wirkt weniger vielschichtig: Ikea und Kapitalismus kennen wir oder auch das Dorf, in dem alle irgendwie einfach sind. Es ist momentan vielleicht ein bisschen auserzählt. Auch in seiner Übertreibung.

Cartoonhafte Erzählformen

Marković schafft es, cartoonhafte Erzählformen (Und so ..., Dann ...) derart ins Absurde zu zitieren und besonders in den Kapitelanfängen Sätze zu finden, die nur durch das kleinste rhetorische "leider" so eine angenehm zynische Haltung bekommen, dass man schaudert: "Der Winter kommt, und die Seelen erkälten sich. Mini hat in der Zwischenzeit vier Bücher gelesen, einmal die Frisur geändert und eine Kung-Fu-Prüfung bestanden. Leider laufen ihr Pass und ihre Aufenthaltserlaubnis ab, und eines Tages werden auch ihre Organe versagen."

Die lakonische Tragik der Erzählstimme, die ein Schicksal genau zu kennen scheint. Gemein. Aber auch genussvoll beim Lesen. Mini und Miki oder Miki und Minisind ein beinahe zur Zwillingsformel verschmolzenes Paar in einer dünnwandigen Wohnung. Manchmal auch kein Paar. Aber irgendwie scheinen sie nicht auseinanderzukriegen zu sein.

Buchcover
Barbi Marković, "Minihorror". € 24,– / 192 Seiten. Residenz-Verlag, Salzburg/Wien 2023
Verlag

Schreibampel

Mini ist gebürtige Serbin und Autorin mit Ampel vor ihrem Schreibzimmer, die anzeigt, wann Arbeit ist und wann nicht. Und sie wird wiederholt von Monstrositäten ihrer Kindheitswohnung eingenommen. Miki kommt aus der Steiermark oder aus Oberösterreich oder woher eigentlich?

Jedenfalls lautet der Tenor: "Des passt guat, des isch fein." Die Namen aus dem "Lustigen Taschenbuch"sind die einzigen Konstanten, die diesen "Menschen" bleiben. Oder ihren Teilen, denn wie ganze Menschen funktionieren diese ständig verunglückenden Wesen nie.

Tendenz zur Kürze

Sie sind abgehackte, verkürzte Formen: Miki und Mini, die Tendenz zur Kürze (passend zu Minis Kurzsichtigkeit), und auch der Versuch, etwas angepasster und kleiner zu machen, als es in Wirklichkeit ist. Nach dem Motto: Es ist nicht so schlimm. Es ist nur "das Kitzelmonster"(zum Beispiel), in weißen Handschuhen, das nachts im Wilhelminenspital über das Sterben wacht. Ein gesichtsloses Wesen, das attackiert, wenn sich niemand mehr zu helfen weiß, weil alle immer alles nur okay und guat finden. "Und so bleibt das Gespräch heiter."

Mit dem Versuch, nicht zu viel zu werten und sich ständig zu umarmen, müssen die Figuren in den Erzählungen eigentlich zwingend scheitern: Es endet mit "zwei Gastgeschichten"und 105 tollen Comic-Skizzen über "weitere mögliche Horrors mit Mini und Miki". Es könnte der Anfang einer Reihe sein. (Helene Proißl, 17.12.2023)