Ein Urgestein der Rolling Stones wird am Montag 80 Jahre alt: Keith Richards.
Ein Urgestein der Rolling Stones wird am Montag 80 Jahre alt: Keith Richards.
REUTERS/TOBY MELVILLE

Wenn am Wochenende nichts schiefgeht, er keinem Übermut nachgibt und auf keinen Baum klettert, wird Keith Richards am Montag 80 Jahre alt. 2006 stürzte er beim Versuch, eine Palme erstzubesteigen, ab und zog sich dabei ein Blutgerinnsel zu, das ihn um ein Haar erwischt hätte. Nicht auszudenken! Da hat er jede Menge todbringendes Zeug überlebt, und dann purzelt er vom Baum. Aber: Schwein und einen guten Wahlarzt gehabt.

Wie bei vielen wilden Hunden, deren Lebensstil so ein Alter nicht unbedingt in Aussicht gestellt hat, kann man bei so einem Anlass den Satz hinschreiben: Niemanden wundert das so sehr wie ihn selbst.

Keith Richards ist – für alle, die gerade erst frisch auf der Erde gelandet sind – der Gitarrist und zweite Songschreiber der Rolling Stones. Das ist eine beeindruckend lang dienende Rockband, die in den frühen 1960ern eigentlich bloß die beste Bluesband von London werden wollte. Doch es kam anders, und die Stones wurde sogar in den USA berühmt und berüchtigt, der Rest der Welt war nur eine Frage der Zeit.

Heitere Renitenz

Die Stones und ihr Leckerschmecker-Logo mit der roten Zunge wurden dermaßen populär, dass Richards nächstes Jahr, mit 80 und keinen Tag jünger aussehend, erneut auf Tour gehen wird. Vorerst in den USA. Es ist nur Rock 'n' Roll, aber er mag es.

Rock 'n' Roll ist eine Kunst der Renitenz. Eine Auflehnung gegen das Leben als lustfeindlichen Amtsweg, gegen die Kirche, die sogenannten guten Sitten und was sonst noch spaßbehindernd im Weg steht. Wenige verkörpern diesen widerspenstigen Geist wie Richards. Doch die damit einhergehende Unvernunft hat der Jubilar über die Jahrzehnte langsam abgelegt. Dem Heroin entsagte er angeblich Ende der 1970er, das Kokain ließ er 2006 sein, das Rauchen 2019. Trinken tut er noch, sagt er, ansonsten frönt er den Freuden einer anhaltenden Heterosexualität, wie er vor kurzem feinspitzig wissen ließ.

Die Stones 1964: Der Lümmel in der Mitte der anderen Lümmel ist Keith Richards.
Die Stones 1964: Der Lümmel in der Mitte der anderen Lümmel ist Keith Richards.
KOKO via REUTERS

Keith Richards kam ohne den Firlefanz eines zweiten Vornamens am 18. Dezember 1943 während eines Luftangriffs der Nazis in Dartford in zur Welt. Im Nachkriegsengland spielte er in den Bombenkratern und Ruinen, die die Deutschen hinterlassen hatten. Elvis Presleys Lied Heartbreak Hotel nennt er ein Erweckungserlebnis, mit 15 bekam er seine erste Gitarre, 1961 schlug das Schicksal zu: Da traf er Mick Jagger wieder.

Muddy und Chuck

Die beiden waren zuvor bereits in dieselbe Grundschule gegangen, doch dann zogen ihre Familien um, sie verloren sich aus den Augen. Nun stand Jagger mit Platten von Muddy Waters und Chuck Berry unterm Arm vor Richards und gab sich damit als Geistesverwandter zu erkennen. Ab dem Tag war Richards Leben mit jenem des späteren Sängers der Rolling Stones unzertrennlich verbunden. Gemeinsam versuchten sie, das Wesen dieser Musik zu erfühlen. Ihre Strategie erklärte Richards später so: "Den Blues kannst du nicht im Kloster lernen, du musst rausgehen und dir das Herz brechen lassen."

Dieser Feldübung gingen die beiden beherzt nach. Jagger und Richards verbindet eine augenzwinkernde Hassliebe, denn während Jagger später einen Zug in den Jetset verspürte und gar zum Sir geadelt wurde, blieb Richards der räudige Lumpi. Ihm braucht man mit dem Adelsscheiß nicht kommen, das findet er lächerlich. Mit ein Grund, warum er unter den Fans die größten Sympathien genießt.

Mit dem Zebra-Pyjama direkt ins Büro. Keith Richards kann sich das erlauben. Hier beim letzten Wien-Gig der Stones im Vorjahr.
Mit dem Zebra-Pyjama direkt ins Büro. Keith Richards kann sich das erlauben. Hier beim letzten Wien-Gig der Stones im Vorjahr.
APA/HANS KLAUS TECHT

Sein lange so ruinös gepflegter Lebensstil bescherte ihm in den 1970ern ein zehnjähriges Abo auf Platz eins in der Rubrik "Most Likely to Die" des New Musical Express. Er führte im Scheinwerferlicht das Dasein eines Outlaws und schmuggelte die Injektionsnadeln seiner Heroinspritzen als Hutnadeln getarnt auf seiner Kopfbedeckung in die USA ein. "Niemand war so elegant abgefuckt wie ich", schreibt er in seiner Biografie Life.

Seit er 19 war, tourt er beständig um die Welt. Er fuhr auf LSD-Trip mit John Lennon im Auto, zog mit alten Blues-Helden durch die Dive-Bars von Chicago, kiffte in Jamaika mit Reggae-Größen und nahm unermüdlich Platten auf, die wiederum ausgiebiges Touren notwendig machten.

Ein paar Riffs für Tom Waits

Wenn die Stones eine Pause einlegten, weil Jagger Geld zählen oder zur Pediküre musste, begleitete Richards derweil Reggae-Legenden wie Max Romeo oder Toots and the Maytals, steuerte für das Tom-Waits-Album Raindogs ein paar knödelige Riffs bei, spielte Country mit George Jones und veröffentlichte zwischen 1988 und 2015 drei Soloalben. Unterstützt wurde er dabei von einer Band von wechselnder Besetzung, den X-Pensive Winos, einer Bande von Gleichgesinnten.

Zudem stand er dreimal in der Filmreihe Fluch der Karibik vor der Kamera. Verkleiden musste er sich für die Rolle des Kapitäns Edward Teague nicht wirklich.

Richards wohnt wahlweise in der kleinen Stadt Weston im US-Bundesstaat Connecticut oder lustwandelt auf der exklusiven Promi-Insel Parrot Cay. Vor allem im Winter zieht es ihn auf die Insel. "Arschkalt war mir in meiner Kindheit oft genug", sagte er einmal. Dort wird er an diesem Wochenende wohl auch den 80er feiern. So sei es. Nur eine Bitte, lieber Keith, bleib von den Palmen weg. (Karl Fluch, 18.12.2023)