Schuen erwies sich als freier Erzähler der über allerlei Liebesleid berichtenden musikalischen Kurzgeschichten.

Sind Liederabende passé? Ach wo. Lieder gehen immer. Was die Semmel für den Magen, ist das Lied für die Seele: ein stets verfügbares, leicht konsumierbares Grundnahrungsmittel. Heutzutage backen Taylor Swift, Helene Fischer und Co Unmengen solch kleiner Brötchen, mit denen sie Abermillionen verköstigen. Vor zwei Jahrhunderten ging Franz Schubert hierzustadt diesem Gewerbe nach.

Im schmucken Brahms-Saal des Musikvereins kredenzte Andrè Schuen ausgewählte Produkte des gemütsweichen Genies, umrahmt von Mahlers Lieder eines fahrenden Gesellen und dessen Rückert-Liedern. Mit mächtigem Bariton, stark und stolz wie ein Stier kämpfte der Coverboy der Dezember-Ausgabe des Musikfreunde-Magazins im Lied Um Mitternacht gegen dunkle Mächte an. Nie klang Todessehnsucht vitaler als am Schluss von Ich hab’ ein glühend Messer. Der Beginn von Ich atmet’ einen linden Duft hingegen war wie lichte Zauberei.

Feinste Linienführung

Mit Daniel Heide stand Schuen ein Begleiter zur Seite, der die klingenden Dinge am mit Wärme schmeichelnden Bösendorfer mit seinem stets sinnlich-beseelten Spiel bereicherte. Eine Offenbarung. Etwas zu handfest, fast lärmig geriet dem Pianisten lediglich der Beginn von Schuberts Seelenbalsam Du bist die Ruh. Die Interpretation eines vermeintlich schlichten Liedes ist bekanntlich das Schwerste überhaupt. Kann der Sänger in der Oper auf die Tube drücken und mit breitem Pinselstrich malen, so ist beim Liedgesang auch feinste Linienführung gefragt.

Schuen, der auf den großen Opernbühnen von Salzburg, Wien und anderswo gefeierte Südtiroler, erwies sich als freier Erzähler der über allerlei Liebesleid berichtenden musikalischen Kurzgeschichten. Die allerletzte Deutlichkeit in Sachen Artikulation ging dem 39-Jährigen dann und wann ab. Wundervoll und originell die zweite der drei Zugaben: Zarathustras Nachtwandlerlied aus Mahlers Dritter. Das schon oft totgesagte Liederabendpublikum antwortete darauf mit vitalen Jubelchören für die beiden Künstler. (Stefan Ender, 18.12.2023)