Heidi Horten Collection
Defilee der Trophäen: Werke von Andy Warhol, Jean-Michel Basquiat und Damien Hirst.
© Heidi Horten Collection

Claude Lalannes auf Hühnerfüßen balancierender Kohlkopf aus Bronze ist unlängst einem grünen Männchen gewichen: dem fast zwei Meter hohen Ideogramm von 1989, einem aus Stahl geschnittenen Selbstporträt Keith Harings, das nun für einige Monate vor dem Horten-Museum im Hanuschhof gegenüber der Albertina in ekstatischem Tanz erstarrt.

Der neue Selfie-Spot ist der Vorbote einer "Auswahl ikonischer Werke" aus der Sammlung der vergangenes Jahr verstorbenen Milliardärin Heidi Horten. We love heißt die Schau, die den Bogen vom vorwiegend deutschen Expressionismus über die Kunst der 1960er- und 1970er-Jahre bis in die Gegenwart spannt. Die Mehrheit der Kunstmarkt-Trophäen gastierte 2018 schon im Leopold-Museum, andere geben jetzt ihr öffentliches Debüt.

Was sie eint? Sie harren eines Votings: "#ARTfluence" nennt sich der partizipative Ansatz, über den vor Ort oder über soziale Netzwerke für den individuellen Favoriten gestimmt werden kann. So würden jene Kunstwerke ausgewählt, die ab Herbst 2024 permanent im Erdgeschoß zu sehen sein sollen, heißt es.

Tapeziert mit Warhol und Basquiat

Vorerst buhlen dort Andy Warhol, Jean-Michel Basquiat und Damien Hirst um Aufmerksamkeit, die Wände sind damit förmlich tapeziert. In den Obergeschoßen zeigt man deutsche Expressionisten, Werke von Emil Nolde, Ernst Ludwig Kirchner, Max Pechstein oder Erich Heckel. Franz Marcs Rote Rehe I treffen dort auf Roy Lichtensteins direkte Referenz Forest Scene (1980). Vertreter wie Paul Klee, Fernand Léger oder Jean Dubuffet rücken wiederum die Abstraktion in den Vordergrund.

Eine Novität birgt ein Kabinett im Erdgeschoß, eine Art Hinterzimmer, links neben dem Aufzug, wo man mit einem Wandtext zur "Historischen Verantwortung" zum Vermögensaufbau Helmut Hortens in der NS-Zeit Stellung bezieht.

Als Profiteur und NSDAP-Mitglied (1937–1944) hatte er gezielt die "Übernahme" von Kaufhäusern aus jüdischem Vorbesitz betrieben und sich an Unternehmen in der Rüstungsindustrie beteiligt, die Zwangsarbeiter beschäftigten.

Kritik jüdischer Organisationen

Zu Lebzeiten verlor Heidi Horten darüber öffentlich kein Wort, wiewohl diese Geschäftstätigkeit ihres 1987 verstorbenen ersten Ehemannes die Grundlage für das Milliardenvermögen bildete, das untrennbar mit ihrer Kunstsammlung, jedem Neuankauf und dem Betrieb des Museums verknüpft bleibt.

Offenbar bedurfte es erst der Kritik internationaler jüdischer Organisationen, die sich rund um die Versteigerung der Juwelenkollektion Hortens im Mai an einer fehlenden Offenlegung des Kapitels entzündete. Christie’s zog die Notbremse und sagte die im November anberaumte zweite Auktion aus Angst vor weiterem Reputationsverlust ab.

Man bedauere, dass die "proaktive Kommunikation" nicht schon früher erfolgt sei, zumal die Leitung und das Team des Museums um "die moralische Notwendigkeit einer offensiven Beschäftigung mit diesem Aspekt der Geschichte" wisse. So steht es nun an der Wand geschrieben. Zeitgleich pflegt man beim Thema Provenienzforschung jedoch eine eigentümliche Geheimniskrämerei. Schon Monate vor der Eröffnung des Museums 2022 hieß es, diese sei weitgehend abgeschlossen. Auf der Website findet sich dazu bis heute keine Information, auch darüber nicht, wer dafür zuständig wäre.

Herkunftsinfo? Fehlanzeige

Wie wenig man darauf hält, führt der soeben publizierte Sammlungsführer mit 107 Kunstwerken vor Augen, von denen 33 vor 1938 datieren. Angaben zur Herkunftsgeschichte? Fehlanzeige. Ein international bemerkenswerter Mangel an Transparenz, zumal für ein Privatmuseum mit erwähnter Vorgeschichte.

Die Thematik sei von großer Bedeutung, wie man auf Anfrage versichert, die Aufarbeitung der Provenienzen sei ein "Work in Progress", das noch nicht abgeschlossen sei. Das Expertenteam sei jüngst erweitert worden, und Dossiers sollen 2024 sukzessive veröffentlicht werden.

Bekannt ist bislang einzig die Herkunft von Gustav Klimts Kirche in Unterach am Attersee (1915/16), dem aktuell eine separate Präsentation gewidmet ist.

Als Co-Kurator und Co-Autor hat sich Tobias Natter mit der Werkgeschichte befasst, wie in einem Katalog nachzulesen ist. Wo sich das Bild in der NS-Zeit befand, konnte er nicht herausfinden. Eine Lücke, die der Kunsthistoriker mit einer Theorie füllt. Demnach habe die damalige Eigentümerin Elisabeth Gotthilf (Glanville) das Bild vor ihrer Flucht nach England in Österreich deponiert und später zurückbekommen.

Doch die Wahrheit ist eine andere: Das Gemälde hatte Österreich als Übersiedlungsgut verlassen und hing – bis zum späteren Verkauf an den Sammler Fritz Böck 1957/58 – in der Wohnung in London, genauer in der Küche der Familie Glanville, wie Elisabeths Sohn der Provenienzforscherin Ruth Pleyer einst erzählte. (Olga Kronsteiner, 19.12.2023)