Am 19. September warf ein Mitglied der mutmaßlichen Meidlinger Schutzgeldbande einen brennenden Molotowcocktail in einen Handyshop. Verletzt wurde dabei glücklicherweise niemand.
LPD Wien

Das Sturmgewehr in seinen Händen wirkt fast größer als der Bursche selbst. Der 16-Jährige mit dem schwarzen Haarschopf hält es sichtlich erfreut in den Händen, dann schießt er los. Um ihn herum sind grüne Bäume zu sehen, außerdem die Hand eines Mannes, der ihm die Waffe richtet. So erscheint es zumindest auf den Aufnahmen, die den österreichischen Ermittlern derzeit reichlich Kopfzerbrechen bereitet. Das Video wurde im August aufgenommen, vermutlich in Inguschetien, einer kleinen autonomen Republik Russlands.

Die Aufzeichnungen sind Teil eines mehr als 3.000 Seiten langen Ermittlungsaktes. Der Jugendliche, der im Video zu sehen ist, steht auch im Zentrum der Informationen. Er soll nämlich einer der Anführer einer angeblich neunköpfigen Jugendbande sein, die den gesamten September über einen Meidlinger Handyshop in Wien mit Angriffen terrorisiert haben soll – mit unterschiedlichen Partnern, mit Molotowcocktails, Böllern und einem bewaffneten Raubüberfall samt Handydiebstahl. Mutmaßlich, um Schutzgeld zu erpressen. DER STANDARD berichtete. Es gilt die Unschuldsvermutung.

Im Ermittlungsakt lässt der Google-Suchverlauf nun tief in die fragwürdig anmutende Gedankenwelt des 16-Jährigen blicken. Der angebliche Kopf der Bande hegte nämlich ein auffallendes Interesse für das Strafrecht. "Was passiert wenn ein unter 18-jähriger einen Menschen tötet", tippte der Bursche etwa zu einem unbekannten Zeitpunkt in sein Smartphone. Oder: "Welche straffe droht bei schutzgeld erpressung wien." Außerdem wollte er wissen, wie hoch die "längste freiheitsstrafe" für seine Alterskategorie ist. Aber nicht nur das.

"Riesen Anschlag Meidling"

Der Jugendliche durchforstete das Internet wohl nach jenen Angriffen auf den Handyshop, wegen denen die meisten der Schutzgeld-Teens in U-Haft ausharren müssen. "Einbrich 1120" suchte der 16-Jährige am 13. September gleich drei Mal zu später Stunde, just nachdem der Shop am Vorabend bewaffnet überfallen worden war. Auch an dem Raub zweier iPhones und dem Zerstören von Vitrinen soll der Bursche aus Sicht der Ermittler mutmaßlich beteiligt gewesen sein.

Am 14. September versuchte der Jugendliche mehrfach etwas über "riesen anschlag meidling" und "anschlag wien" herauszufinden. Nur zwei Stunden zuvor waren drei Böller vor dem Handygeschäft explodiert. Wieder soll der angebliche Anführer der Bande beteiligt gewesen sein. Ein Video der Straftat samt Selfie dürfte sich auf dessen Handy befinden. Ein anderes Mitglied der Bande versorgte den 16-Jährigen zudem per Chat mit Online-Zeitungsartikeln über die Explosion, worauf der Jugendliche belustigt reagierte: "AHHAHAHHAHAH."

Der gestohlene BMW

Ab dann lässt der Suchverlauf teils nur vage Vermutungen zu. "Kann man von einem blatt papier die fingerabdrücke herausfinden", befragte der Bursche die Google-Suche. Wenige Tage später überreichte ein anderes Bandenmitglied persönlich einen Erpresserschreiben samt Patrone an den traktierten Handyshop-Betreiber. 25.000 Euro oder Konsequenzen, lautete das sogenannte Friedensangebot. Wollte da etwa jemand auf Nummer sicher gehen?

Nach mehreren Anschlägen auf den Handyshop begann sich der 16-Jährige plötzlich intensiv für die Auswirkungen von Granaten zu interessieren, aber auch dafür, wo man Schwarzpulver auftreiben könnte. Das ist für die Ermittler deshalb interessant, da die Schutzgeld-Teens im Besitz einer selbstgebastelten Bombe sein könnten. Von einer Konstruktion, die dem verdächtig nahe kommt, ist zumindest ein Foto veraktet. Ob die Bombe tatsächlich existiert, ist unklar.

Der mutmaßliche Anführer der Bande wird zudem mit einem am 25. September gestohlenen BMW in Verbindung gebracht. Das legen sichergestellte Chats nahe. Belastend für ihn wirkt dabei einmal mehr der eigene Suchverlauf. Ausgerechnet am nächsten Tag, an dem das Auto samt einer vergessenen schussunfähigen AK47 im Kofferraum von der Polizei entdeckt wurde, tippte der Jugendliche "auto geklaut" ins Google-Suchfeld.

Wenig später wurde der 16-Jährige in Untersuchungshaft genommen. Bei einer Razzia stellten Polizeikräfte neben einer Softairwaffe und einer Machete einen Schlagring sowie scharfe Ninjasterne sicher. Geordert habe der Beschuldigte die teils verbotenen Waffen laut eigenen Angaben in Tschechien. Mit sämtlichen Angriffen auf den Meidlinger Handyshop will der Jugendliche rein gar nichts zu tun gehabt haben. "Ich habe die Wahrheit gesagt, ich habe nichts getan", sagte er in einer Polizeieinvernahme.

Gegen den minderjährigen Untersuchungshäftling stehen laut Ermittlungsakt allerdings eine Reihe von Vorwürfen im Raum. Es geht um schweren Raub, Brandstiftung, schwere Körperverletzung, Sachbeschädigung, schwere Erpressung und nicht zuletzt um kriminelle Vereinigung. In Summe droht dem Jugendlichen eine Freiheitsstrafe von bis zu 15 Jahren. Vorstrafen weist er allerdings keine auf.

Aus Sicht seines Verteidigers, Florian Kreiner, zeugen die Suchverläufe, "von denen überwiegend nicht einmal feststeht, von welchem Datum sie stammen, höchstens davon, dass derjenige, der das Handy im konkreten Fall bedient hat, im Internet allgemein erhältliche Informationen eingeholt hat". Das allein sei noch kein objektivierbares Beweisergebnis für die genannten Straftaten. "Dass mein Mandant in einem Chat Bezug auf einen bereits vollendeten Fahrzeugdiebstahl nimmt, der zuvor schon in sozialen Medien thematisiert worden war, beweist keinesfalls eine Mittäterschaft." Bezüglich des Videos, das den 16-Jährigen mit einer Waffe zeigt, wolle Kreiner mit seinem Mandanten "gesondert Rücksprache" halten. (Jan Michael Marchart, 21.12.2023)