Star Citizen / Gillian Anderson
Stars wie Gillian Anderson und Mark Hamill wurden für den Story-Modus des Spiels engagiert.
Cloud Imperium Games

Meine Hände zittern vor Vorfreude. Gerade habe ich einen neuen PC in meinem Arbeitszimmer zusammengebaut, und eine der ersten Aktionen muss tatsächlich der Download von "Star Citizen" sein. Vor fast genau elf Jahren, im Oktober 2012, entschied ich mich spontan, die Crowdfunding-Kampagne mit ein paar Dollar zu unterstützen. Ich war nicht der Einzige. 600 Millionen Dollar haben Interessierte bisher auf das Spiel geworfen, und das, obwohl keine große Firma wie Sony, Microsoft oder Nintendo dahintersteht.

Wir alle haben fast blind in einen Mann eingezahlt: Chris Roberts, seines Zeichens Entwickler hinter Klassikern wie der "Wing Commander"-Reihe oder auch "Strike Commander", die in den frühen 1990er-Jahren viele Jugendliche in virtuelle Piloten verwandeln konnten. 2011 gründet er Cloud Imperium Games und kündigt kurz darauf die Kickstarter-Kampagne für sein neues Spiel "Star Citizen" an. Nur wenige Wochen später bekommen die Unterstützer eine E-Mail. "Nachdem wir endlich ausschlafen konnten, möchten sich das Team von Roberts Space Industries und ich uns bei Ihnen bedanken, dass Sie uns geholfen haben, Geschichte zu schreiben." Tatsächlich würde das damals noch in den Kinderschuhen steckende Computerspiel einige Rekorde aufstellen, die noch nie ein Spiel zuvor zu träumen gewagt hätte.

Star Citizen
Die erste Mail erhielt der Autor dieser Zeilen vor elf Jahren.
aam

Seit dieser E-Mail haben sich in meinem Posteingang über 400 Updates von Chris Roberts eingefunden. In diesen wurde ich über den Entwicklungsstand informiert, neue Fahrzeuge und Features. Leider konnte ich mangels eines leistungsstarken PCs nicht in die 2013 gestartete Alpha einsteigen, die damals erste Einblicke in die neue Spielwelt gab. Sehr wohl verfolgte ich jedoch die Debatten, die rund um das Spiel geführt wurden. Es brauche einen Publisher, denn ein ambitionierter Entwickler wie Roberts werde das Projekt nie beenden, hieß es etwa. Während die einen diskutierten, investierten viele Roberts-Fans in die Idee einer offenen Welt, die man via Raumschiff bereisen kann. Die immer größeren Mengen an Geld wurden deshalb von den Entwicklern in weitere, neue Aspekte des Spiels gelegt.

Ein offizielles Erscheinungsdatum gibt es allerdings auch heute noch nicht. Zehn Jahre nach der Kickstarter-Kampagne befindet sich das Spiel noch immer ein einer Alpha-Version. Trotzdem kann man in das Spiel bereits einsteigen und das Weltall erkunden, was viele schon tun und ich ebenfalls gewagt habe.

Star Citizen
Weltraumschlachten sind das Herz des Spiels. "Star Citizen" bietet allerdings jetzt schon weit mehr als das.
Cloud Imperium Games/X
Star Citizen
Über zehn Jahre kann man sich schon eine kleine Raumflotte zusammenkaufen. Den eigenen Stolz kann man anderen Spielern dann zeigen.
Sven/Screenshot

Händler oder Pirat

Eine große Explosion meines Raumschiffs ist eine der ersten Erfahrungen, die ich in "Star Citizen" sammeln muss. Auch rund zehn Jahre nach der ersten Veröffentlichung ist das Spiel noch immer nicht einsteigerfreundlich oder technisch besonders optimiert. Obwohl ich einen potenten Rechner zu Hause stehen habe, läuft das Spiel nicht ganz flüssig. Aber der Reihe nach. Erstmals im Spiel, erstellt man rollenspieltypisch einen Charakter und darf dann auf einer Raumstation erste Aufgaben erledigen. Eine Waffe kaufen etwa, Wegpunkte ablaufen und Ähnliches. Die Station ist riesig, und gelegentlich laufen andere Spieler an einem vorbei. Man bewegt sich in einer großen Online-Welt, die es zu erforschen gilt. Das geht zu Fuß, aber auch mit Fahrzeugen und natürlich Raumschiffen, die in weiterer Folge ausgebaut werden können.

Man darf Raumpirat sein, Händler oder was man sonst in einer solch großen Welt sein will. Es warten klassische Quests, wie man sie aus Rollenspielen kennt, in denen man beispielsweise Pakete einsammeln und abgeben muss oder Verbrecher aus einem Gebäude vertreiben muss. Via Bergbau können wertvolle Erze eingesammelt und dann verwendet oder verkauft werden. Ähnliches kann man mit zerstörten Raumschiffen tun und deren Überreste in verkaufbares Material verwandeln.

Wem das alleine zu gefährlich ist, der kann sich Gilden, im Spiel Corporates genannt, anschließen, um künftig gemeinsam Handel zu treiben oder andere Spieler um deren Waren zu erleichtern. Die Möglichkeiten scheinen unbegrenzt, vor allem wenn man sich zum jetzigen Zeitpunkt in das Spiel wirft. Irgendwann stellt sich die Frage, wie ein Spiel mit so einer Fülle an Inhalten 600 Millionen Dollar einspielen konnte. Es gibt keinen Season-Pass und nur ein Abo-Modell, das man jedoch nicht abschließen muss, da es vor allem kosmetische Dinge und Hintergrundinformationen zum Spiel beinhaltet.

Star Citizen
Raumschiffe können schon mal knapp 200 Euro kosten. Dafür gibt es die dazu passende Versicherung gleich obendrauf.
Sven/Screenshot

Für Super-Fans

Da ich selbst in den letzten zehn Jahren wie geschrieben wenig Zeit in "Star Citizen" verbracht habe, frage ich jemanden, der es besser weiß: Sven. Ich treffe den Mann in einem von uns beiden genutzten Nerd-Forum. Immer wieder schreibt der bekennende Nerd über seine neuesten Errungenschaften im Spiel und über seine Corporate. "Ich bin gerade das Flottenregister meiner Corp ISFA (Imperial Starfleet of Austria) durchgegangen, um meine Schiffe zu aktualisieren. Wir haben aktuell circa 380 Mitglieder, die in Summe circa 2.500 Fahrzeuge gekauft haben, was einen Gesamtwert von etwa 500.000 Dollar ergibt."

500.000 Dollar? Langsam wird mir bewusst, wie die Entwickler über die Jahre 600 Millionen Dollar einnehmen konnten, wenn es solch ambitionierte Naturen im Spiel gibt. Ich frage Sven, was er selbst im Spiel schon ausgegeben hat. "Rund 13.000 Dollar", gibt er zu. Ich schnaufe einmal durch. Der mittlerweile 46-Jährige erkennt meine Reaktion und erläutert bereitwillig. Das Konzept, in einem virtuellen Science-Fiction-Universum leben zu können, sei ein "Traum". Genau wie ich war er als Jugendlicher "Wing Commander"-Fan, und auch wenn er die Kickstarter-Kampagne von "Star Citizen" verpasst hat, warf er schon kurz nach Ablauf des ersten Crowdfundings immer wieder Geld auf das Spiel.

"Ich unterstütze gerne Projekte/Spiele, die mich persönlich ansprechen, und gebe dann auch gerne den einen oder anderen Euro extra aus", erzählt er. Die fünfstellige Summe setzt sich aus mehreren Ausgaben zusammen. Da wäre zunächst eine monatliche Zahlung für den sogenannten Imperator-Zugang, der mit etwa 20 Euro zu Buche schlägt. Dieser ist für wahre Fans des Spiels, bringt er doch vor allem Einblicke in einen exklusiven Newsletter, Vorabzugang zum Ticketverkauf diverser Ingame-Veranstaltungen und früheren Zugang zu diversen Raumschiffen. Letztere kann man sich erspielen, aber natürlich auch kaufen, was Sven immer wieder getan hat.

Die regelmäßigen Shopping-Touren erklärt der Gamer mit einer gewollten Unterstützung des Projekts und der sogenannten "Lifetime Insurance" (LTI). Diese ist eine lebenslange Versicherung der Raumschiffe und Fahrzeuge. Warum es diese gibt? Verliert man als Spieler ein erspieltes Fahr- oder Flugvehikel im Spiel, egal durch welchen Auslöser, ist es für immer verloren. Größere Schiffe, die man sich später im Spiel einmal kaufen möchte, sind dementsprechend teurer und auch die Versicherung höher. Andere Spiele würden sich durch ein solches Modell wohl einen Shitstorm einhandeln – in der "Star Citizen"-Community akzeptiert man diese Form offenbar.

Als letzten Punkt seiner Investition in "Star Citizen" nennt der Science-Fiction-Fan den "Concierge Service" des Spiels. Ab 1.000 gespendeten Dollar hat man einen schnelleren Draht zum Support, bekommt spezielle Anstriche für die Raumschiffe und exklusives Merchandise.

Squadron 42: I Held The Line
Star Citizen

Releasetermin unbekannt

Rund zehn Jahre nach der Crowdfunding-Kampagne ist "Star Citizen" noch immer in der Alpha-Version, das heißt weit weg von einer Fertigstellung. Den Fans scheint es egal zu sein. Sie genießen schon jetzt die unendlichen Weiten, die es bereits zu erkunden gibt. Bei der Stange gehalten werden viele Unterstützer vor allem durch immer neue Features oder Ankündigungen. Im Oktober 2023 wurde etwa das Spiel im Spiel "Squadron 42" erstmals mit massig Spielszenen gezeigt. Dieser Spin-off von "Star Citizen" soll keine offene Welt bieten, sondern stringenter einer Handlung folgen, die von Schauspielern wie Mark Hamill ("Star Wars"), Gillian Anderson ("Akte X"), Gary Oldman ("Léon – Der Profi") oder Mark Strong ("Kingsman") begleitet wird. Ego-Shooter-Passagen wird es genauso geben wie spektakuläre Raumkämpfe oder auch ausgefuchste Puzzle-Rätsel. Ein Releasedatum für "Squadron 42" blieb man allerdings schuldig.

Wie es mit "Star Citizen" selbst weitergeht, das weiß wohl nur Entwickler Chris Roberts selbst. Ebenfalls im Oktober präsentierte man die neue, selbstgebastelte Star Engine, die sich vor der aktuellen Konkurrenz am Markt nicht zu verstecken braucht. Super-Fan Sven rechnet nicht damit, dass das Spiel in den nächsten zwei bis drei Jahren fertig wird. Er sehe allerdings gute Fortschritte, und die offene Kommunikation der Entwickler sei spannend. Selten sei man so nah an der Spielentwicklung dran wie in diesem Fall. Die Alpha mache schon Spaß, "hie und da mal einzutauchen", auch wenn viele Dinge noch recht "buggy" seien. Ihn störe das aber nicht. "Gutes braucht halt seine Zeit." (Alexander Amon, 29.12.2023)