Das ist keine Toilette, das ist ein Onsen, welches der Toilettenreiniger Hirayama (Kōji Yakusho) täglich besucht. Perfect Days
Das ist kein Klo, das ist das traditionelle Badehaus, das der Toilettenreiniger Hirayama (Kōji Yakusho) regelmäßig besucht.
Polyfilm

Nach erfolgreichen Ausflügen ins Dokumentarfilmfach ist Wim Wenders, mit fast 80 Jahren, als Spielfilmregisseur zurück. Sein diesen Freitag in den Kinos startender Film Perfect Days dreht sich um den Toilettenputzer Hirayama. Viel passiert im Leben des alleinstehenden, schweigsamen Mannes nicht, aber er versteht es, seinem routinierten Alltag mit Popmusik, Literatur und Fotografie Sinn einzuhauchen. Eine wunderbare Kinomeditation, die genau den richtigen Ton zwischen Zen und Großstadtleben trifft.

STANDARD: Was kam Ihnen zuerst in den Sinn: die Toilettenhäuser oder der Toilettenreiniger?

Wenders: Zuerst kamen die Häuslein. Vor zwei Jahren erreichte mich eine Anfrage, ob ich mir mal die Toiletten ansehen würde, die von fünfzehn großen Architekten in Tokio gebaut worden waren: Kengo Kuma hatte das Olympiastadion gebaut, Tadao Andō war ein alter Freund, und ich hatte schon ein paar seiner Museen in der ganzen Welt fotografiert. Anfangs war angedacht, dass ich eine Dokumentarfilmreihe über die Architekten und ihre kleinen Kunstwerke mache. Je mehr ich aber durch Tokio gelaufen bin, umso mehr dachte ich, dass hinter diesen Toiletten eine größere Geschichte verborgen war. Der Film könnte sie zwar beinhalten, aber eben nicht als Hauptsache.

STANDARD: Haben Sie auch über Toiletten in der Filmgeschichte nachgedacht?

Wenders: Toiletten kommen im Film selten vor, in der Literatur eher. Peter Handke hat mit dem Versuch über den stillen Ort eine schöne Meditation geschrieben. In Filmen sind Toiletten eigentlich nur Unorte. Manchmal geschieht dort was Übles, man verschanzt sich drin und dann wird man durch die Tür erschossen. Was fällt einem da nicht alles ein …

STANDARD: Nun setzen Sie den "Unort" in ein anderes Licht.

Wenders: Das Licht, in das ich diese Orte setzen wollte, war die japanische Kultur selbst. Die Zuneigung zu den kleinen Dingen. Ich mag viele Aspekte der japanischen Kultur, nicht nur das Kino. Für Beschreibungen, für die man bei uns ganze Sätze brauchen würde, gibt es in Japan ein einziges Wort, wie zum Beispiel "komorebi": Wenn die Sonne durch Blätter fällt, die sich im Wind bewegen, und so ein wunderschönes kleines Lichtspiel entsteht. Diese besonders schönen Toiletten sind zum Teil auch so gebaut, dass man da sitzen und so ein "komorebi" auf der Glaswand sehen kann.

STANDARD: Die Sauberkeit der Toilettenhäuschen erhält Kloreiniger Hirayama ...

Wenders: Gerade für etwas, das so liebevoll gemacht und geradezu idealisiert gebaut worden ist, muss jemand mit großer Begeisterung Sorge tragen. Gemeinsam mit meinem japanischen Co-Autoren Takuma Takasaki habe ich mir also jemanden ausgedacht, der sich drum kümmert. Das war Hirayama. Der Name stammt von der Hauptfigur aus dem Film Tokio Story von Yasujirō Ozu. Für mich ist das eine sinnbildliche Figur für alles, was ich an Japan mag.

PERFECT DAYS - Trailer OmU German | Deutsch
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STANDARD: Japan ist nicht nur freundlich und detailverliebt. Das Land hat auch Probleme.

Wenders: Das erlebt man da natürlich auch. Ich wollte aber keinen Film über Japan machen, sondern einen Film über jemanden, der ein anderes Lebensmodell hat: einer, der sehr einfach lebt, sich sehr reduziert hat und gerne im Dienst des Allgemeinwohls steht. Gut, er ist ein bisschen eine utopische Figur, ich denke nicht, dass es so jemanden wie unseren Hirayama wirklich gibt. Wenn er sich nicht um Toiletten kümmert, pflegt er seine Setzlinge, fotografiert Bäume, hört seine Musik und liest abends vor dem Einschlafen. Wir wissen alle, dass es mit diesem Planeten nicht so weitergeht, wenn wir alle immer mehr haben wollen, als wir brauchen. Also müssen wir lernen, uns zu beschränken. Deshalb hatte ich den Wunsch, einen zu zeigen, der uns einfach vormacht, wie das gehen kann. Nicht mit erhobenem Zeigefinger, sondern mit Freude.

STANDARD: Wie wichtig war dafür Ihr Hauptdarsteller Kōji Yakusho?

Wenders: Ich weiß nicht, ob ich den Film gemacht hätte, wenn er sich nicht gleich uneingeschränkt zur Verfügung gestellt hätte. Das erste Mal habe ich ihn in 1996 in Shall We Dance gesehen. Ich habe dann meine ganze Familie zu Weihnachten reingeschleppt, weil es ein wunderbarer Weihnachtsfilm ist. Dann habe ich Kōji Yakusho in Babel gesehen. Großartig. Ich habe mir auch andere Filme mit ihm angesehen, die ich mir vielleicht sonst nicht reingezogen hätte: Japanische Samurai- oder Polizisten-Filme. Aber in allem, was er macht, hat Kōji so eine Würde und Menschlichkeit, und das brauchte Hirayama.

STANDARD: Wie war die Zusammenarbeit?

Wenders: Er hat die Rolle so verinnerlicht, dass wir schon bald den Film so gedreht haben, als ob wir eine Dokumentation über Hirayama machen würden. Irgendwann habe ich ihn auch nicht mehr Kōji genannt, sondern Hirayama. Wir haben das gefilmt, was er gemacht hat, meist auch ohne zu proben. Einmal sollte er zum Beispiel seine Tatami saubermachen. Da meinte er: Nun zeig ich euch mal, wie das meine Großmutter immer gemacht hat. Und dann kam er mit einem Wassereimer und einer alten Zeitung und niemand am Set wusste, dass er die Zeitung ins Wasser tauchen und dann Schnipsel davon mit dem Besen verteilen würde, damit das feuchte Zeitungspapier den Staub aufsaugt. Das war schön und einleuchtend.

STANDARD: Gegen Ende gibt es eine lustige Szene: Hirayama steckt sich mit einem anderen älteren Herrn eine Zigarette an, beide fangen wie verrückt an zu husten. Eigene Erfahrung?

Wenders: Das ist ein Albtraum von mir. Ich habe mal Kette geraucht, und hin und wieder träume ich, dass ich rauche und so furchtbar husten muss, dass ich davon aufwache. Wenn das passiert, bricht mir der kalte Schweiß aus – und ich bin heilfroh, dass es nur ein Traum war.

Wim Wenders hat manchmal Albträume vom Rauchen. Perfect Days
Wim Wenders hat manchmal Albträume vom Rauchen.
APA/AFP/JULIE SEBADELHA

STANDARD: Ihr Film lebt von der analogen Kunsterfahrung: Sei es in Form von Kassetten, Fotografien, Büchern. Wie wichtig ist das Analoge für Sie?

Wenders: Es war eigentlich aus meinem Leben schon ganz verschwunden. Schallplatten höre ich noch, aber ich höre auch vieles von digitalen Quellen. Nach dem Film habe ich meinen Kassettenrekorder wieder herausgeholt. Er ging noch, aber ich hatte keine Kassetten mehr, bis ich einen Schatz gehoben habe, nämlich die Mixtapes, die mir mein Bruder in den 1980ern geschickt hat. Damals habe ich in Amerika gelebt, aber wir unterhielten einen Briefwechsel in Form eines wöchentlichen Mixtapes. Die Musik hat dann immer alles erzählt, wie eine persönliche Geschichte. In Japan sind Kassetten wieder der große Renner. Walkmans kann man wieder kaufen, und Hirayamas alte Kassetten sind viel wert, wie er im Laufe der Geschichte merkt.

STANDARD: Hirayama hört gerne Lou Reed-Kassetten beim Autofahren. Ist er der Schirmpatron ihres Films?

Wenders: Oh ja, absolut. Lou ist auch der Einzige, der zweimal singt. „Pale Blue Eyes” und "Perfect Days". Er war ein sehr guter Freund, der in drei Filmen von mir mitgespielt hat. Eine meiner Lieblingsstimmen in der Rockgeschichte. Lou wäre auch über die Figur des Hirayama sehr froh gewesen. (Interview: Valerie Dirk, 20.12.2023)