Anhand des Handys vieler Menschen lässt sich fast ihr ganzes Leben nachvollziehen.
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Der Verfassungsgerichtshof hat eine richtungsweisende Entscheidung getroffen: Staatsanwälte und Staatsanwältinnen sollen Mobiltelefone und andere Datenträger künftig nicht mehr ohne richterliche Genehmigung sicherstellen können. Die bisherige Praxis sei verfassungswidrig. Die ÖVP jubelt und möchte gleich auch noch Überwachungsmöglichkeiten für Messenger-Dienste aushandeln. Die Grünen geben sich zurückhaltend. Was hinter all dem steckt? Ein Überblick.

Frage: Konnten Ermittler bisher jedem Kleinstverbrecher das Handy abnehmen?

Antwort: Die kurze Antwort lautet: Ja. Die Sicherstellung eines Handys oder Laptops kann derzeit bereits erfolgen, wenn es gewisse Anhaltspunkte gibt, dass jemand eine leichte Straftat begangen hat. Staatsanwältinnen und -anwälte können darüber ohne richterliche Genehmigung entscheiden. Zu Ermittlungszwecken dürfen selbst nicht verdächtigen Dritten ihre Datenträger abgenommen werden. Betroffen sind logischerweise immer sämtliche Menschen, deren Daten auf einem sichergestellten Handy oder Laptop gespeichert sind – auch wenn sie mit der mutmaßlichen Straftat überhaupt nichts zu tun haben.

Frage: Warum will der Verfassungsgerichtshof das jetzt ändern?

Antwort: Die Causa hatte zu Jahresbeginn ein Kärntner Unternehmer vor das Höchstgericht gebracht. Er wehrte sich gegen die Sicherstellung seines Handys durch die Staatsanwaltschaft Klagenfurt, die gegen ihn wegen Untreue ermittelt hatte. Laut seinem Antrag sei die Maßnahme verfassungswidrig, weil sie einen umfassenden Eingriff in die Privatsphäre bedeute, ein Handy aber bereits "unter geringsten Voraussetzungen" sichergestellt werden könne. Der Verfassungsgerichtshof gab ihm nun recht.

Frage: Was sagt das Höchstgericht konkret?

Antwort: In dem Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs wurde klargestellt, dass die Sicherstellung von Handys und anderen Datenträgern ohne richterliche Genehmigung eben verfassungswidrig ist. Nach Ansicht der Höchstrichter verstößt die aktuelle Praxis gegen das Recht auf Privatleben, verankert in der Europäischen Menschenrechtskonvention, sowie gegen das Datenschutzgesetz. Festgehalten wird, dass es grundsätzlich legitim sei, Datenträger sicherzustellen und auszuwerten, um eine Straftat zu verfolgen – jedoch brauche es Nachbesserungen im Strafprozessrecht. Ein Handy gibt heute schließlich nicht mehr bloß punktuell Auskunft über einen Menschen, sondern vielmehr einen umfassenden Einblick in das gesamte Leben.

Frage: Und den sollen Staatsanwältinnen und Staatsanwälte künftig nicht mehr bekommen? Wie soll die neue Regelung aussehen?

Antwort: Der Verfassungsgerichtshof hat der Politik einen gewissen Spielraum bei der Ausgestaltung der neuen Regelung gegeben. Fest steht: Künftig werden sich die Staatsanwaltschaften mit einem Gericht abstimmen müssen, um ein Handy oder andere Datenträger sicherzustellen oder zu beschlagnahmen. Außerdem stellte das Höchstgericht in seinem Entscheid auch klar, dass eine Richterin oder ein Richter künftig festlegen muss, welche Daten aus welchem Zeitraum zu welchen Ermittlungszwecken ausgewertet werden dürfen. Bis zu einem gewissen Grad wird der Handlungsspielraum von Staatsanwältinnen und -anwälten dadurch eingeschränkt. "Natürlich wird das eine Änderung darstellen, aber ich würde das auch nicht überschätzen", sagt Verfassungsjurist Heinz Mayer dazu im Gespräch mit dem STANDARD. Dass eine Richterin oder ein Richter Anträge der Staatsanwaltschaft nicht bewilligt, kommt in der Praxis nämlich so gut wie nie vor.

Frage: Was bedeutet das für die Causa rund um Ex-Öbag-Chef Thomas Schmid?

Antwort: Rückwirkend hat die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs keine Auswirkungen – für bereits laufende Ermittlungen und Verfahren wie jene rund um Schmid ändert sich somit nichts. In diesem Zusammenhang ist auch wichtig zu erwähnen: Die Hausdurchsuchung und Sicherstellung der Festplatte von Schmid im Jahr 2019 ist ohnehin auf richterliche Anordnung erfolgt. Dennoch hätten auch Schmid oder jeder andere Betroffene ähnliche Fälle vor das Höchstgericht bringen können, trotz unzähliger Handysicherstellungen war der Kärntner Unternehmer allerdings der Erste, der das tat. Bereits erfolgte Sicherstellungen von Handys können nun übrigens nicht mit Verweis auf den aktuellen Entscheid des Höchstgerichts bekämpft werden. Bis das Gesetz repariert wird, gilt die aktuelle Regelung.

Frage: Was sagen Expertinnen und Experten dazu?

Antwort: In der Justiz wie auch in anderen Fachkreisen wird die vom Höchstgericht angestoßene Neuregelung weitgehend positiv bewertet. Der Verfassungsjurist Mayer hält die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs für richtig, denn "das Problem" bestehe schon lange. "Es hat nur niemanden gekratzt, bis die Auswertung von Handys ein politisches Thema wurde durch die Untersuchungen gegen die ÖVP", sagt er. Der Präsident der Richtervereinigung, Gernot Kanduth, spricht von einer "aus grundrechtlicher Sicht sehr wichtigen Entscheidung". Richard Soyer, der Anwalt des Kärntner Unternehmers, der Stein des Anstoßes war, wirft der Politik vor, "die technischen Entwicklungen der letzten 15 Jahre verschlafen zu haben". Die Entscheidung des Höchstgerichts sei ein "sehr deutlicher Weckruf".

Frage: Wie reagiert die Politik?

Antwort: Die grüne Justizministerin Alma Zadić kündigte lediglich eine "zeitnahe" Umsetzung an. Die Vorgabe des Verfassungsgerichtshofs lautet, dass das Gesetz jedenfalls bis Ende 2024 repariert werden muss, mit 1.1.2025 tritt die aktuelle Regelung außer Kraft. Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) zeigte sich erfreut, die ÖVP pocht schließlich schon lange auf die Gesetzesänderung: "Wir dürfen hier keine Zeit verlieren", sagt die türkise Ministerin. SPÖ, FPÖ und Neos begrüßen den höchstgerichtlichen Vorstoß und fordern die Regierung zum Handeln auf.

Frage: Warum hat die Regierung nicht schon früher gehandelt?

Antwort: ÖVP und Grüne verhandeln im Zuge ihrer seit Jahren festgefahrenen Justizreform auch schon länger über die Voraussetzungen für die Sicherstellung von Smartphones. Allerdings sind die Regierungsparteien hier nicht vom Fleck gekommen. Hintergrund dafür ist eine gewisse Pattsituation. Während die ÖVP im Rahmen der Justizreform in mehreren Punkten eine Stärkung von Beschuldigtenrechten verlangt, pochen die Grünen auf einen Bundesstaatsanwalt. Für eine Änderung der Regelung bei Handyabnahmen macht sich die ÖVP allerdings auch erst stark, seit die Zahl von Beschuldigten aus ihren eigenen Reihen immer größer wurde. Die Grünen wollten wohl den Eindruck einer Anlassgesetzgebung vermeiden und scheuten das Thema deshalb. Beim Bundesstaatsanwalt spießt es sich wiederum an der Frage, wie genau dieses Gremium besetzt und von wem es kontrolliert werden soll.

Frage: Ist die Sicherstellung von Handys eine gängige Ermittlungsmethode?

Antwort: Die Präsidentin der Staatsanwältevereinigung, Cornelia Koller, nennt die Sicherstellung von Handys und anderen Datenträgern ein "Massengeschäft im staatsanwaltschaftlichen Alltag". Es ist also davon auszugehen, dass es sich dabei um eine geläufige Ermittlungsmaßnahme handelt, die oftmals zum Einsatz kommt. Konkrete Zahlen zu derartigen Sicherstellungen sind nicht bekannt, die Zahl wird nämlich nicht gesondert erfasst.

Frage: Was könnte im Rahmen einer größeren Strafrechtsreform noch in Angriff genommen werden?

Antwort: Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) möchte im Rahmen dieser Reform nun auch gleich eine verfassungskonforme Überwachungsmöglichkeit von Messenger-Diensten schaffen: "Es würde Sinn machen, das gleich in einem abzuarbeiten", erklärte er am Mittwoch. Österreich sei das einzige Land in der Europäischen Union, das nicht über entsprechende Möglichkeiten verfüge. Im heurigen Jahr war in mehreren Fällen ein Terrorverdacht erst nach Informationen von ausländischen Partnerdiensten bekannt geworden. Hier hinke man mangels rechtlicher Möglichkeiten anderen Diensten hinterher, sagt Karner. Die Grünen sind dagegen und werfen Karner vor, eine "Chatkontrolle mit Spyware" einführen zu wollen. "Bislang konnte der Koalitionspartner hier auch kein grundrechtskonformes Modell vorlegen", wurde ihm seitens des grünen Klubs ausgerichtet. (Katharina Mittelstaedt, Sandra Schieder, 20.12.2023)