Licht ohne Feuer: Der Krimi um den Siegeszug der Glühbirne
Heute ist elektrisches Licht eine Selbstverständlichkeit – gerade so, als ob es immer schon da gewesen wäre. Doch bis in die 1880er-Jahre erhellte Gaslicht die Städte, und wäre es nach Ingenieuren wie Werner Siemens gegangen, dann hätte sich daran auch nichts geändert.
Für den Anbruch des elektrischen Zeitalters sorgte auf der einen Seite Thomas Alva Edison mit der Erfindung der elektrischen Glühbirne. Auf der anderen Seite beschleunigten Brandkatastrophen, die durch das Gaslicht ausgelöst worden waren, den technologischen Wandel. Das schlimmste dieser Feuer tötete 1881 im Wiener Ringtheater 384 Menschen.
Diese beiden Erzählstränge hat Alexander Bartl zu einer gründlich recherchierten und wunderbar erzählten Technik- und Kulturgeschichte montiert. Ein in jeder Hinsicht erhellendes Buch!
Revolutionäre Ideen: Bis zu den Ursprüngen des Universums
Fast 20 Jahre lang arbeitete der belgische Kosmologe Thomas Hertog mit dem berühmten Stephen Hawking (1942–2018) zusammen. In gemeinsamen Arbeiten ergründeten sie den Ursprung des Universums ebenso wie außergewöhnliche Phänomene in der Umgebung von Schwarzen Löchern. Nun hat Hertog das Vermächtnis der gemeinsamen Arbeit in Buchform vorgelegt.
Das Buch beginnt an jenem Junitag im Jahr 1998, als Hertog Hawking zum ersten Mal in seinem Büro besuchte. In einer Mischung aus persönlichen Anekdoten und Exkursen in die Physikgeschichte stellt Hertog einige der revolutionären Theorien vor, zu denen er mit Hawking bis zu dessen Tod gearbeitet hat. Es geht dabei etwa um die Idee, dass die Gesetze der Physik nicht feststehen, sondern sich gemeinsam mit dem Universum entwickelt haben – was eine Abkehr von Hawkings früheren Thesen darstellt.
Um den Urknall und die Entstehung der Zeit zu verstehen, braucht es für Hertog jedenfalls eine neue Philosophie der Physik – die er versucht, mit seinem Werk anzustoßen.
Bruckner ohne Pathos: Eine neue Biografie räumt mit Mythen auf
Bis heute ist Anton Bruckner wie sein musikalisches Werk klischeebehaftet und rätselhaft zugleich. Pünktlich zum anstehenden Brucknerjahr setzt eine neue Biografie auf eine nüchterne und wissenschaftlich fundierte Betrachtung. Diverse Fachleute beleuchten bekannte, aber auch unterbelichtete Episoden und Facetten des Komponisten. Historisch belegbare Fakten bilden dabei stets die Basis.
Zum Anfassen: Der Amazonas in haptischer Übersetzung
Ein Fotobuch für Menschen mit Sehbeeinträchtigung: Dieses außergewöhnliche Unterfangen hat der brasilianische Fotograf Sebastião Salgado mit seinem neuen Buch Amazônia Touch unternommen. Viele Jahre lang fotografierte Salgado das vielfältige Ökosystem des brasilianischen Amazonasgebiets. Nun wurden 21 dreidimensionale taktile Übersetzungen angefertigt, um die beeindruckende Vielfalt haptisch zu vermitteln.
Forscher im Zwielicht: Konrad Lorenz' Leben, klug als Roman erzählt
Vor genau 50 Jahren erhielt der Verhaltensforscher Konrad Lorenz den Medizin-Nobelpreis – Höhepunkt in der Karriere des internationalen Wissenschaftsstars, dessen Lebensgeschichte Stoff für eine Netflix-Serie abgäbe: paradiesische Kindheit in einer Art Märchenschloss; pionierhafte Tierbeobachtungen, die eine neue Wissenschaft begründen; politische Fehltritte in der NS-Zeit, Bewährung in sowjetischer Kriegsgefangenschaft; Ruhm als Wissenschafter und bleibende Erfolge als Umweltschützer.
Die deutsche Journalistin und Autorin Ilona Jerger hat dieses überreiche Leben mit all seinen Ambivalenzen in eine einfühlsam und raffiniert erzählte Romanbiografie gepackt. Anders als Marcel Beyer 2009 in seinem Roman Kaltenburg, der Konrad Lorenz in die DDR transponierte, bleibt Jerger nah an den Fakten, für die sie eine junge Biologin als zeitgenössische Erzählerin erfindet.
Wie sie auf diese Weise einige Schlüsselszenen in Lorenz' Leben literarisch verdichtet und zugleich historisch kontextualisiert, schafft einen echten Mehrwert und macht die Romanbiografie auch zu einem klug erzählten Zeitroman des an Höhen und Tiefen reichen 20. Jahrhunderts.
Ohne Formeln: Reiseführer durch die Welt der Quanten
Florian Aigner wurde schon vielfach für sein Engagement für die breite Vermittlung von Wissenschaft ausgezeichnet. Auch mit seinem jüngsten Buch Warum wir nicht durch Wände gehen hat er bereits den ersten Preis abgeräumt und wurde von Bild der Wissenschaft als Wissenschaftsbuch des Jahres geehrt.
Diesmal hat sich Aigner seinem einstigen Forschungsbereich zugewandt: der Quantenphysik. Ohne Formeln, aber gespickt mit unterhaltsamen Anekdoten unternimmt der promovierte Physiker, der nun im Bereich der Wissenschaftskommunikation an der Technischen Universität Wien tätig ist, einen Streifzug durch die Welt der Quanten. Dabei dürfen Teilchen, die sich an zwei verschiedenen Orten gleichzeitig befinden, ebenso wenig fehlen wie Katzen, die gleichzeitig tot und lebendig sind, sowie erstaunliche Anwendungen wie die Quantenteleportation.
Auf kurzweilige Weise gelingt Aigner der Spagat zwischen der Darstellung nichtintuitiver, rätselhafter Theorien und täglichen Anwendungen. Leseempfehlung für alle, die sich bereits zu Quantenfans zählen – und solche, die es noch werden wollen.
Totalitäre Melange: Hitler, Stalin, Trotzki und Tito in Wien
Das Wien am Vorabend des Ersten Weltkriegs hat viele Geschichten zu bieten, seine Kaffeehäuser sowieso. Ein kurioses Detail nimmt der Historiker und Presse-Autor Günther Haller in seinem neuen Buch in den Blick. Anfang 1913 streiften vier Männer, die das 20. Jahrhundert unheilvoll prägen sollten, zeitgleich durch die Stadt und ihre Cafés: Hitler, Stalin, Trotzki und Tito.
Was wollten diese späteren Ideologen, Diktatoren und Massenmörder in Wien? Haller folgt ihren Spuren und verwebt sie zu einem faszinierenden Streifzug durch die Donaumetropole am Rande des Untergangs.
Barocke Gartenkunst: Botanische Zeitreise in einstigen Lustgarten
Anfang des 17. Jahrhunderts wurde der Nürnberger Apotheker, Botaniker und Verleger Basilius Besler damit beauftragt, einen Lustgarten für den Eichstätter Fürstbischof anzulegen. Damit auch die Nachwelt daran Anteil nehmen konnte, sollten Kupferstichillustrationen und Beschreibungen der auserwählten Gewächse angefertigt werden.
Im Jahr 1613 entstand somit ein Prachtkatalog mit 367 handkolorierten Pflanzenillustrationen. Nur 30 Jahre später sollte der Lustgarten im Dreißigjährigen Krieg verwüstet werden. Der Pflanzenkatalog liegt nun in einer neuen Reproduktion vor.
Südsee-Abenteurer: Die unbekannten Helfer des Captain Cook
Über die Expeditionen von James Cook in die Südsee wurde schon vieles geschrieben. Ein wichtiges Detail fiel dabei aber lange Zeit unter den Tisch: Die Anwesenheit mehrerer Polynesier auf den englischen Schiffen, allen voran des Hohepriesters Tupaia, dürfte eine deutlich größere Rolle gespielt haben, als es die Tagebuchführung der beteiligten Europäer und die kolonialistisch geprägte Geschichtsschreibung vermuten lassen.
Der Historiker und Buchautor Frank Vorpahl geht gar so weit, dass er viele Erfolge der Südseeentdecker, etwa die detaillierte Kartografierung der Region, aber auch der Zugang zu wichtigen Kultgegenständen, dem Geschick der mitreisenden Einheimischen zuschreibt. Nicht zuletzt ist es wohl der Vermittlungskunst Tupaias zu verdanken, dass Captain Cook und seine Mannschaft nicht schon früher bei einer gewaltsamen Auseinandersetzung ihre Leben verloren – sei es beim Aufeinandertreffen mit kannibalischen Maori oder beim Segeln durch tückische Korallenriffe.
Dass den sonst nur in Randnotizen vorkommenden Polynesiern Tupaia, Maheine und Mai ein ganzes Buch gewidmet ist, erlaubt einen spannenden und teilweise auch unerwarteten Blickwinkel auf die altbekannte Expeditionsgeschichte rund um Captain Cook. Das Buch arbeitet aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse und umfangreiche Eigenrecherche ein, begeistert aber mit einem packenden, bildhaften Erzählstil, der stets kurzweilig und humorvoll ist. Dabei bleibt Vorpahl als Erzähler nah bei seinen drei Protagonisten, was einen gerade an kalten, grauen Winterabenden umso mehr in das sonnige Türkisblau der Südsee eintauchen lässt.
Menschenskinder! Zeitreise zu den Ahnen des Homo sapiens
Wie könnte Lucy gelebt haben, jene Vertreterin des Australopithecus, deren rund 3,2 Millionen Jahre alte Fossilien in Äthiopien gefunden wurden? Welche Werkzeuge benutzte der Nariokotome-Junge, der vor 1,6 Millionen Jahren in Kenia lebte? Das Comic-Sachbuch Mensch! zeichnet anhand von acht fossilen Funden die Geschichte der ersten Menschen nach, die die Erde bevölkerten, bevor Homo sapiens die Bühne betrat. Steckbriefe, Grafiken, Karten und Zeitleisten wechseln sich mit Comicstrips ab, Klimawandel, DNA-Codes und aktuelle Forschungsfragen kommen zur Sprache. Eine bildschöne Einführung in die Paläoanthropologie!
Epochale Reise: Das amerikanische Jahrhundert
Der deutsche Osteuropahistoriker Karl Schlögel hat sich durch seine archäologisch anmutenden Betrachtungen der sowjetischen Geschichte einen Namen gemacht. In seinem neuen Buch richtet er den Blick auf die Geschichte der USA: Auf den Spuren von Max Weber, Adorno, Kerouac, aber auch sowjetischer Autoren der 1930er-Jahre ergründet Schlögel gleichsam die Weiten des Landes und nimmt die Maße einer Epoche. Mitreißend und detailreich schildert er Entwicklung des Landes im 20. Jahrhundert, das sich von Traditionen befreit und von Modernisierung beseelt fühlte – und dabei manchmal erstaunliche Parallelen mit Kontrahenten zeigte.
Tierische Intelligenz: Die Weisheit der Elefanten
Die Verhaltensbiologin Angela Stöger von der Universität Wien ist in den vergangenen Jahren nicht nur durch spannende Forschungsergebnisse aufgefallen, sondern auch als mitreißende Wissenschaftsvermittlerin und Autorin: 2022 wurde ihr Buch Von singenden Mäusen und quietschenden Elefanten vom Wissenschaftsministerium als Wissenschaftsbuch des Jahres ausgezeichnet.
In ihrer Neuerscheinung steht nun jene Spezies im Fokus, auf der Stögers wissenschaftliches Hauptaugenmerk liegt: Elefanten. Seit einem Forschungsaufenthalt im Kruger-Nationalpark in Südafrika im Jahr 2002 ist Stöger nicht mehr von den Dickhäutern losgekommen – und das, obwohl sie ursprünglich eigentlich Meeresbiologin werden wollte. Elefanten haben sich für sie als faszinierendes Forschungsfeld entpuppt. Die größten noch lebenden Säugetiere der Erde verfügen über eine Vielzahl an kognitiven Fähigkeiten, durch die sie uns Menschen teilweise frappierend ähneln – obwohl sie doch so anders als wir sind.
Elefanten vermögen sich beispielsweise im Spiegel zu erkennen, eine Fähigkeit, die von nur sehr wenigen Spezies bekannt ist. Sie haben außergewöhnliche Arten der Kommunikation entwickelt, bei denen man fast geneigt ist, sie als "Sprache" zu bezeichnen. Zudem überraschen sie mit einem erstaunlichen Gedächtnis und berührenden Ritualen im Umgang mit Verstorbenen. Warum Elefanten durchaus als aktive Klimaschützer zu bezeichnen sind, erfährt man durch die Lektüre ebenfalls.
Neben dem Lesevergnügen bietet Stögers Buch auch Hörerlebnisse: QR-Codes führen zu Videos, in denen Elefanten in ihrem außergewöhnlichen Kommunikationsverhalten beobachtet und belauscht werden können. Wer den faszinierenden Tieren näherkommen will, kommt hier ganz auf seine Kosten.
Der Boden unter uns: Zwischen Atommüll und Höhlenmalerei
Ein Versuch, unsere totale Abhängigkeit von diesem Planeten und seinem Boden zu veranschaulichen: So bezeichnet der französische Comicautor Étienne Davodeau seine neue Graphic Novel. Er dokumentiert darin seinen 800 Kilometer langen Fußmarsch von einem symbolträchtigen Ort zum anderen: von den Höhlen von Pech Merle, in denen sich mehr als 20.000 Jahre alte Cro-Magnon-Zeichnungen befinden, bis nach Bure in Lothringen, wo ein umkämpftes Endlager für Nuklearabfälle unter der Erde entsteht. Während seiner Wanderung begleiten ihn Gespräche mit Forschenden aus Geologie, Agrarökologie, Archäologie und Physik. Eine bewegende Kontemplation über Kernkraft, Klimawandel und unsere Ressourcen.
(Karin Krichmayr, David Rennert, Martin Stepanek, Klaus Taschwer, Tanja Traxler, 21.12.2023)