Eine Bande Halunken sind die Grabräuber, die Tombaroli, in
Was für eine Bande Halunken! Die Grabräuber, Tombaroli, mit ihrem Anführer Arthur, dem Engländer (Josh O'Connor, Mitte).
Stadtkino

Als besten Indiana-Jones-Film des Jahres bezeichnete ein Branchenblatt Alice Rohrwachers La Chimera nach seiner Premiere in Cannes. Zur Erinnerung: Indiana Jones und das Rad des Schicksals, der im Mai in Cannes uraufgeführt wurde, blieb weit hinter den Erwartungen zurück. Nicht so die Grabräubergeschichte der Italienerin mit dem deutschen Nachnamen.

Der stammt von ihrem Vater, der als fiktiver Bienenzüchter in ihrem Spielfilm-Durchbruch Land der Wunder vorkam. 2014 erzählte die Regisseurin und Drehbuchautorin darin von ihrer Familie und der Faszination, die das Landleben, aber auch die Filmkunst (Monica Bellucci als Fernsehgöttin) auf ihr jugendliches Ich ausübten. Dafür gab es in Cannes den Großen Preis der Jury und das Ticket in den Olymp des Kunstkinos.

Legenden aus der Kindheit

Nun kommt ihr neuer Film La Chimera in die heimischen Kinos. Darin spielt der Brite Josh O'Connor (The Crown) den Grabräuber Arthur, der sich während der 1980er-Jahre in Mittelitalien herumtreibt. "Ich komme aus einer Gegend, in der es viele Legenden über die Grabräuber, die Tombaroli, gab", erzählt die 42-jährige Rohrwacher im Gespräch mit dem STANDARD.

"Als ich beschloss, einen Film darüber zu machen, interessierte ich mich aber weniger für die Tombaroli als für den Wandel, den sie verkörpern. Für den Moment, in dem Menschen Objekte nur noch als etwas verstanden, das man verkaufen kann. Nicht als etwas, das eine Geschichte, etwas Heiliges in sich trägt."

Alice und Alba Rohrwacher
Regisseurin Alice Rohrwacher (l.) mit ihrer Schwester, der Schauspielerin Alba Rohrwacher, die in fast all ihren Filmen mitspielt. Auch in "La Chimera" ...
AP/Alessandra Tarantino

Beziehung zur Unterwelt

Es geht in La Chimera also auch um Ausbeutung und Profit. Wie in ihrem letzten Film Lazzaro Felice kommt hier eine alte, verarmte Adelige vor, die es versteht, Menschen unbezahlt für sich arbeiten zu lassen. Die perfide Flora (Isabella Rossellini) hat eine Schwäche für Arthur, der vor ihrem einsturzgefährdeten Schloss campiert und mit ihrer verstorbenen Tochter Beniamina verlobt war.

An diesem Verlust leidet Arthur noch immer, und der Orphée'sche Wunsch, der Geliebten nahe zu sein, zieht sich sprichwörtlich wie ein roter Faden – in diesem Fall das Garn eines Kleids – durch Arthurs Saga. Der trauernde Gralsräuber hat die übersinnliche Begabung, Gräber ausfindig zu machen. Deshalb ist er der Anführer einer wilden Bande, die ihre Funde an den mysteriösen Spartaco verkauft. Arthur ist aber auch, so Rohrwacher, "ein romantischer Held in einer Zeit, in der Romantik nicht mehr existiert".

Denn die Profite seiner Funde interessieren ihn, anders als seine Kumpane, wenig. Und trotzdem kann er nicht anders. Er ist "im Gefängnis seiner eigenen Chimäre", sagt die Regisseurin über ihre getriebene Hauptfigur.

Italia, die Gastfreundliche

Ein Lächeln kann dem ewigen Grantler nur eine ins Gesicht zaubern: Italia, die Dienstmagd Floras. Sie ist ein komischer Vogel, bunt und zart, mit schrägem Akzent. Italia wird von der Brasilianerin Carol Duarte mit linkischem Charme verkörpert und trägt nicht zufällig den Namen von Rohrwachers Heimat.

Stadtkino Filmverleih

Die Regisseurin hatte ihren Spaß daran, eine ausländische Figur so zu nennen: "Das ist auch eine Botschaft an mein Land, denn Italia ist die Einzige, die die Vergangenheit in etwas anderes transformieren kann. Sie ist die Einzige, die großzügig und gastfreundlich ist. Das ist etwas, was ich meinem Land wünschen würde", sagt Rohrwacher mit Blick auf die derzeitige politische Lage in Italien.

Ein Wunsch, der gut in die Weihnachtszeit passt. Überhaupt versteht es Alice Rohrwacher, ihren Geschichten einen sakralen Schleier umzuhängen, ohne auf die Wirklichkeit zu vergessen: "Manche brauchen die Wirklichkeit nicht, ich schon. Ich brauche wirkliche Bilder, um dahinter sehen zu können. Ich muss etwas berühren, um zu wissen, was dahinter liegt. Ich bin also sehr auf das Sichtbare angewiesen, um das Unsichtbare zu entdecken", erklärt sie ihre Weltsicht.

Schon deshalb arbeitet Rohrwacher seit jeher mit Analogfilm und der französischen Kamerafrau Hélène Louvart zusammen. Die Kamera ist bei ihnen auf Augenhöhe, eine Mitspielerin im bunten Ensemble, das immer mit ungewöhnlich expressiven Gesichtern bestückt ist. Die Profile der etruskischen Figuren spiegeln sich in denen der Darstellerinnen.

Hommage an Fellini

Natürlich gibt es auch einen direkten Verweis auf eine Szene von Federico Fellinis Roma, in der unterirdische Fresken durch die plötzliche Sauerstoffzufuhr verblassen. Das sei, so Rohrwacher, schlichtweg unvermeidlich gewesen: "In den etruskischen Grabstätten dachte ich unweigerlich an Fellini. Aber ich entdeckte ihn auch in den Erzählungen der Grabräuber. Also musste ich ihm im Film Hommage erweisen." (Valerie Dirk, 21.12.2023)