Joseph Roth
Steht im Zentrum des Buches: Joseph Roth.

Ein Jude, der kein schwarzes Haar hatte, keine dunklen Augen; eine Hamburgerin, die nicht blass und blond und groß gewachsen war." So sind Joseph Roth und Andrea Manga Bell auf einer historischen Aufnahme zu sehen. Die Tochter eines Kubaners und einer Ostfriesin wurde jung mit Prinz Manga Bell aus Kamerun verheiratet, der sie bald mit zwei Kindern allein lässt. In Berlin arbeitet sie als Redakteurin beim Ullstein-Verlag, gibt aber ihre Stelle auf, um Joseph Roth zu folgen, wird seine Sekretärin, Lektorin, Geliebte.

Deutsche Kolonialgeschichte und K.-u.-k.-Nostalgie verbinden sich in diesem ungleichen Paar. Roth gilt als der bestbezahlte Journalist Deutschlands und erhält höhere Vorschüsse für seine Bücher als andere Autoren. Trotzdem hat er ständig Geldsorgen, schreibt Bettelbriefe vor allem an Stefan Zweig, der ihn wiederholt von seiner Alkoholsucht abbringen will. Nachdem das Paar vor den Nazis nach Paris geflohen ist, pendeln Manga Bells Kinder zwischen Frankreich und Deutschland, wo sie bei der Großmutter unterkommen.

Die Namenlose

Lea Singer verspricht, mit ihrem Roman, dessen Titel Die Heilige des Trinkers auf die letzte Erzählung Roths anspielt, die Geschichte seiner Geliebten zu erzählen, und entscheidet sich dafür, deren Namen auf A. abzukürzen, während alle anderen Vor- und Nachnamen (noch dazu berühmte, etwa Roth, Toller, Kesten, Zweig, Sternheim etc.) tragen. Das hat den fatalen Effekt, dass die Erzählte umso blasser wird.

"A. war nur Beobachterin", heißt es an einer Stelle. Tatsächlich trägt sie vor allem Geschehnisse rund um Joseph Roth vor, ihre eigene Vita wirkt verglichen dazu dünn. Der Dichter bleibt immer mit im Bild. Tritt er heraus, verschwindet auch Manga Bell. Die Gefährtin ist Roth als Liebende, Helfende, Zuhörende beigefügt und spiegelt damit eine zeittypische Konstellation, in der Gattinnen und Geliebte männliche Genies unterstützten, die in die Geschichte eingingen, während sie selbst vergessen wurden.

Lea Singer
Lea Singer hat mit "Die Heilige des Trinkers" ein Buch über Joseph Roths Geliebte Andrea Manga Bell geschrieben, deren vielschichtige Lebensgeschichte von jener Roths überdeckt wird.
Irene Zandel

Selbstzerstörung

Misogynie ist gesellschaftlich genehm, wird sogar in Künstlerkreisen gebilligt. Singers Roman bietet also ein Porträt des Autors Roth als Mensch, erzählt aus der Perspektive einer Helferin, die meist nur auf das erratische Gebaren des literarischen Giganten reagiert. Dass Roth die Hauptfigur seiner letzten Erzählung Die Legende vom heiligen Trinker Andreas tauft, wertet Singer als Liebesbekenntnis und nennt nur an dieser einzigen Stelle den vollen Vornamen Manga Bells: Andrea.

Natürlich ist es heikel, in kulturhistorischen Romanen von Größen zu berichten, die in den Kanon eingeschrieben und dadurch starr geworden sind. Singer arbeitet mit Originalzitaten aus Roths Romanen und Briefen, erzählt diese nach, bringt Anekdoten, Kurzinterpretationen seiner Werke. Leerstellen in Manga Bells Biografie werden mit Informationen aus Roths Leben gefüllt. Sie berichtet sachlich, wird gegen Ende zu summarischer, als müsste die ganze recherchierte Faktenlast einer bewegten Epoche noch eingearbeitet werden.

Roth stellt sich, je weiter er mit seiner Selbstzerstörung vorankommt, als ziemliches Ekel heraus, welches der Geliebten vorwirft, ihn häuslich machen zu wollen und am Schreiben zu hindern. Vor allem ihre Kinder würden ihn hassen, worunter er schrecklich leide. Sie versteht, dass er selbst Kind sein will, eifersüchtig auf ihre Mutterliebe ist. Viele im Freundes- und Bekanntenkreis sehen in der Familie eine Last, die der arme Roth zu tragen hat.

Vergessene Verfolgung

Dabei sind Manga Bells Kinder das Einzige, was dieser Figur ein wenig Lebendigkeit verleiht, und man würde gerne mehr über die beiden erfahren. Immerhin müssen sie aufgrund ihrer dunklen Hautfarbe Verfolgung in Nazideutschland fürchten. Dass es Rassismus gab, flicht die Autorin mithilfe von ein paar Zeilen über Völkerschauen und Werbeplakate für Schokolade und Zahnpasta kurz ein. Das N-Wort wird im Text niemals ausgeschrieben.

Eine Überraschung bietet die Autorin gegen Ende, indem sie andeutet, dass Andrea Manga Bell möglicherweise Vorbild für die erste afrodeutsche Romanfigur war. In Klaus Manns Mephisto tritt nämlich eine als affenähnlich, brutal und triebhaft bezeichnete schwarze Prinzessin in Erscheinung, mit der sich "Mephisto" in "Rassenschande" vergnügt.

Buchcover
Lea Singer, "Die Heilige des Trinkers. Joseph Roths vergessene Liebe". € 24,70 / 304 Seiten. Kampa, Zürich 2023
Kampa

Keine Hilfe vom "Spiegel"

Dann endet Singers Roman mit Roths Tod. Dabei gäbe es genug Stoff, um weiterzuerzählen. Als die Nazis in Paris einfallen, taucht Manga Bell unter. Auch ihre Kinder überstehen den Krieg. Als der Sohn danach zum Vater nach Kamerun reist, wird er vermutlich wegen eines Streits um das Erbe vom Vater erschossen.

Da der Prinz als Abgeordneter unangreifbar ist, wendet sich Manga Bell 1950 an den Spiegel. Mehr Häme und Nachkriegsrassismus als in diesem Artikel sind schwer vorstellbar. Die für die Verurteilung des Mörders ihres Sohnes Kämpfende wird als "ins proletarische Elend gesunkene braune Königin" bezeichnet, von den Kindern heißt es: "Das Buschmannsblut war oft stärker als die zivilisatorische Tünche."

Manga Bell sei seine einzige Beziehung zur Erde, zum Vitalen, zum Vegetativen, schreibt auch Roth in einem Brief nach der Trennung, wobei er die Gefährtin gleichzeitig denunziert. Routiniert ergeht sich der Autor in Leid und Selbstmitleid. Ohne diese Fähigkeit wäre er wohl nicht der große Roth geworden. Mit Singers Roman wird das schwierige Leben Andrea Manga Bells, die 1985 in Paris stirbt, leider nicht wirklich rehabilitiert. Sie heiligzusprechen reicht nicht. (Sabine Scholl, 25.12.2023)