Doppelter Einsatz: Manfred Erjautz Installation für das Belvedere im Jahr 2015 gastierte 2022 in adaptierter Form im Museum der "Heidi Horten Collection".
Belvedere, Johannes Stoll

Damien Hirst war der Erste, ihm folgten mit Sir Antony Gormley, Tracey Emin oder Sean Scully weitere Stars der zeitgenössischen Kunstszene, die vom The Connaught, einem im vornehmen Londoner Mayfair gelegenen Fünfsternehotel, ab 2015 eingeladen wurden, die jährlich in der Vorweihnachtszeit auf dem Vorplatz aufgestellte Nordmanntanne zu dekorieren.

Diese kunstvoll gestalteten Bäume britischer Herkunft avancierten im Laufe der Jahre zu einem "Wahrzeichen der Mount Street", zu dem Bewunderer "von nah und fern" pilgern würden, wie das erst jüngst zu einem der 50 Top-Etablissements der Welt gekürte als Auftraggeber auf seiner Website resümiert.

Die Bandbreite der Dekorationen reichte bislang von medizinischen Instrumenten, Schneemännern aus riesigen Pillen und Girlanden aus rosa Würstchen, die Hirst zum Debüt beitrug, bis zu den 102 neonweißen Lichtkreisen, die unter der Regie der Turner-Preisträgerin Rachel Whiteread aktuell den Baum erleuchteten.

Den (vorerst) letzten Weihnachtsbaum für das Belvedere schufen Christoph Meier und Salvatore Viviano 2016: der monumentale Flaschentrockner („untitled (Marcel)“) als Referenz auf Marcel Duchamps legendäres Readymade.
Belvedere, Johannes Stoll

Nachhaltiges Konzept

Eine hübsche, wenngleich flüchtige Extravaganz. Das geht auch anders, wie ein nachhaltigeres Konzept belegt, das einst am Belvedere in Wien Schule machte. Von 2010 an lud dessen damalige Direktorin Agnes Husslein zeitgenössische Künstler und Künstlerinnen ein, einen Weihnachtsbaum für die prächtige Eingangshalle des Schlosses zu entwerfen: Denn der traditionelle Christbaum sei ihr schon "gehörig auf den Geist gegangen".

Alljährlich schmückten sie fortan ab Ende November die Sala terrena, die ihrerseits die perfekte Kulisse für einen Weihnachtsempfang bot, bis die zeitgenössischen Interpretationen am 2. Februar, ganz der christlichen Tradition entsprechend zu Mariä Lichtmess, wieder entfernt wurden. Bis inklusive 2016 kamen nur in zwei Fällen auch echte Bäume zum Einsatz: 2011, als Fabian Seiz seine ungeschmückte Tanne verkehrt über einem Podest mit Spiegelfliesen platzierte (Hang in tree), sowie 2014, als Verena Dengler ihre von den Österreichischen Bundesforsten gelieferte Blaufichte unter dem Motto "Frohes HanuKwanzMas!" mit Schmuck behängte, der jüdische, panafrikanische und christliche Symbolik vereinte.

"Frohes Fest", titelt der Weihnachtsbaum, den Gelitin 2010 für das Belvedere schuf. Er kam später in die Sammlung des deutschen Galeristen Alexander Schröder und war 2018 in der Schau "Optik Schröder II" im Mumok zu sehen.
Mumok, Stefan Korte

Fleischfarbenfröhlicher Latex

Alle anderen Weihnachtsbäume dieser Serie haben die Jahre überdauert. Etwa jener, den die Künstlergruppe Gelitin 2010 zum Auftakt für die Sala terrena lieferte: ein vier Meter hohes und mit "fleischfarbenfröhlichem" Latex überzogenes Styropormonstrum. Die sich in Wülsten nach oben hin verjüngende Silhouette erinnerte durchaus an die Konturen eines Baums oder sehr entfernt vielleicht auch an einen "Schneemann, eine unschuldige, an Kinderspielzeug erinnernde Plastik", wie es in der damaligen Presseaussendung hieß.

Erst später, so erzählt man sich in der Szene mit einigem Amüsement bis heute, soll der Direktorin der Analstöpsel aus dem Sexshop als Vorbild zur Kenntnis gebracht worden sein. Die Frohes Fest betitelte Skulptur wurde kurz darauf von Gelitin an den deutschen Galeristen Alexander Schröder verkauft. 30.000 oder auch 35.000 Euro habe er damals bezahlt, wie er sich auf Anfrage erinnert. 2018 gab sie, nunmehr mit einem Versicherungswert von 75.000 Euro ausgestattet, im Rahmen der vom Mumok ausgerichteten Schau Optik Schröder II ein Gastspiel.

Eva Grubingers Beitrag von 2012, eine große Christbaumkugel (Polyethylen, Hochglanz lackiert), wurde als einziger angekauft: aus den Mitteln der Galerieförderung des Bundes.
Belvedere, Johannes Stoll

Ankauf aus Mitteln der Galerienförderung

Wo all die anderen eigens beauftragten Weihnachtskunstwerke verblieben, für die das Belvedere den Künstlern keinerlei Honorar bezahlte, aber offiziell die Produktionskosten in einer Größenordnung von durchschnittlich bis zu 10.000 Euro übernahm, die wiederum teilweise von Sponsoren finanziert wurden?

In einem einzigen Fall erfolgte ein Ankauf: 2012, als man Eva Grubingers überdimensionale schwarze Christbaumkugel über die Galerie Kerstin Engholm erwarb, finanziert aus den Mitteln der Galerienförderung des Bundes. Die Höhe des Ankaufspreises will das Belvedere trotz mehrmaliger Nachfrage partout nicht nennen, weil damit "Vertragsinhalte mit Dritten" offengelegt würden, die "berechtigte Interessen" der Künstlerin verletzten. Na denn.

Der von Constantin Luser 2013 für das Belvedere gestaltete "klingende Weihnachtsbaum" befindet sich im Besitz des Künstlers: unverkäuflich, aber als Leihgabe verfügbar.
Belvedere

Baum für Flaschen

Alle anderen im Laufe der Jahre beauftragten Weihnachtsbäume wanderten jedenfalls zurück in den Besitz ihrer Kreateure. Und dort befinden sie sich bis heute. Etwa bei Constantin Luser, der 2013 einen klingenden Weihnachtsbaum schuf, eine Version aus Stahl mit harfenähnlichen Ästen: von der Systematik her ein Zupfinstrument, dessen Klänge durch die zahlreichen wie Geschenke arrangierten Boxen elektronisch verstärkt wurden.

Ein vorerst letztes Mal war dieses Werk bei Lusers Personale (Musik zähmt die Bestie) in seiner Geburtsstadt im Kunsthaus Graz 2016 zu sehen. Er sei unverkäuflich, jedoch als Leihgabe für Ausstellungen verfügbar, wie aktuell in Erfahrung zu bringen war.

Preis auf Anfrage lautet wiederum das Credo für die 2016 von Christoph Meier und Salvatore Viviano gestaltete Version untitled (Marcel): ein monumentalisierter Flaschentrockner als Referenz auf Marcel Duchamps erstes und auch berühmtestes Readymade von 1914, ein Schlüsselwerk des 20. Jahrhunderts.

Bei dem zugehörigen Weihnachtsempfang soll es zu späterer Stunde zu beinahe tumultartigen Szenen gekommen sein, als nicht nur anwesende Künstlerinnen und Künstler, sondern sogar die Direktorin höchstpersönlich die Installation erklommen. Es war die letzte ihrer Art im Belvedere. Über die ehemalige Auswahl der Künstlerinnen und Künstler, die fallweise über einen Wettbewerb erfolgt sein soll, oder auch das jährlich zur Verfügung gestellte Produktionsbudget hüllt man sich dort jetzt in Schweigen: Solche Details müssten "bei der ehemaligen Direktorin angefragt werden", empfiehlt man auf Anfrage.

Heidi Horten Collection

Sei es, wie es sei. Als Direktorin der Heidi Horten Collection nahm Agnes Husslein diese von ihr einst begründete Tradition wieder auf. 2022 in besonders nachhaltiger Weise: Die 2015 ursprünglich für die Sala terrena des Belvedere von Manfred Erjautz mit Leuchtstoffröhren, Elektrokabeln und Seilen gestaltete Plastik Under the Weight of Light wurde für das Horten-Museum adaptiert. Die für das Weihnachtsfest charakteristische Überblendung weltlicher und religiöser Bedeutungssphären spielt in dieser konzeptuellen Arbeit eine zentrale Rolle. Sie wurde von Erjautz als Leihgabe zur Verfügung gestellt. Kostenpunkt für einen etwaigen Ankauf: 60.000 Euro, exklusive Mehrwertsteuer, wie sein Galerist Nikolaus Ruzicska informiert.

Heuer ziert eine Kreation von Tillman Kaiser den großzügigen Ausstellungsraum im Erdgeschoß des Horten-Museums: Die aus zwei Teilen bestehende Komposition aus rhythmischen Faltungen greift wie ein "Oben" und ein "Unten" ineinander und ergibt einen vordergründig streng symmetrischen Weihnachtsbaum.

Mit Produktionskosten abgespeist

Der Künstler bekam für diese eigens beauftragte Intervention die Material- und Produktionskosten erstattet. In welcher Größenordnung, war bei der Horten Collection nicht in Erfahrung zu bringen. Nur so viel: Die Abgeltung habe sich im Rahmen des Marktwertes des Künstlers bewegt. So begrüßenswert jedwede Art der Förderung zeitgenössischer Kunst ist, diese in Wien gepflogene und hier beschriebene Tradition, die offenbar gar nie Ankäufe zum Ziel hatte, hinterlässt auch einen schalen Beigeschmack.

Für Marketingkampagnen mögen (die teils üppig aus Steuermitteln dotierten) Museen jährlich hunderttausende Euro budgetieren, nur um sich dann als Auftraggeber temporär einsetzbarer Beiträge von Kunstschaffenden betont knauserig zu geben und allenfalls Produktionskosten zu übernehmen? Da wäre etwas mehr Wertschätzung durchaus angebracht: nicht nur zu Weihnachten, sondern das ganze Jahr über. (Olga Kronsteiner, 23.12.2023)