Benjamin Netanjahu
Bringt mit seiner Politik das Bild Israels ins Wanken: der israelische Premier Benjamin Netanjahu.
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Der israelische Premier Benjamin Netanjahu will "weiterkämpfen, bis die Hamas endgültig zerschlagen ist". Das bedeutet angesichts der Kriegsführung der israelischen Streitkräfte weitere tausende Ziviltote zu den geschätzt 20.000 bisher; Gaza als einziger riesiger Trümmerhaufen, in dem Kinder nicht nur von Bomben, sondern auch von Seuchen, elender medizinischer Versorgung und schlicht vom Verhungern bedroht sind. Die Aufforderung, zuerst den Norden von Gaza, dann den Süden teilweise zu räumen, löst eine Flüchtlingswelle aus, die de facto eine Vertreibung ist. Wenn man so etwas festhält, darf man nie die Bestialität vergessen, mit der die Angehörigen einer religiös-totalitären Mörderbande, die sich als "Befreiungsbewegung" gibt, 1200 israelische Unschuldige ermordet haben – unter Umständen, die direkt aus der Hölle stammen. Die Hamas will keine "Befreiung"; sie will die Vernichtung Israels und die Errichtung einer religiösen Diktatur im ganzen Nahen Osten.

Aber Netanjahu und seine rechtsextrem-religiösen Verbündeten, von denen sein politisches Überleben abhängt, sind gerade dabei, unser Bild von Israel dramatisch zu verändern – und zu gefährden. Dieses Bild war für sehr viele Europäer seit Jahrzehnten das eines Staates, der den letzten entscheidenden Impuls zu seiner Gründung aus den Schrecken des Holocaust (der Shoah) erhalten hat. Ein sicherer Ort für Juden. Für viele Österreicher und Deutsche erwuchs daraus eine gewisse Verpflichtung: Verantwortung dafür wahrzunehmen, dass in Europa der Antisemitismus keine bestimmende Kraft mehr sein darf – und auch möglichst dazu beizutragen, dass Israel ein sicherer Ort bleibt.

Aufbau einer Demokratie

Das ging einher mit dem Bild von Israel als einem aufstrebenden, dynamischen, jungen Staat, der in einer nahöstlichen Welt von Diktaturen erfolgreich eine Demokratie aufbaut. Es war allerdings etwas komplizierter. Die Palästinenser waren auch die Leidtragenden der israelischen Staatsgründung. Aber nicht ohne eigenes Fehlverhalten. Zugespitzt kann man sagen: Die Israelis wollten einen eigenen Staat gründen und waren erfolgreich. Die Palästinenser wollten Teil eines großarabischen Reichs werden und waren nicht erfolgreich. Was aber nichts daran ändert, dass Israel ohne einen Ausgleich mit den Palästinensern niemals sicher sein wird (Kreisky hat das erkannt).

In all den Kriegen mit den Arabern hatte Israel die Unterstützung europäischer Demokraten. Aber zu lange sah man darüber hinweg, dass Israel seit über 50 Jahren ein Gebiet mit Millionen Palästinensern – das Westjordanland – besetzt hält; dass es dort eine harte Besatzung und vor allem eine aggressive Siedlerbewegung gibt. Im Koalitionsabkommen von Netanjahu mit den rechtsreligiösen Parteien steht ein Passus, der auf die Annexion zumindest der bereits von Siedlern besetzten Gebiete hinausläuft. Auf jeden Fall will Netanjahu keinen wirklichen Ausgleich mit den Palästinensern.

Gleichzeitig versuchte Netanjahu mit seinen Partnern Israel zu einer illiberalen Demokratie umzubauen. Das löste monatelange, massive Proteste von hunderttausenden Menschen aus. Das heißt, dieses unser Bild von Israel als Demokratie hat noch Substanz. Aber der Krieg ist dazwischengekommen. Wir müssen also nicht Israel aufgeben (oder es gar als Kraft des "weißen Kolonialismus" denunzieren, wie es etliche verblendete "Linke" tun). Unser Bild von Israel sollte nur realistischer sein: Es gibt in diesem Staat starke antidemokratische Kräfte, die derzeit an der Macht sind. Die demokratischen Kräfte sind aber ebenfalls stark. Sie verdienen unsere energische Unterstützung. (Hans Rauscher, 22.12.2023)