Kunsttherapie ist auf der Adamant an der Tagesordnung. Dabei kommen oft erstaunliche Werke heraus, die dann – wie hier gerade – von den anderen analysiert werden.
Kunsttherapie ist auf der Adamant an der Tagesordnung. Dabei kommen oft erstaunliche Werke heraus, die dann – wie hier gerade – von den anderen analysiert werden.
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Wim Wenders ist ein Halunke, sagt Frédéric, einer der Protagonisten aus Nicolas Philiberts Dokumentation Auf der Adamant. Der deutsche Regisseur habe in seinem Filmklassiker Paris, Texas einfach das Schicksal von ihm selbst und seinem Bruder ins Amerika der 1980er-Jahre transferiert – und es verschwiegen. Außerdem, so fährt er im gepflegten Pariserisch fort, seien sein Bruder und er auch die Inkarnationen von Vincent und Theo van Gogh. Mit ebensolchem tragischem Schicksal.

Frédéric ist Gast auf der Adamant, einem hölzernen Schiff auf der Seine, das als Auffangbecken, Tagesstätte und Wohnort für Menschen dient, die an psychischen Erkrankungen leiden. Der Dokumentarist Nicolas Philibert widmet sich dem Ort und seinen Menschen mit großer Einfühlsamkeit und schließt damit an seinen größten Erfolg Sein und Haben (2002) an, worin er eine ländliche Einzimmerschule und ihren Lehrer porträtierte. Die diesjährige Berlinale-Jury unter Präsidentin Kristen Stewart war jedenfalls überzeugt. Sie zeichnete die feinsinnige, aber auch etwas träge Dokumentation mit dem Goldenen Bären aus.

Pandafilm

Das Herz von Philiberts Film schlägt im witzigen Kreativtakt seiner Protagonisten. Sie hauchen der Dokumentation Leben ein. Sei es die beherzte Performance des französischen Punk/New-Wave-Klassikers La Bombe Humaine, die den Film eröffnet, oder das Chanson eines Mannes, der wie ein französischer Sven Regener klingt.

Und dann sind da nicht wenige witzige Momente. Die Zeichnung einer bunten Gottesanbeterin oder die Hippie-Ballade des kuriosen Wim-Wenders-Kritikers Frédéric, der wie ein neugieriger Storch in Zeitlupe durch die Gegend stakst.

Grenzenlose Kreativität

Wenn man Frédérics Erzählungen von San Francisco in den 1960ern lauscht, kann man nicht umhin, ihm eine berauschte Vergangenheit anzudichten. Auch andere Patienten wirken, als ob sie in ihrer Jugend dem Experimentieren mit Substanzen nicht abgeneigt waren. Viele wirken außerdem bürgerlich, was wohl daran liegt, dass die Adamant für Menschen in den ersten vier Pariser Stadtbezirken zuständig ist.

Kunst-, Musik- und Tanztherapie sind auf der Adamant an der Tagesordnung. Sogar einen Kinoklub gibt es. Das macht das hölzerne Schiff auf der Seine zu einer Art Utopie. Philibert weiß das und setzt nicht nur die Bewohner und Gäste der Adamant in ein liebenswertes Licht, sondern auch das Schiff selbst. Die hölzernen Fensterläden, das Knacken der Balken, die Reling, an der eine ehemalige Tänzerin gerne ihre Streckübungen macht.

Abseits der kreativen Freiheit zeigt Philibert aber auch die Beschränkungen, mit denen die Bewohner, Besucher und das Personal leben müssen. Akribisch wird das Geld gezählt, aus dem weggeworfenen Obst eines Marktes wird Marmelade gekocht, eine Patientin erzählt von den Medikamenten, auf die sie angewiesen ist, und die engagierte Tänzerin darf keine Bewegungsstunde anbieten. Das trauen ihr die Sozialarbeiter noch nicht zu. (Valerie Dirk, 23.12.2023)