Ein Fahrzeug der britischen Polizei, ausgestattet mit Gesichterkennungstechnologie beim Grand Prix von Silverstone.
AP/Luca Bruno

Es wirkt fast so, als wolle die britische Regierung die Öffentlichkeit und das eigene Parlament austricksen. Denn sie plant die lückenlose biometrische Gesichtserkennung von sämtlichen Führerscheininhabern und Autofahrern. Erwähnt wird das in dem Gesetzesentwurf aber nicht ausdrücklich: Die neuen Befugnisse der Polizei ergeben sich durch eine Winkelzug.

Doch der Reihe nach: Wird das neue Gesetz verabschiedet, bekommt die Polizei schlagartig Zugriff auf die Datenbank mit Führerscheinfotos. 50 Millionen Menschen sind darin mit ihrem Portrait verewigt. Die Behörden dürfen diese anschließend die biometrischen Daten für die massenweise Gesichtserkennung nutzen und die Bilder mit jenen von Überwachungskameras und Social Media vergleichen.

Dies könnte nach Ansicht von britischen Datenschutzorganisationen dazu führen, dass jede Lenkerin und jeder Lenker ständig von der Polizei überwacht wird. Peter Fussey, ehemaliger Prüfer der Polizei in Bezug auf Geischtserkennungssysteme, warnt vor den Folgen: "Dies ist ein weiteres Beispiel dafür, wie die Überwachung durch Gesichtserkennung ohne klare Grenzen und ohne unabhängige Aufsicht über ihren Einsatz ausgeweitet wird". Nur weil eine Technologie nützlich oder praktisch sei, stelle das keine Rechtfertigung für ihren Einsatz dar und das sei schon gar kein Grund die Menschenrechte außer Kraft zu setzen.

Jeder ist verdächtig

Normalerweise darf die britische Polizei nur in Ausnahmefällen und mit einem triftigen Grund auf die Datenbank der Führerscheinbehörde Driver and Vehicle Licensing Agency (DVLA) zugreifen. Mit dem neuen Gesetz hätten die Gesetzeshüter nahezu unbeschränkten Zugriff auf die Fotos. Die Formulierung ist hintergründig, dort heißt es nur, dass Klausel 21 den Zugriff auf die Datenbank "für alle polizeilichen oder Strafverfolgungszwecke vorsieht".

Pikant: Der für die Polizei zuständige Minister Chris Philp hatte während einer Ausschusssitzung diesen eigentlichen Zweck des Gesetzes eingeräumt. Philp, ein bekennender Anhänger der Gesichtserkennung, hat die Polizei bereits mehrfach aufgefordert, diese Technologie häufiger und flächendeckender einzusetzen. Die britische Polizei setzt seit je her biometrische Überwachung ein, etwa bei Fußballspielen, Demonstrationen oder Konzerten.

"Dies ist ein weiterer Schritt auf dem Weg, der Polizei den Zugriff auf beliebige Daten zu ermöglichen - mit wenig oder gar keinen Sicherheitsvorkehrungen", kritisiert Carole McCartney, Professorin für Recht und Strafjustiz an der Universität von Leicester die Überwachungspläne gegenüber dem "Guardian".

Chris Jones, der Direktor von Statewatch, einer NGO für Bürgerrechte, forderte die Abgeordneten auf, die umstrittene Änderung abzulehnen: "Es gab keine öffentliche Ankündigung oder Konsultation zu diesem Plan, der jeden im Land, der einen Führerschein besitzt, in eine permanente polizeiliche Gegenüberstellung bringen wird." Die Öffnung ziviler Datenbanken für polizeiliche Massenabfragen macht jeden zum Verdächtigen, so Jones.

Abgleich mit der Fahndungsliste am Weihnachtsmarkt

Im Jahr 2020 entschied ein Gericht, dass der Einsatz der Gesichtserkennungstechnologie durch die Polizei von Südwales gegen das Recht auf Privatsphäre, Datenschutzgesetze und Gleichstellungsgesetze verstößt. Die Begründung: Es bestehe die Gefahr, dass die Technologie rassistische oder geschlechtsspezifische Vorurteil haben könnte.

Die Polizei hat die Technologie jedoch weiterhin eingesetzt. Die Live-Gesichtserkennung wurde erst dazu verwendet, um die Gesichter der Besucherinnen und Besucher von Weihnachtsmärkten mit den Fahndungslisten des Königreichs abzugleichen.

EU-Pläne sind gescheitert

Die EU hatte ähnliche Pläne: Führerscheinfotos sollten im Rahmen der Prüm-Verordnung für Ermittler zugänglich gemacht und mit Social Media und Aufnahmen von Überwachungskameras abgeglichen werden. Der Vorschlag wurde aber Anfang 2023 fallen gelassen, da er einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Privatsphäre darstellte und sich das EU-Parlament quer legte. Ganz vom Tisch ist die Gesichtserkennung aber nicht: Behörden dürfen die laut dem AI Act eigentlich verbotene Technologie immer noch einsetzen, etwa bei der Suche nach Straftätern. (pez, 25.12.2023)