Argentinien ist ein Paradebeispiel für ein Land, das durch eine fehlgeleitete Wirtschaftspolitik ruiniert wurde. Dazu haben vor allem die linkspopulistischen Peronisten, die seit den 1940ern die Politik dominieren, beigetragen. Auch die letzte Regierung hat mit Protektionismus und ineffizienter Überregulierung nachhaltiges Wirtschaftswachstum verhindert und eine Sozial- und Subventionspolitik betrieben, für die das Geld fehlte. Die Folge: eine Inflationsrate von bis zu 160 Prozent, die die Bevölkerung erst recht verarmen ließ.

Proteste in Buenos Aires gegen die geplanten Wirtschaftsreformen des neuen Präsidenten Javier Milei.
EPA/JUAN IGNACIO RONCORONI

Angesichts dieser katastrophalen Bilanz wurde im November der Anarchokapitalist Javier Milei zum Staatspräsidenten gewählt und dank seines klaren Wahlsieges mit einem echten Mandat für tiefgreifende Reformen ausgestattet. Sein erster Schritt, die massive Abwertung der künstlich hochgehaltenen Landeswährung, war vernünftig, und auch viele der drastischen Spar- und Deregulierungsmaßnahmen, die Milei kurz vor Weihnachten verkündete, weisen in die richtige Richtung.

Blockade, Proteste und scharfe Messer 

Eine Sanierung der maroden Wirtschaft wird – ähnlich wie nach dem Kollaps des Kommunismus in Osteuropa – nicht ohne Schmerzen für weite Teile der Bevölkerung gelingen. Derzeit explodieren die Preise, längerfristig könnte das geplagte Land Inflation und Stagnation aber hinter sich lassen. Mileis marktliberaler Vorvorgänger Mauricio Macri war die Sanierung der ruinierten Wirtschaft zu zögerlich angegangen.

Mileis Entscheidung, seine 300 Maßnahmen mit einem Notdekret durchzusetzen, lässt sich aufgrund dieser Erfahrung nachvollziehen. Seine eigene Partei hat nur wenige Sitze in den beiden Kammern des Parlaments; in einem regulären legislativen Prozess könnte die peronistische Opposition das gesamte Reformprogramm blockieren und hätte dabei jenen Teil der Bevölkerung, der vergangene Woche in großer Zahl auf die Straße ging, auf ihrer Seite. Der Mann, der im Wahlkampf mit einer Kettensäge auftrat, braucht jetzt zumindest ein scharfes Messer, um seine Ziele zu erreichen.

Milei hat das Parlament zu einer Sondersitzung nach Weihnachten einberufen. Wenn beide Kammern das Dekret ablehnen, muss der Präsident es zurückziehen; eine knappe Mehrheit in einer Kammer würde bereits reichen. Das erfordert Verhandlungsgeschick, das Milei erst demonstrieren muss. Alles wird er nicht umsetzen können, aber er wäre in einer guten Verhandlungsposition, um mit einigen Zugeständnissen seine Reformen auf demokratische Weise voranzutreiben.

Doch Milei hat auch eine autoritäre Seite, und für den Mann, der von Anhängern der einstigen Militärdiktatur umgeben ist, winkt die Versuchung, Widerstand mit Gewalt zu unterdrücken. Die Forderung, dass Organisatoren von Demos für die Folgen der Störungen zahlen sollen, deutet bereits darauf hin.

Argentinien ist tief gespalten, die Peronisten bleiben stark. Nimmt Milei seine sprichwörtliche Kettensäge zur Hand, drohen dem Land massive Unruhen, die in eine neue Diktatur münden könnten. Eine solche Rückkehr zu dunklen Zeiten wäre selbst eine erfolgreiche Wirtschaftsreform nicht wert. (Eric Frey, 27.12.2023)