Carlos Saura ist Anfang des Jahres verstorben. Er suchte in seinen Werken etwa neue Wege in die Freiheit.
Carlos Saura ist Anfang des Jahres verstorben. Er suchte in seinen Werken etwa neue Wege in die Freiheit.
Latido Films; Filmarchiv

Die Geschichte von der Zigarettendreherin Carmen aus Sevilla ist zuerst einmal eine französische Fantasie von einem urtümlichen Spanien. Eine Novelle von Prosper Mérimée wurde durch die Opernmelodien von Georges Bizet unsterblich. 1983 brachte der Filmemacher Carlos Saura eine Version heraus, die sich als Wiederaneignung sehen lässt: Ein Regisseur, ein Gitarrist und ein Tanzensemble suchen nach einer authentischen Carmen, nach einer wahrhaftigen Verkörperung einer Klischeefigur.

Verkörperung hieß in diesem Fall konkret: die Energie des Flamenco zu erden. Allerdings ging Saura zugleich in zwei Richtungen, denn Carmen ist eben auch eine moderne Überarbeitung eines Klassikers aus dem 19. Jahrhundert. Seine "kritische" Carmen wurde 1983 zu einem riesigen Programmkino-Erfolg nicht nur in Österreich.

Spezialist für Tanzfolklore

Als Regisseur war Saura danach ein bisschen festgelegt. Er wurde zu einem Spezialisten für die iberoamerikanische Tanzfolklore. Zu einem Zeitpunkt, da Pedro Almodóvar fulminant die Bühne betrat und das Kino des gerade erst demokratisch gewordenen Spanien mit Schwung in die Popkultur beförderte, geriet Saura ein bisschen in eine Nische. Dabei war er doch, 1932 geboren und eine halbe Generation älter als Almodóvar, derjenige gewesen, der sein Land in der großen Ära des europäischen Nachkriegskinos am stärksten vertreten hatte – neben vielleicht noch Víctor Erice.

Still aus Carlos Sauras
Still aus Carlos Sauras "Goya en Burdeos".
CINETEXT; Filmarchiv

Sein erster Spielfilm Die Straßenjungen (1959) ließ sich vom Neorealismus inspirieren, 1964 folgte Llanto por un bandido(Wehklagen für einen Banditen), ein Sierra-Western in prächtiger Landschaft. Bis zu diesen Anfängen geht die Retrospektive leider nicht zurück, die das Filmarchiv Austria derzeit dem Werk von Carlos Saura widmet – es ist zu umfangreich für eine umfassende Gesamtdarstellung, aber auch die Auswahl erlaubt eine Würdigung eines Künstlers, der im Februar dieses Jahres im Alter von 91 Jahren starb.

Opulenz am Schluss

Aus seiner Hochphase könnte man zum Beispiel Ana y los lobos (Ana und die Wölfe, 1973) empfehlen – Geraldine Chaplin, viele Jahre auch Sauras private Partnerin, spielt eine Kinderbetreuerin, die auf das Anwesen einer reichen spanischen Familie kommt. Sie bekommt es mit drei Mädchen, vor allem aber mit drei Brüdern zu tun, die ihr alle auf sinistre Weise nachstellen. Saura griff mit dem Film eine reaktionäre Bourgeoisie an, Vergleiche mit Luis Buñuel liegen nahe und sind auch berechtigt. Die Diktatur unter General Franco hatte Spanien seit dem Ende des Bürgerkriegs in einer Art Zeitkokon gehalten, und Saura war einer derjenigen, die daran arbeiteten, den Eliten den Boden unter den Füßen wegzuziehen. 1975 folgte Cría cuervos, der mit einer kindlichen Hauptfigur einen symbolstarken Weg in eine neue Freiheit suchte.

Im späteren Werk von Saura, mit dem er alle Freiheiten einer erfolgreichen Karriere genießen konnte, gibt er manchmal einem Hang zu surrealer Opulenz zu leicht nach, etwa in Goya in Bordeaux (1999), in dem der große Maler Goya in Frankreich Zuflucht findet und in dem Saura Malerei und Studiotechnik schwelgerisch zusammenführt. Das Filmarchiv zeigt schließlich denn auch den letzten Film Las paredes hablan (Die Wände sprechen), in dem er Höhlenmalerei aus den Anfängen der Menschheit zu einem Schlüssel für alle große Kunst erklärt. (Bert Rebhandl, 28.12.2023)