Es gibt Episoden in Microsofts Firmengeschichte, über die schmunzelt man im Nachhinein gerne. Da wäre etwa Bob, ein spielerisches Update für Windows, das aussah wie ein Wohnzimmer. Klickte man verschiedene Möbelstücke an, offenbarten sich dahinter Windows-Funktionen. Bob war ein Fehlschlag.

Oder jene Szene, in der der damalige CEO Steve Ballmer verschwitzt und mit brechender Stimme "Developers" von der Bühne schreit. Ein anderes Mal führte der für exzentrische Auftritte bekannte Ballmer einen eigenartigen Tanz auf, was ihm den Spitznamen Monkeyboy einbrachte.

Steve Ballmer Going Crazy on Stage

Dann wären da noch Hoppalas während Produktpräsentationen. Unvergessen ist jener Moment, als eigentlich die Plug-and-Play-Fähigkeiten von Windows 98 präsentiert werden sollten, aber das Betriebssystem lieber mit einem Bluescreen abschmierte. Da konnte sich selbst Bill Gates einen Lacher nicht verkneifen.

Windows 98 presentation fail (HQ)
Vuusteri

Und natürlich gibt es da noch Clippy oder zu Deutsch Karl Klammer, das kleine Helferlein in Office mit dem großen Geltungsbedürfnis und dem noch größeren Nerv-Faktor. Die ikonische Büroklammer wurde mittlerweile zum Meme und landete im Vorjahr sogar auf Microsofts Weihnachtspulli.

Auch vor aufwendigen Marketingaktionen für neue Windows-Editionen schreckt man bei Microsoft nicht zurück. Windows 95 wurde etwa mit einer eigens produzierten Sitcom mit dem mittlerweile verstorbenen "Friends"-Star Matthew Perry sowie Jennifer Aniston beworben. Eine Marketingaktion für die Spielkonsole Xbox brachte einen nach Pizza riechenden Controller unter die Leute.

Ein Musical für Windows XP

Aber ein Marketingstunt schlägt alle schrägen Aktionen des Windows-Konzerns, und er dürfte viele Jahre im Giftschrank der Marketingabteilung gelegen sein. Jetzt ist das Video davon auf Youtube aufgetaucht.

Vor 22 Jahren hatte Microsoft gerade Windows XP veröffentlicht und wollte das Betriebssystem natürlich eifrig bewerben. Windows XP gilt heute als eines der besten Betriebssysteme von Microsoft, aber das wusste man Anfang der 2000er noch nicht, also griff man ganz besonders tief in die Trickkiste. Man lud zu einem Event in einen großen Kinosaal in Tel Aviv ein. Dort bekamen die Gäste zwar die erwartete Keynote zu sehen, diese war aber in ein Musical verpackt – sehr zur Überraschung der Anwesenden. 90 Minuten dauerte das eigentümliche Spektakel.

Es ist ein Beispiel für sogenannte Industrial Musicals, wie "Neowin" schreibt. Diese wurden von Unternehmen in Auftrag gegeben, um ihre Produkte zu bewerben. Sie hatten eine lange Geschichte, die bis in die 1950er-Jahre zurückreicht, aber in den 1980er-Jahren war diese Form der Werbung weitgehend ausgestorben. Offenbar hat Microsoft das Memo diesbezüglich nicht erhalten.

Auf X, vormals Twitter, hat User "DancingEngie" die Geschichte hinter der bizarren Show aufgearbeitet. Demnach dürfte der Microsoft-Israel-Marketingleiter Lior Tzoref den Musikproduzenten Arik Schter kennengelernt haben. Letzterer wollte die Präsentation von Windows XP in ein Musical verwandeln. Tzoref war begeistert und holte den Segen seiner Vorgesetzten ein. Am Ende war ein Team aus 30 Tänzerinnen und Tänzern beteiligt. Choreografiert wurde das Stück von Doron Medeli, der schon Songs für den israelischen Beitrag zum Song Contest produzierte.

Die dargebotenen Lieder preisen die technischen Vorzüge des neuen Betriebssystems. Ein Song handelt von einem zu großen E-Mail-Anhang, der ein Komprimierungsprogramm benötigt, um versendet zu werden. Oh Wunder: Windows XP bot genau so ein Feature, das im Refrain auch ausgiebig besungen wurde.

Die israelische Zeitung "Haaretz" schrieb damals: "Ohne Vorwarnung zieht er sein Hemd aus und singt ein rhythmisches Liebeslied auf das neue Betriebssystem. Etwa 25 Tänzerinnen und Tänzer stürmen auf die Bühne, bewegen sich im Stil von Britney Spears und schreien aus voller Kehle: 'Windows XP! Es steckt voller Überraschungen! Windows XP! Lässt Träume wahr werden! Windows XP! Für jede Frage gibt es tausend Lösungen!' und so weiter." Das Fazit des Artikels: Das Musical war "das peinlichste High-Tech-Ereignis des Jahres oder des Jahrtausends." (red, 28.12.2023)