Es ist gerade einmal eineinhalb Jahre her, da fürchtete man in Österreich, dass es dunkel und kalt wird, weil das Gas ausbleibt. Was, wenn die Russen den Hahn zudrehen? Es gelte unbedingt zu diversifizieren, tönte es aus Politik und Wirtschaft – es brauche neue Lieferquellen und Transportwege.

Heute zeigt sich: Ein äußerst wichtiges Projekt für Versorgungssicherheit in Österreich – noch dazu eines, das nicht besonders aufwendig wäre – kommt und kommt nicht zustande. Warum nicht?

Mitten in Österreich klafft eine Lücke im Gasleitungsnetz. Warum?
REUTERS/MAXIM SHEMETOV

Es geht um eine geplante Gaspipeline in Oberösterreich, auf einer 40 Kilometer langen Strecke. Dort verläuft bereits heute die West-Austria-Gasleitung (WAG). Allerdings führt die WAG bisher nur in eine Richtung, von Ost nach West. Nun soll der WAG-Abschnitt um ein Rohr in die Gegenrichtung ergänzt werden – "geloopt", wie Fachleute das nennen.

In die Gegenrichtung

Historisch gesehen ist es nicht verwunderlich, dass die WAG bisher nur Richtung Westen geht. Erdgas floss stets, von Russland kommend, durch Österreich in den Westen. Doch inzwischen haben sich die Ströme umgekehrt: Gas fließt öfter von West nach Ost, etwa von holländischen Flüssiggashäfen oder aus Norwegen Richtung Ostösterreich.

Damit es ausreichend ankommt, braucht es dringend den Loop – so weit sind sich alle einig. Die Regierungsparteien ÖVP und Grüne fordern ihn ebenso wie die Opposition. Die Regulierungsbehörde E-Control reiht ihn unter jene Projekte, die wegen der Versorgungssicherheit strategisch notwendig sind. Auch das Betreiberunternehmen – die Gas Connect Austria, mehrheitlich im Besitz des teilstaatlichen Stromkonzerns Verbund – plant grundsätzlich, ihn zu bauen.

"Umgehend bauen"

Allerdings: Ein zäher Streit sorgt dafür, dass dies nicht längst läuft. "Der Bauherr Gas Connect steht auf der Bremse", kritisiert Karin Doppelbauer, Abgeordnete der Neos. Auch die E-Control ließ im Herbst wissen, dass "umgehend gebaut werden" müsse – und mahnte die "Verantwortung des Netzbetreibers Gas Connect" ein. Doch von dort heißt es: Die Finanzierung sei "nicht sichergestellt"; das Projekt "ein sehr großes finanzielles Risiko". Die Kosten betragen zwar geschätzt nur 200 Millionen Euro, keine hohe Summe für ein Vorhaben dieser Art. Aber rund um den Betrag ist ein komplexer Konflikt entbrannt.

Zur Erklärung: Normalerweise läuft die Finanzierung einer Pipeline so, dass das dahinterstehende Unternehmen eruiert, wie viele Kunden daran Interesse hätten, Gas durchzuschicken. Ist eine Mindestkapazität erreicht, weiß man, dass der Bau kein Verlustgeschäft wird. Doch ebendies sei nicht sichergestellt, sagt Gas Connect. Ein wichtiger Grund dafür ist, dass es die Klimaziele fraglich erscheinen lassen, dass etwa in zwei Jahrzehnten überhaupt noch fossiles Gas durch Leitungen fließen wird. "Das Zurückverdienen des zu investierenden Geldes" könne "mangels entsprechender Transportbuchungen nicht im Vorhinein abgesichert werden", so Gas Connect.

"Kein finanzielles Risiko"

Kritiker halten entschieden dagegen. "Gas Connect trägt gar kein finanzielles Risiko", sagt Neos-Abgeordnete Doppelbauer. Der Grund: Für strategisch wichtige Projekte wie den WAG-Loop gelten spezielle Regeln, die Betreibern das Kosten- und Marktrisiko abnehmen: Wenn nicht genug Buchungen hereinkommen, würden die Kosten "sozialisiert", erklärt Carola Millgramm, Leiterin der Gasabteilung der E-Control. Das bedeutet, Projekte wie der WAG-Loop werden dann aus jenem Topf mit Gebührengeld finanziert, in den alle Gasfernleitungsbenutzer in Österreich zusammen einzahlen. Man kann sich das wie bei einem Autobahnbau vorstellen: Er wird aus Mautzahlungen finanziert, die alle Autofahrer zusammen leisten.

Der Verlauf des geplanten neuen
Der Verlauf des geplanten neuen WAG-Loops.
DER STANDARD

Geht das Argument der Gas Connect also ins Leere? Auf STANDARD-Nachfrage bleibt man dabei: Man könne die Investition trotz Sozialisierung nicht allein tragen. Dies hänge auch mit der "Tarifmethodik" zusammen, argumentiert Gas Connect – also den Tarifen insgesamt, die Benutzer des Gasnetzes zahlen. Diese Methodik müsse dringend überarbeitet werden, weil sich das Gasgeschäft wegen des Ukrainekriegs verändert habe und "die Erlöse aus transportierten Mengen stark rückläufig sind". Ganz unabhängig vom WAG-Loop verhandelt Gas Connect gerade mit der E-Control über die künftige Methodik. Und: Erst wenn die Gespräche beendet seien, könne man auch die "Gesamtsituation" in Sachen WAG-Loop beurteilen und evaluieren, ob beim Bau nicht doch ein finanzielles Risiko bestehe.

Ausländische Teileigentümer

Auch nach mehreren Präzisierungen auf STANDARD-Nachfrage wirkt diese Erklärung der Gas Connect nicht ganz schlüssig – welche Versuche von Abtauschgeschäften hier mitschwingen, muss für Außenstehende unklar bleiben. Branchenkenner behaupten jedenfalls, dass sich vor allem die ausländischen Teileigentümer der Gas Connect gegen den derzeitigen Plan beim WAG-Loop sträuben würden: Das Unternehmen gehört nicht dem Verbund allein, sondern auch dem deutschen Versicherungskonzern Allianz und dem italienischen Gasleitungsbetreiber Snam.

Jedenfalls wird jetzt ein Kompromiss gesucht. Im Gespräch ist eine Kostenteilung: Beim WAG-Loop könnte auch Steuergeld zum Einsatz kommen; die Rede ist von einem Drittel der Baukosten. Als wäre die Causa nicht schon komplex genug, streiten diesbezüglich auch noch Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) und Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne), aus welchem Topf genau der Zuschuss berappt werden soll.

Ursprünglich war geplant, dass der WAG-Loop im Jahr 2025 in Betrieb geht. Inzwischen heißt es angesichts all der Querelen seitens der Gas Connect, dass eine Fertigstellung 2027 realistischer sei – "vorbehaltlich der Finanzierung und Kostentragung". Bis die wichtige Verbindung steht, vergeht viel zu viel Zeit. (Joseph Gepp, 3.1.2024)