Gut erfunden: 1941 bauen die Schwestern Thomasina (Emma Appleton, re.) und Martha Hanbury (Stefanie Martini, li.) eine Maschine namens Lola, die in die Zukunft blicken kann.
Gut erfunden: 1941 bauen die Schwestern Thomasina (Emma Appleton, re.) und Martha Hanbury (Stefanie Martini, li.) eine Maschine namens Lola, die in die Zukunft blicken kann.
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Es gibt ein Genre, das sich an einer Frage aufhängt: Was wäre, wenn die Nazis den Krieg gewonnen hätten? Philip K. Dick hat sich dem Szenario in The Man in the High Castle gewidmet, ebenso wie der HBO-Film Fatherland von 1994 mit Rutger Hauer. Fatherland spielt in den 1960er-Jahren und beginnt mit einer Collage aus Archivbildern, die vom siegreichen Germania erzählen.

Der Grund für Hitlers Triumph, so heißt es, war das Scheitern der Normandie-Invasion der USA, woraufhin die Atlantikmacht dem alten Europa den Rücken gekehrt hat, wie es etwa Charles Lindbergh damals forderte.

Irisch-britische Geschichts-Sci-Fi

Auch im irisch-britischen Geschichts-Science-Fiction Lola hat der US-amerikanische Isolationismus letztendlich schuld daran, dass Deutschland über Großbritannien triumphiert. Und auch hier finden das einige historische Persönlichkeiten ziemlich gut. Ex-König Edward etwa, der als Faschistenfreund galt und gesagt haben soll, dass er, sobald Hitler Großbritannien einnehme, als dessen Führer zurückkehre. Oder Sir Oswald Mosley, der Gründer der Britischen Faschistischen Union. Beide kommen in Andrew Legges beeindruckendem Filmdebüt Lola an die Macht.

Lola heißt die Maschine, die es den Schwestern Thomasina, kurz Thom, und Martha, Mars, ermöglicht, in die Zukunft zu blicken. Die verwaisten Schwestern leben allein in einem Landhaus. Es sind die späten 1930er-Jahre, doch für Mars gibt es nichts Erbaulicheres, als David Bowies Ziggy Stardust über Lolas Bildschirm flimmern zu sehen.

Angriff auf London

Dann beginnen die Luftangriffe auf London, und Lola hat einen anderen Zweck gefunden: Sie dient nun als Frühwarnsystem, mithilfe dessen Thom vor Luftangriffen warnt. "Engel von Portobello" wird Thoms aus dem Radio schallende Stimme bald genannt.

Kein Wunder, dass sich der Geheimdienst dafür interessiert. Als ein kluger Lieutenant die Schwestern aufspürt, schleicht sich ein Störfaktor in deren Zweisamkeit, und Thom, die Erfinderin Lolas, beginnt aktiver ins Kriegsgeschehen einzugreifen.

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Als ein US-amerikanisches Passagierschiff wegen Thoms Durchsage allerdings einem britischen Luftangriff zum Opfer fällt, lässt die USA seinen Bündnispartner im Stich. Und als Mars wieder mal David Bowie hören will, ist an seiner Stelle ein poppiges Marschlied in den Charts der Zukunft. Ihre Schwester hat den Lauf der Geschichte verändert, die Faschisten werden siegen.

Neo-Regisseur und Kameraliebhaber Legge ist es mithilfe seiner großartigen Darstellerinnen Emma Appleton und Stefanie Martini gelungen, einen extrem zugänglichen Experimentalfilm vorzulegen. Lola besteht fast zur Gänze aus verwackeltem Home-Video-Material, einem Film im Film, den Mars selbst auf 16 Millimeter dreht.

Dazwischen finden sich kreativ manipulierte, historische Archivaufnahmen, die später sogar Hitler vor der Wundermaschine Lola zeigen. Ein erstaunliches, brillantes Debüt und einer der interessantesten Filme des Jahres. (Valerie Dirk, 30.12.2023)