Landesgericht und Justizanstalt Eisenstadt von außen
Die große Zahl an festgenommenen Schleppern bringt die Justiz im Burgenland an die Belastungsgrenze. Die Justizanstalt Eisenstadt (Bild) ist seit Mai regelmäßig überbelegt. Sie ist für 175 Insassen vorgesehen, zählt aber meist 200 bis 220. Rund 70 Prozent sind wegen Schlepperei in Haft.
APA/ROBERT JAEGER

Es ist Donnerstag, neun Uhr, Saal elf des Landesgerichts Eisenstadt. Auf der Anklagebank sitzt ein Mitte 30-jähriger Moldauer, dem vorgeworfen wird, im September "acht Frauen, 14 Kinder und 24 Männer unter qualvollen Umständen" über die Grenze von Ungarn nach Österreich geschleppt zu haben. "Warum haben Sie das gemacht?", fragt eine der beiden Richterinnen. Er habe Schulden und sein Vater sei schwer krank, erklärt der Mann, der eigentlich Fliesenleger ist. "An einem Abend mit viel Alkohol und Drogen" habe ihm ein Freund "ein Jobangebot" über 5000 Euro gemacht. "Da habe ich beschlossen, das zu machen", sagt der Angeklagte.

Eisenstadt ist der Hotspot der Schleppereibekämpfung in Österreich. Das ist wegen der Nähe zu Ungarn nicht verwunderlich. In den letzten beiden Jahren sind es aber so viele Verfahren, dass das Landesgericht und die Justizanstalt mittlerweile an ihre Kapazitätsgrenzen kommen. Die Schlepper, die dort verurteilt und eingesperrt werden, sind aber nur "kleine Fische". Die Hintermänner sitzen im Ausland und werden viel seltener erwischt.

Nur "kleine Fische"

"Letztes Jahr hatten wir 230 Schlepperverfahren, das hat schon unsere Kapazitäten gesprengt", sagt Karl Mitterhöfer, der Präsident des Landesgerichts Eisenstadt. Es ist eines der kleinsten seiner Art in Österreich, mit insgesamt 18 Richterinnen und Richtern, sechs davon für Strafsachen. 2023 waren es bis Mitte Dezember schon 260 Schlepperverfahren. Da die Staatsanwaltschaft Eisenstadt Schlepper grundsätzlich als Teil einer kriminellen Vereinigung anklagt, liegt der Strafrahmen bei bis zu zehn Jahren Haft, und es ist automatisch ein großes Schöffengericht aus zwei Berufsrichtern und zwei Laienrichtern zuständig. Die Verfahren binden also viel Personal.

In der an das Landesgericht angrenzenden Justizanstalt Eisenstadt ist die Situation eine ähnliche. Das Gefängnis ist eigentlich für 175 Insassen ausgelegt, aktuell sind dort aber 198 untergebracht, davon 70 Prozent Schlepper. Vor ein paar Wochen waren 230 Häftlinge in der Justizanstalt. "Da mussten wir teilweise vier Leute in die Hafträume nehmen, die eigentlich für zwei gedacht sind", sagt Leiter Klaus Faymann. Lokale Medien berichteten von Häftlingen, die auf Matratzen auf dem Boden schlafen, und auch die Volksanwaltschaft äußerte wiederholt Bedenken. Daraufhin wurden 30 bis 40 Häftlinge in andere Justizanstalten verlegt, berichtet Faymann. Das Landesgericht bekam im Sommer, wie auch schon letztes Jahr, eine zusätzliche Richterin zur temporären Unterstützung.

Aktuell entspannt sich die Lage wieder etwas im Burgenland, was vor allem damit zu tun hat, dass Serbien seine Grenze zu Ungarn seit ein paar Wochen militärisch schützen lässt. Auslöser dafür war, dass kurz vor den serbischen Parlamentswahlen bei einer Schießerei zwischen rivalisierenden Schleppern drei Afghanen erschossen wurden. Nun verlagern sich die Fluchtrouten wieder eher nach Kroatien.

Das Motiv ist immer Geld

Zurück im Gerichtssaal Nummer 11 am Landesgericht. Der Angeklagte erklärt gerade, wie er über einen Mittelsmann in ein Hotel in Ungarn bestellt wurde. Dort seien ihm ein Mercedes-Sprinter und ein Standort an der serbischen Grenze gegeben worden, wo er 20 Personen abholen sollte. Dass es dann doch 46 wurden, habe er nicht beeinflussen können. "Als ich ankam, sprangen überall aus dem Gebüsch Leute und rannten auf den Bus zu. Ich habe hinter ihnen die Tür zugemacht und bin losgefahren", sagt der Mann. Der Staatsanwalt rechnet dem Gericht vor, dass jeder der Geschleppten 0,12 Kubikmeter Platz in dem Bus hatte. Als der Fahrer sie später klopfen hörte, hätten ihm seine Auftraggeber am Telefon gesagt, er solle einfach weiterfahren, sagt er. Dass die Lüftungsschlitze mit PU-Schaum verklebt waren, habe er nicht gewusst.

Nach dem Moldauer finden noch zwei weitere Schlepperverhandlungen statt. Zuerst gegen einen rumänischen Familienvater von vier Kindern, der angibt, an einer Raststation gefragt worden zu sein, ob er einen "Transportjob" für 500 Euro erledigen könne. Da er 5000 Euro Schulden habe, sei er sofort mitgefahren. Wenige Stunden später wurde er mit vier Personen ohne Einreisebewilligung in einem Pkw im Burgenland festgenommen.

Danach wird eine 25-jährige Niederländerin, die zuletzt in Serbien lebte, als Beschuldigte vorgeführt. Sie behauptet, im Kaffeehaus von einem Fremden gefragt worden zu sein, ob sie Geld brauche. Da sie 21.000 Euro Schulden habe und einen dreijährigen Sohn, habe sie eingewilligt, 20 Menschen nach Österreich zu schleppen. Frauen machen übrigens nur knapp zehn Prozent der in Österreich festgenommenen Schlepper aus.

Hintermänner im Ausland

So, oder so ähnlich klingen die meisten Geschichten der Schlepper, die in Eisenstadt verurteilt werden, sagt Präsident Karl Mitterhöfer, der hunderte Verhandlungen als Beisitzer begleitet hat. Das Motiv sei immer Geld. Viele würden über Social Media angeworben. "Da gibt es Anzeigen wie ‚Fahrer für Transportdienste gesucht‘. Um welche Art von Transport es sich handelt, erfährt man oft erst später", sagt Mitterhöfer. Oft seien Schlepper auch selbst einmal Geschleppte gewesen, so Mitterhöfer. "Viele empfinden es nicht als Unrecht, dass sie ihren Landsleuten helfen nach Europa zu kommen", sagt der Gerichtspräsident.

Erwischt würden hauptsächlich die Fahrer. "Eine Ebene höher sind die Begleitfahrer, die vor Kontrollen warnen", erklärt Mitterhöfer. Ganz selten, "in den letzten zehn Jahren vielleicht zwei- bis dreimal", habe er erlebt, dass jemand aus einer höheren Ebene einer Schlepperorganisation in Eisenstadt angeklagt wurde.

Das liegt vor allem daran, dass sich die eigentlichen Organisatoren der Schlepperei nicht in Österreich aufhalten. "Aktuell gibt es am Westbalkan vier rivalisierende Schleppergruppen. Eine marokkanische, eine afghanische, eine syrische und eine vom Balkan. Die sitzen großteils in Serbien, Bosnien, der Türkei oder Nordmazedonien. Wir haben teilweise Ermittlungen mit mehr als 100 Schleppern pro Gruppe", sagt Gerald Tatzgern, der Leiter der Abteilung für Schlepperbekämpfung im Bundeskriminalamt.

Als DER STANDARD ihn erreicht, ist er gerade in Rom, um eine Vereinbarung zwischen 20 europäischen Ländern zu unterzeichnen, die bei der Schlepperbekämpfung noch stärker zusammenarbeiten wollen. Österreich positioniert sich diesbezüglich als treibende Kraft in Europa. Über das in Wien ansässige Joint Operational Office werden Schlepperverfahren aus ganz Europa koordiniert. Grenzübergreifende Zusammenarbeit sieht Tatzgern als Schlüssel zur erfolgreichen Schlepperbekämpfung. Besonders stolz ist er darauf, dass 130 österreichische Polizisten Ungarn, Serbien und Nordmazedonien beim Kontrollieren ihrer Grenzen unterstützen.

Kritik an Grenzpolitik

Gerade das ist aber aus menschenrechtlicher Sicht durchaus umstritten. In Ungarn werden nämlich irreguläre Migranten, die von der Polizei erwischt werden, ohne Möglichkeit, einen Asylantrag zu stellen, direkt nach Serbien abgeschoben, was sowohl gegen EU- als auch Völkerrecht verstößt. Der Europäische Gerichtshof hat Ungarn dafür schon mehrmals verurteilt. "Wir helfen den Ungarn mit Millionen an Steuergeld, Leute aufzuspüren, damit die illegale Pushbacks machen können", kritisiert Lukas Gahleitner-Gertz von der Asylkoordination Österreich.

Bei der Schlepperbekämpfung im Burgenland werde "mit Kanonen auf Spatzen geschossen", sagt Gahleitner. "Was nicht gesagt wird, ist, dass die Grenzpolitik der eigentliche Nährboden für das Schlepperbusiness ist." Die EU setzt bei ihrer Migrationspolitik vor allem auf geschlossene Grenzen, wofür auch Österreichs Regierung immer wieder lobbyiert. Im Sinne der Schlepperbekämpfung brauche es, so Gahleitner, statt Abschottung mehr legale Einwanderungsmöglichkeiten.

In Eisenstadt entschuldigen sich indes alle drei Angeklagten vor der Urteilsverkündung beim Gericht "für einen schweren Fehler", den sie begangen hätten. Schuldig gesprochen werden sie trotzdem. Der Moldauer bekommt aufgrund der qualvollen Umstände drei Jahre Haft, der Rumäne 13 Monate und die junge Niederländerin 18 Monate. (Johannes Pucher, 2.1.2024)