Eine ältere Dame unterschreibt ein Dokument
Digitale Prozesse müssen die gleichen Standards in puncto Korrektheit und Sicherheit erfüllen wie ein Termin vor Ort.
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Es war 2023 einer der größten Aufreger in der österreichischen Gründerszene, als die Österreichische Notariatskammer (ÖNK) das Wiener Start-up Notarity klagte. Über die Plattform des Start-ups können Termine mit Notaren gebucht und online abgewickelt werden. Die Kammer sieht in dem Geschäftsmodell mehrere Ungereimtheiten, und nachdem diverse Gespräche zur Beilegung der Differenzen gescheitert waren, entschied man sich für den rechtlichen Schritt. Gleichzeitig betont die ÖNK in der Klage, dass es Alternativen zu Notarity gebe, gegen die man nichts einzuwenden habe. Eine davon ist jene des Grazer Start-ups Iurio.

"Ich habe von der Erwähnung in der Klage nichts gewusst und erst später davon erfahren", sagt Arnold Scherabon, CEO und Co-Founder von Iurio, im Gespräch mit dem STANDARD. Gegründet im Jahr 2017, hat Iurio zehn Mitarbeiter und bietet Software für den juristischen Bereich an. Nach einem Investment von Linde Digital haben die beiden Gründer noch 60 Prozent Anteil am Unternehmen, der Investor 40 Prozent.

Warum wurde Iurio nicht geklagt?

Das System von Iurio ist modular aufgebaut, sodass verschiedene Anwendungsszenarien abgedeckt werden können. Notare zum Beispiel können damit einen kompletten Notariatsakt und auch zum Beispiel Bauträgerverfahren, die sich über mehrere Jahre strecken, abbilden. In virtuellen Datenräumen können diverse Dokumente und verschiedene Personen involviert werden, die sich an unterschiedlichen Orten befinden. Dokumente können freigegeben und Videokonferenzen durchgeführt werden.

Insofern ist das Angebot von Iurio mit dem von Notarity vergleichbar. Der Unterschied ist jedoch, dass Iurio keine Vermittlungsleistung bietet: Potenzielle Kundinnen oder Kunden können dort also nicht nach Notaren suchen, stattdessen sind die Kunden von Iurio die Nortare selbst, die wiederum die Software bestellen, um ihre eigenen Prozesse zu digitalisieren. Die Vermittlung ist das Kernelement der Klage gegen Notarity: Die Kammer ist nämlich der Ansicht, dass das Start-up dadurch unrechtmäßig Notariatsleistungen anbietet.

Scherabon betont auch, dass man eng mit Notaren und anderen Berufsgruppen zusammenarbeite – auch um deren Geschäftsprozesse bestmöglich digital abbilden zu können. Das digitale Abbilden des Notariatsakts sei kein Problem, allerdings müsse immer darauf geachtet werden, dass die gleichen Standards an Korrektheit und Sicherheit geboten werden wie vor Ort in einer Kanzlei. Denn immerhin haftet der Notar für ebendiese Korrektheit.

Kritik an neuen Standards ab 1.1.2024

Mit 1. Jänner 2024 trat zusätzlich die neue Richtlinie zur Standesausübung der Österreichischen Notariatskammer in Kraft, die unter anderem Neuerungen in der Durchführung von digitalen Notariatsterminen beinhaltet. Zum Beispiel muss nun unmittelbar vor Beginn der Amtshandlung durch den Notar eine Bildschirmkopie erstellt werden, auf der das Gesicht und der volle Name der Nutzerin oder des Nutzers ersichtlich sein muss, ebenso ist ein Screenshot vom Gesicht des Notars zu erstellen. In einem "Verbindungsprotokoll" müssen die Namen der Beteiligten und die Verbindungsdaten ausgewiesen werden. Die Daten sind fälschungssicher aufzubewahren.

Beim beklagten Start-up Notarity betont man in einer Aussendung, dass man die neuen Regeln zwar bereits umgesetzt habe, diese aber nicht nachvollziehen könne. "Vielmehr erscheint es uns so, als würde man der fortschreitenden Digitalisierung mit willkürlichen Hürden begegnen", wird Jakobus Schuster, CEO und Co-Founder von Notarity, in einer Aussendung zitiert: "Wäre eine stärkere Kontrolle der Standesmitglieder das Ziel, müsste man die Richtlinien auch in die Offline-Welt übertragen." Das sei vergleichbar damit, als würde man bei einem physischen Notartermin vor der Beurkundung ein Selfie vom Notar oder der Notarin mit den Klientinnen und Klienten sowie ein Anwesenheitsprotokoll aller Anwesenden verpflichtend verlangen. (Stefan Mey, 2.1.2024)