Zerstörung in Japan
Rund 100.000 Menschen mussten sich in den letzten Tagen in Sicherheit bringen.
EPA/FRANCK ROBICHON

Nach dem heftigen Erdbeben am Nachmittag des Neujahrstages kamen die Rettungsarbeiten auf der am schwersten betroffenen Noto-Halbinsel auf der Westseite von Japan am Dienstag nur langsam voran. Wichtige Brücken und Straßen, die in das Katastrophengebiet führen, waren beschädigt oder komplett unterbrochen, sodass erste Hilfslieferungen zunächst steckenblieben. "Es ist äußerst schwierig, mit Fahrzeugen in die nördlichen Gebiete der Noto-Halbinsel zu gelangen", berichtete Premierminister Fumio Kishida. Deswegen koordiniere die Zentralregierung den Transport der Hilfsgüter mit Schiffen. Rund 10.000 Soldaten wurden für die Rettungs- und Hilfsmaßnahmen mobilisiert.

Video: Dutzende Tote und große Schäden bei Erdbeben in Japan
AFP

Das Epizentrum des Erdbebens, das sich am 1. Jänner um 16.10 Uhr Ortszeit ereignete, lag 30 Kilometer nordöstlich von Wajima in 16 Kilometer Tiefe an der Küste der Noto-Halbinsel in der Präfektur Ishikawa und erreichte die maximale Stärke 7 auf der japanischen Intensitätsskala. Die Richterstärke wurde mit 7,6 angegeben. Es war das schwerste Erdbeben auf der Halbinsel seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 1885. Das Wetteramt warnte vor noch stärkeren Folgebeben in den nächsten Tagen und Wochen.

Großfeuer zerstörte 200 Häuser

Die lokalen Behörden erhöhten im Lauf des Dienstags die Zahl der Opfer fast stündlich auf zuletzt 48 Tote. Allein sieben Patienten starben unter ungeklärten Umständen im städtischen Krankenhaus von Wajima. In der Küstenstadt brach kurz nach dem Erdbeben ein Großfeuer aus, das während der Nacht über 200 Wohn- und Geschäftshäuser rings um den Marktplatz vernichtete. Ein siebenstöckiges Haus mit Wohnungen kippte auf die Seite und begrub die nebenstehenden Häuser unter sich. Das Beben beschädigte auch Gebäude und Straßen in der Touristenhochburg Kanazawa. Auf dem Parkplatz eines Krankenhauses der Universität Kanazawa wurden Stühle aufgestellt, die die Buchstaben S.O.S. bildeten. Freiwillige Helfer, Polizisten und Soldaten versuchten unter den Trümmern verschüttete Menschen zu bergen.

Wajima
Aufnahme aus der Küstenstadt Wajima, wokurz nach dem Erdbeben ein Großfeuer ausbrach.
Kyodo News via AP

Dabei mussten sie wegen der ständigen Nachbeben vorsichtig vorgehen. Eintausend Anwohner wurden auf den Luftwaffenstützpunkt der Selbstverteidigungskräfte in Wajima evakuiert und erhielten dort Decken, Wasser und Lebensmittel. Insgesamt wurden rund 100.000 Menschen in fünf Präfekturen zur Evakuierung aufgefordert. Neujahr ist der höchste Feiertag in Japan, in seiner Bedeutung vergleichbar mit Weihnachten in Österreich. Die meisten Geschäfte sind geschlossen, die Familien treffen sich.

Größter Tsunami-Alarm seit März 2011

Die Erdstöße lösten Tsunami-Wellen aus, die beim Auftreffen auf die Küste eine Höhe von bis zu 1,20 Metern erreichten. TV-Bilder zeigten Fischerboote, die kieloben im Wasser trieben oder an Land gespült waren. Eine Sprecherin im öffentlich-rechtlichen TV-Sender NHK hatte mit sich überschlagender Stimme alle Anwohner aufgerufen, sofort höher gelegene Gebiete aufzusuchen. Das Wetteramt warnte vor bis zu fünf Meter hohen Flutwellen. Dieser erste große Tsunami-Alarm seit März 2011 rief bei vielen Japanern Erinnerungen an die damalige Katastrophe mit rund 20.000 Opfern und der Havarie im AKW Fukushima wach. Alle Tsunami-Warnungen wurden am Dienstag um 10 Uhr Ortszeit aufgehoben.

Die Behörden warnen vor weiteren starken Beben in den nächsten Tagen.
via REUTERS/KYODO

In den sechs Atomkraftwerken mit 22 Reaktoren an der Westküste kam es nach offiziellen Angaben zu keinen "Unregelmäßigkeiten". Damit ist der Austritt von Radioaktivität gemeint. Die nächstgelegenen zwei Reaktoren im AKW Shika, rund 100 Kilometer vom Epizentrum entfernt, sind seit der Atomkatastrophe vor fast 13 Jahren abgeschaltet. Der AKW-Betreiber meldete, dass aus den Abklingbecken für abgebrannte Brennelemente Wasser geschwappt und eine Beckenpumpe knapp eine Stunde lang ausgefallen sei. Außerdem kam es nach diesen Angaben zu einem Transformatorenbrand auf dem Gelände des Atommeilers.

Die Shinkansen-Superschnellzüge nahmen bereits weniger als 24 Stunden nach der Katastrophe ihren Betrieb wieder auf. Rund 1.400 Fahrgäste in vier Zügen saßen für etwa elf Stunden fest, bis der Betreiber West Japan Railways die Sicherheit der Gleise überprüft hatte. (Martin Fritz aus Tokio, 2.1.2024)