Zwei Wesen der Urzeit konkurrieren um den Titel "Größter Gliederfüßer aller Zeiten". 2021 stellten Forschende die Entdeckung eines Teilabdrucks von Arthropleura vor. Das in Nordengland gefundene 326 Millionen Jahre alte Fossil eines Riesentausendfüßers misst 76 Zentimeter und repräsentiert 25 Körpersegmente ohne Kopf. Hochgerechnet kommen die Fachleute dadurch auf eine Körperlänge von bis zu 2,6 Metern. Doch die Schätzungen sind unsicher, zumal noch nie der Kopf eines solchen Ungetüms entdeckt wurde. Vielleicht erreichte Arthropleura auch "nur" eine Länge von knapp unter zwei Metern.

Jaekelopterus, Seeskorpion, Fossil
Ein Fossil von Jaekelopterus rhenaniae. Die Seeskorpion-Spezies gilt als einer der größten Gliederfüßer aller Zeiten.
Foto: Ghedoghedo

Gegliederte Meeresgiganten

In dem Fall hätte ein anderes Ungetüm den an Land lebenden Riesentausendfüßler deutlich überragt: Jaekelopterus rhenaniae gehörte zu den Seeskorpionen (Eurypteriden), einer im Wasser lebenden Gliederfüßergruppe, die vor 467 bis 253 Millionen Jahren lebte und nur wenig mit modernen Skorpionen zu tun hat. Diese Giganten erreichten ebenfalls eine Länge von 2,6 Metern und waren näher mit den Schwertschwänzen verwandt, die in einem Seitenast ihres Stammbaumes als Pfeilschwanzkrebse bis in die heutige Zeit überlebt haben.

Jaekelopterus und nahe Angehörige galten nicht zuletzt wegen ihrer enormen Zangen lange Zeit als Spitzenprädatoren ihrer Ära. Doch in den vergangenen Jahren deuteten einige paläontologische Untersuchungen darauf hin, dass diese großen Eurypteriden womöglich gar keine besonders guten Raubtiere abgegeben hatten.

Ihre Klauen, so die Ergebnisse der Studien, seien zu fragil gewesen, jedenfalls keinesfalls robust genug für die Jagd auf große, gut gepanzerte Zeitgenossen. Und auch ihr Sehvermögen wäre für einen Topräuber nicht gut genug gewesen, weshalb man sie aus der obersten Reihe der Raubtiere verbannte.

Jagd auf Panzerfische

Doch das hat sich nun wohl als Irrtum entpuppt: Der Paläontologe Simon Braddy von der University of Bristol (Großbritannien) kam anhand von Analysen von Fossilien, von Computermodellierungen und Experimenten mit schwimmenden Roboter-Eurypteriden zu dem Schluss, dass kleinere Seeskorpione wie Acutiramus eher auf Krebstiere als Beute spezialisiert waren, während die Riesen Pterygotus und Jaekelopterus auf außerordentlich gut gepanzerte Fische aus der Gruppe der Placodermata Jagd machten. Damit wären sie gleichsam der T. rex unter den Meeresbewohnern dieser Zeit. Dies würde sich auch durch entsprechende Spuren an den Panzern von Fischfossilien und fossile Fäkalien von Eurypteriden bestätigen, so Braddy.

Seeskorpione, Evolution
Seeskorpione (Eurypteriden) im Lauf ihrer Evolution. Der vermutlich größte unter ihnen war Jaekelopterus (Hintergrund).
Grafik: Simon Powel

Die Zangen würden dabei nur dazu dienen, die Beute einzufangen und festzuhalten. Mit den kräftigeren Mundwerkzeugen haben die Seeskorpione ihre Opfer getötet und zerlegt, meinte der Forscher. Die Versuche ergaben darüber hinaus, dass die großen Seeskorpione langsamere Schwimmer waren als bisher angenommen; ihre relativ kleinen Paddel lieferten wohl nicht genug Vortrieb für rasantes Umhergleiten im Meer. Womöglich lauerten sie also ihren Opfern in einem Hinterhalt auf.

Evolutionäres Wettrüsten

Damit lieferte die im Fachjournal "Bulletin of Geosciences" vorgestellte Studie auch eine Bestätigung einer lange gehegten Annahme: Einige Paläontologinnen und Paläontologen hatten in der Vergangenheit die Vermutung geäußert, dass Seeskorpione die frühe Evolution der Wirbeltiere (Fische) beeinflusst haben, indem sie ein regelrechtes Wettrüsten zwischen den Räubern und ihrer Beute ausgelöst hatten.

Spätere Studien haben diese Idee jedoch weitgehend zurückgewiesen. Braddys Erkenntnisse legen nun jedoch nahe, dass Pterygotiden und andere Eurypteriden wahrscheinlich tatsächlich Einfluss auf die frühe Entwicklung der Wirbeltiere genommen hatten. (tberg, red, 2.1.2024)