Das Buch
Das Buch "Frau, Leben, Freiheit" erklärt auch, woher jener der Publikation den Titel gebende Spruch der Protestierenden kommt.
Catel & Jean-Pierre Perrin

Wie geht man im Iran demonstrieren? Wichtig ist zuerst einmal: Handys bleiben zu Hause, damit, sollte man gefasst werden, die Polizei nicht an die eigenen Kontakte kommt. Damit man gut laufen kann, sollten Jeans zudem nicht zu eng sitzen, Taschentücher als Schutz gegen Tränengas dürfen nicht fehlen. Und dann verhält man sich vor allem unauffällig, tut so, als ginge man nur spazieren. Erst wenn ein Signalschrei ertönt, wagt man sich aus der Deckung – bis die Polizei auftaucht und man besser zickzack läuft, um ihr zu entwischen. Geht alles gut, kommt man heim und hofft, dort alle aus seiner Protestgruppe wieder anzutreffen.

So erklärt es eine kleine Anleitung mit zwei jungen Männern als Protagonisten in dem Buch Frauen, Leben, Freiheit von Marjane Satrapi. Eine Graphic Novel als Erklärversuch für alles, was im Iran spätestens seit dem Tod von Mahsa Amini im September 2022 vor sich geht? Für das Projekt bat Satrapi Experten um Texte zur Lage im Land und fragte iranische und andere Comickünstlerinnen um Illustrationen.

Frauen leiteten Sternwarten

Die politische Situation beschäftigt Satrapi von jeher. 1969 im Iran geboren, wurde sie mit 14 von ihren Eltern wegen des Iran-Irak-Kriegs nach Österreich geschickt, kehrte dann in den Iran zurück. Seit ihrem 24. Lebensjahr lebt die Zeichnerin in Frankreich, ihre Graphic Novel Persepolis, in der sie ihre von der Revolution und dem Krieg im Iran geprägte Jugend verarbeitete, machte sie 2004 bekannt. Für den neuen Band hat sie selbst nun Porträts gezeichnet, die die jüngsten Frauenproteste in eine historische Reihe des weiblichen Widerstands stellen. Denn selbstbewusste Frauen gab es im Iran schon vor Jahrhunderten, und auch in Mythen findet man sie zuhauf: Sie dichteten, regierten, leiteten Sternwarten. In den 1970ern waren sie dann Unternehmerinnen und Politikerinnen.

Die stilistische Breite reicht dabei von handgezeichneten und schwarz-weißen Strips bis zu heiter bunten, digital entworfenen. Thematisch ist der Band ein Crashkurs: Was das gefürchtete Evin-Gefängnis ist, in das jene kommen, die bei den Demos festgenommen werden, wird mit eindringlich düster schraffierten Bildern erklärt. Wie Irans Jugend drauf ist, dem geht eine Geschichte in einer Uni-Mensa nach, wo Männer und Frauen in getrennten Schlangen bedient werden, was sich einige nicht mehr bieten lassen wollen.

Auch der staatlichen Propaganda im TV und Falschinformationen im Internet widmen sich eigene Beiträge. Wie sich reiche Familien der vielen Regeln entziehen, erklärt ein Kapitel mit viel Bling-Bling. So niederschwellig, vielfältig und kompakt kriegt man iranische Geschichte und Gegenwart selten erklärt. (Michael Wurmitzer, 3.1.2024)