Knapp drei Viertel der österreichischen Wahlberechtigten erwarten, dass es heuer einen Regierungswechsel und einen neuen Bundeskanzler geben wird. Und 65 Prozent denken, dass dieser künftigen Regierung die Grünen nicht mehr angehören werden. Bei der ÖVP ist das umgekehrt: Da rechnen nur 36 Prozent mit einer Oppositionsrolle. 64 Prozent glauben, dass die Volkspartei weiter in der Regierung sein wird, nur eben nicht mit einem Kanzler Karl Nehammer.

Dass Vizekanzler Werner Kogler (Grüne, links) und Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) auch nach den Wahlen zusammenarbeiten, glauben nur wenige.
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Das geht aus der aktuellen Umfrage des Linzer Market-Instituts für den STANDARD hervor, in der die Erwartungen bezüglich der innenpolitischen Entwicklungen abgefragt wurden. Market-Politikforscher David Pfarrhofer: "Die Mehrheit der Befragten rechnet damit, dass Nehammer nicht nur als Bundeskanzler, sondern auch als ÖVP-Chef abgelöst wird. Das wird verständlich, wenn man bedenkt, dass nur jeder 20. Wahlberechtigte glaubt, dass die ÖVP gut vorbereitet ins Wahljahr geht. 26 Prozent sagen, dass die ÖVP gar nicht gut vorbereitet wäre – unter Nehammer hat die ÖVP ähnlich schwache Werte wie seinerzeit unter Michael Spindelegger. Das ist ein scharfer Gegensatz zur Ära Kurz."

Für die von Sebastian Kurz geführte ÖVP gab es zur Zeit der Vorbereitung der türkis-grünen Koalition 2019 die besten Noten – aus den Bewertungen auf einer fünfstufigen (Schul-)Notenskala errechnete Market damals die Durchschnittsnote 2,31. 28 Prozent meinten im Dezember 2019, die ÖVP sei für die Herausforderungen des kommenden Jahres sehr gut vorbereitet. Jetzt sagen das nur mehr fünf Prozent – und die Durchschnittsnote ist auf 3,53 abgerutscht.

Für die Kanzlerpartei wird es wenig Trost bieten, dass andere Parteien ähnlich schlechte Noten haben: Für den grünen Koalitionspartner lautet die Note 3,62, für die KPÖ 3,69, für die Bierpartei 3,77, und für die MFG ist sie gar nur 4,16.

Beste Noten für FPÖ

Neos und SPÖ bekommen mit 3,45 beziehungsweise 3,44 etwas bessere Noten für ihre Vorbereitungen auf die Herausforderungen des Jahres 2024 – als am besten vorbereitet gelten aber mit deutlichem Abstand die Freiheitlichen mit der Note 3,18.

Pfarrhofer: "Natürlich gibt es viele Leute, die die FPÖ prinzipiell ablehnen und ihr deshalb schlechte Noten geben. Aber: 19 Prozent geben der FPÖ für ihre Vorbereitungen ein Sehr Gut, weitere 15 Prozent einen Zweier. Das sind Werte, die annähernd so gut sind, wie sie von der FPÖ erreicht wurden, als Heinz-Christian Strache Vizekanzler war. Nach dem Bekanntwerden des Ibiza-Videos ist ja vielfach in Vergessenheit geraten oder auch verdrängt worden, dass die Regierung Kurz/Strache ziemlich beliebt gewesen ist." Ähnlich war es die türkis-grüne Regierung zu Beginn: "Zum Jahreswechsel 2019/2020 galten ÖVP und Grüne ebenfalls als gut vorbereitet, was inzwischen auch weitgehend vergessen ist."

Nur Freiheitliche glauben mehrheitlich an Kanzler Kickl

Sieht man sich die Liste der Erwartungen an das Jahr 2024 an, dann sieht man, dass den Freiheitlichen trotz der auch von anderen Wählerschaften anerkannten guten Vorbereitung nur von einem Drittel der Befragten zugetraut wird, dass ihr Parteichef Herbert Kickl tatsächlich Bundeskanzler wird.

An eine Kanzlerschaft Kickls glauben mehrheitlich nur die freiheitlichen Wählerinnen und Wähler. In den anderen Parteiwählerschaften wird der Gedanke mit großer Mehrheit verworfen, besonders stark von Grün-, Neos- und ÖVP-Anhängern. Überdurchschnittlich stark (aber nicht mehrheitlich) mit einem Kanzler Kickl rechnen Männer, Menschen mit geringer formaler Bildung und Wiener.

Wenn nicht Nehammer und Kickl – dann vielleicht Andreas Babler? Dass der SPÖ-Vorsitzende ins Kanzleramt einziehen kann, erwartet allerdings nur eine kleine Minderheit von 15 Prozent. Selbst in der sozialdemokratischen Wählerschaft ist diese Erwartung nur bei 37 Prozent verankert.

Wenig Hoffnung für die Umwelt

Und mit welchen innenpolitischen Entwicklungen rechnen die Österreicherinnen und Österreicher sonst noch? Nur die Erwartung neuer Ökosteuern – beim Tanken sind diese inzwischen ja schon schlagend geworden – erzielt eine Mehrheit (63 Prozent). Nur vier von zehn Befragten glauben, dass sich die Bevölkerung auch ohne Zwang klimafreundlich verhalten wird; dieser Wert ist in den vergangenen Jahren allerdings leicht angestiegen. Nur jeder Vierte meint, dass eine entschlossene Klimapolitik betrieben werden wird oder dass sich die Umweltsituation deutlich bessern wird.

Das Migrationsthema weckt auch nur bei einer Minderheit der Befragten Hoffnungen: Nur 28 Prozent glauben, dass es gelingen wird, Zuwanderer in die Gesellschaft zu integrieren. Diese Hoffnung ist vor allem bei jüngeren Befragten sowie in der deklarierten Wählerschaft von Grünen, Bierpartei und teilweise in der SPÖ vorhanden.

Schließlich die Abschaffung der kalten Progression. Die Regierung hat diese Steuerreform ja als breit und langfristig wirksame Erleichterung für die Steuerzahler angekündigt – allein: Die Botschaft ist nicht angekommen. Nur 23 Prozent der Befragten rechnen mit einer steuerlichen Entlastung durch die Reform. Pfarrhofer: "Mit Steuerreformen ist noch nie eine Wahl gewonnen worden – verringerte Abzüge werden ja bestenfalls bei der ersten Gehaltsabrechnung wahrgenommen, oft gar nicht. Man sieht auch jetzt, dass vor allem Wählerinnen und Wähler der Oppositionsparteien kaum an eine Entlastung glauben." Andererseits glaubt auch nur jeder Fünfte, dass das SPÖ-Projekt einer Arbeitszeitverkürzung durchgesetzt werden kann – sogar in der SPÖ-Wählerschaft glaubt nur jeder Vierte daran. (Conrad Seidl, 8.1.2024)