Was habe ich bloß getan?
Heribert Corn

Plötzlich sehe ich grün. Dabei dachte ich bisher, dass das Licht im Jenseits weiß sein würde. Bin ich gar nicht tot? Die Geräusche, die mir gerade entglitten sind, hätten das zumindest suggerieren können.

Ich liege am Boden. Die Ski baumeln noch an meinen Füßen. Ich setze mich auf. Ich lebe. Und ich habe mich auch nicht verletzt. Grün sehe ich, weil das gar kein Schnee ist, in den ich gefallen bin. Die Panik weicht: So schlimm war das gar nicht.

Der Fotograf sieht mich unterdessen so an, als hätte er den Jackpot im Lotto geknackt. Er hat es sich zur Aufgabe gemacht, meine Malheurs zu dokumentieren. Und nun ist der Moment gekommen, auf den er gewartet hat. Er hat Lara, meine Skilehrerin, sogar angewiesen, mich ohne Unterstützung fahren zu lassen. Ich habe ihm im Gegenzug mit Schmerzensgeldforderungen gedroht.

Das Lachen soll die Verzweiflung kaschieren.
Heribert Corn

Spulen wir einige Wochen zurück...

Begonnen hat mein Martyrium bei einem Bier. Ich hatte meinen Kolleginnen erzählt, dass ich nicht Ski fahren kann und nie auf Skiern gestanden bin. Ich hatte mein Desinteresse überschwänglich betont: Zu teuer ist das alles – der Kurs, die Liftkarte, die Ausrüstung.

Einige Tage später stand meine Chefin vor mir. Ich solle doch einen Skikurs als Erwachsene absolvieren und eine Geschichte darüber schreiben, sagte sie. "Sicher nicht", antwortete ich sinngemäß. Wer diese Debatte gewonnen hat, lesen Sie gerade.

Warum würde man das freiwillig machen?
Heribert Corn

Skifahren ist für mich das Sinnbild für Lebensmüdigkeit. Auf einem rutschigen Untergrund eine Piste hinunterzubrettern, mit hoher Geschwindigkeit; manchmal sogar mit schlechter Sicht, ohne zu wissen, ob sich irgendwelche Hindernisse im Schnee verstecken – und das zum Spaß? Danke, nein.

Schon als Kind, als meine Schule zum Skikurs lud, befand meine Mutter, dass ich mir doch nur alle Knochen brechen würde, und meldete mich ab. Vermutlich hatte sie recht. Ich war kein sonderlich sportliches Kind. Und bin auch keine besonders sportliche Erwachsene.

Hartes Training

Als der gewissenhafte Mensch, der ich sein kann, lasse ich mich heute von Skikennern in meinem Umfeld beraten. Ein Kollege empfiehlt Gymnastikübungen – also mache ich diese regelmäßig.

"Muzi, es ist ein Hügel", und kein richtiges Skigebiet, kommentieren andere meine Vorbereitung. Ich lasse mich davon nicht beirren: Ein Monat vergeht, und ich trainiere hart.

Nun stehe ich hier. Der Austragungsort: die Hohe-Wand-Wiese. Es ist tatsächlich ein Hügel. Aber das nimmt mir die Angst nur bedingt. Noch geht es ja nicht auf die künstliche Piste: Die grünen Matten, die hier aufgelegt sind, sollen gar schwieriger zu befahren sein als echter Schnee, sagt Skilehrerin Lara. Dadurch soll es in der realen Welt später leichter gehen. Außerdem hat es etwa zwölf Grad. Mir ist heiß. Statt eines gepolsterten Skianzugs trage ich Jeans und einen Pulli. Meine Jacke habe ich ausgezogen. Nur der Helm federt meine Stürze ab.

Ein paar Meter weiter lernen Volksschülerinnen und Volksschüler das Skifahren. Kinder können wirklich entspannt sein. Vergnügt rutschen sie über den Boden, fallen hin, stehen unaufgeregt wieder auf. Für sie ist die Piste eigentlich da: Die Stadt Wien bietet zum Teil kostenlose Schulskikurse in der Winterzeit zwischen November und Februar an. Die Idee dahinter: Kinder, die aus finanziell schwächeren oder dem Skifahren fernen Milieus kommen, sollen die Möglichkeit haben, den Sport zu erlernen. Von November bis Februar werden hier insgesamt rund 60 Schulklassen unterrichtet.

Schneetanz

Wir fangen mit Aufwärmübungen auf der Matte an. Es ist rutschig, aber machbar. Dann lege ich einen Ski an und gleite erst einmal einbeinig über den Boden. Es sei bisschen wie Eislaufen, erklärt Lara. Damit hatte ich bisher allerdings auch keinen Erfolg.

Diesmal soll es anders sein. Die Skigymnastik der vergangenen Wochen zeigt ihre Wirkung. Ein paar Mal schreie ich zwar auf und wedele unkontrolliert mit meinen Armen um mich, aber insgesamt halte ich mich gut auf dem Boden. Für Außenstehende sieht das wohl aus wie ein okkulter Tanz, um Schnee herbeizurufen, denke ich. Hoffe ich.

Zwei Skier. Uff. Die Beine in Richtung Steigung neigen, um mithilfe der Kanten nicht wegzurutschen, sagt Lara. Es dauert etwas, und ich wedele noch unkontrollierter – äh, ich tanze natürlich noch energischer; aber auch das lässt sich bewerkstelligen.

Die Skigymnastik zeigt Wirkung.
Heribert Corn

Dann geht es ans Eingemachte, nämlich mit dem Skilift die Piste hinauf – wobei das Wort Lift vielleicht übertrieben ist. Kinder werden wie auf dem Fließband nacheinander den Zauberteppich hinauftransportiert. Was man nicht alles für den Job tut.

Fels in der Brandung

Ohne eine Skilehrerin hätte ich mir die Abfahrt niemals zugetraut. Lara ist heute mein Fels in der Brandung – ein ziemlich unerschütterlicher Fels, denn die Brandung schreit in ohrenzerberstender Lautstärke.

Lara ist ziemlich unerschütterlich.
Heribert Corn

Die Volksschulkinder auf der angrenzenden Piste könnten währenddessen nicht cooler sein. "Sie fahren heute auch zum ersten Mal, oder?", fragt mich ihre Lehrerin später. Sie ist fast schon zu freundlich.

Mit Lara, die meine Hände hält, funktioniert es gut. Die Angst lässt nach. Irgendwann wird es aber Zeit loszulassen. Also schwebe ich alleine den Hügel hinunter. Mehrere Meter weit. Dann falle ich. Einmal, zweimal. Ein bisschen weh tut’s schon, aber es ist erträglich. Vielleicht ist der Unterschied zwischen den Kindern und mir, dass mich meine Furcht bremst.

Ich schwebe.
Heribert Corn

Minderwertigkeitskomplexe

Mit Lara in greifbarer Nähe, schaffe ich es, zumindest die halbe Strecke alleine hinunterzukommen. Gar nicht so schlecht nach nur rund zwei Stunden üben. Für Sicherheit auf den Skiern braucht es vermutlich noch ein paar Übungsstunden, aber im Großen und Ganzen bin ich bereit für die echte Piste. Angesichts meiner Erwartungshaltung – ich hatte mich gefragt, ob die Wartezeit im Krankenhaus als Arbeitszeit gelten würde – ein ziemlich gutes Ergebnis.

Der Schneetanz überdauerte auch die Fahrt auf der Piste.
Heribert Corn

Bis auf die vom Schreien leicht heisere Stimme und den Minderwertigkeitskomplexen wegen der so viel besseren Kinder habe ich keine inneren oder äußeren Verletzungen davongetragen. Und wenn ich das als Erwachsene kann, können das andere auch. Trotzdem: Ich werde beim nächsten Mal eine Gefahrenzulage fordern. (Muzayen Al-Youssef, 6.1.2024)